Diese Idee ist größer als wir
Wie können wir wirksam auf die ökologische Krise antworten? Eine wachsende Zahl von Menschen und Initiativen erklärt, dass dies erst möglich sein wird, wenn wir der Natur eine juristische Stimme geben.
April 17, 2014
Jonathan Klodt hat sich vor zwei Jahren mit Freunden zusammengetan, um herauszufinden, wie eine neue Führungskultur aussehen könnte. Daraus wurde Leadership³, ein Festival und eine Community engagierter junger Menschen, die ein neues Miteinander und Verantwortungsbewusstsein erproben. Wir sprachen mit Jonathan Klodt über die Hintergründe des Projekts.
evolve: Wie kam es zu deinem Interesse für das Thema Führung?
Jonathan Klodt: Mit Führung im eigentlichen Sinne kam ich erstmals während des BWL-Studiums in Berührung. Ich war damals ziemlich frustriert, weil das, was ich dort von den Professoren hörte, sehr stark im Konflikt mit dem stand, was mir in meiner spirituellen Praxis und in meiner bis dahin angesammelten Lebenserfahrung wichtig geworden war. Ich habe vor dem Studium ein Jahr in Kanada in einer Gemeinschaft mit Behinderten zusammengelebt und das, was ich an der Uni lernte, passte nicht zu diesen Erfahrungen, die ich mit Menschen gemacht hatte. Wenn beispielsweise vom Homo oeconomicus gesprochen wurde und der Gewinnmaximierung als einzigem Antrieb des wirtschaftlichen Handelns. Gleichzeitig war mir klar, dass die Argumente der Professoren auch nicht ganz falsch sein konnten. Zu dieser Zeit bin ich glücklicherweise auf Ken Wilber und die integrale Theorie gestoßen, die das Ganze für mich eingeordnet hat. Ich habe eine innere Landkarte gefunden, die mir half, die verschiedenen Werte, denen ich begegnet war, besser zu verstehen. Meine Abschlussarbeit habe ich dann zum Thema „Unternehmenskultur“ geschrieben, und habe selbst eine Studenteninitiative gegründet und nach dem Studium auch ein Unternehmen, wo ich selbst in der Führungsrolle war. Da stand ich auch persönlich vor der Frage: Wie will ich eigentlich führen?
e: Wenn ich mich der Frage gleich anschließen darf: Wie willst du führen?
JK: Mir ist sehr wichtig, das Thema Menschlichkeit in Organisationen zu bringen. Ich merke ganz oft, dass Systeme auf eine Art gestaltet werden, die überhaupt nicht mehr Mensch-gemäß sind, wo es keinen Raum für Mitmenschlichkeit und Verbundenheit gibt. Wenn Technokraten Strukturen geschaffen haben, in denen Dienst nach Vorschrift geleistet wird, der vollkommen an den Bedürfnissen der Menschen vorbei geht.
Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Führung ist für mich die Prozess-Intelligenz: Wie können Mitarbeiter wirklich beteiligt werden, nicht nur dadurch, dass sie ihre Arbeitszeit investieren, sondern dass sie wirklich eingeladen sind, ihre Ideen beizutragen?
e: Wie verwirklicht ihr diese Ideale in eurem Projekt „Leadership³“? Wie unterscheidet sich eure Zusammenarbeit von anderen Arbeitszusammenhängen, in denen du bisher tätig warst?
JK: Am Anfang der Initiative stand unsere Freundschaft. In Gesprächen haben wir dann gemerkt, dass wir alle irgendwie für das Thema Leadership brennen und so kamen wir auf die Idee, uns intensiver damit zu beschäftigen und luden Freunde ein, mit denen wir uns die Zusammenarbeit vorstellen konnten. Daraus wurde das erste „Leadership³-Festival“. Ganz zentral war also von Anfang an das Miteinander. Denn ich denke, wenn jeder das Gefühl hat, gesehen zu werden, aufgehoben und verbunden zu sein, dann laufen viele Dinge viel reibungsloser ab. Das ist die Voraussetzung für eine kollektive Führung.
e: Was meinst du mit kollektiver Führung?
Wir wollen einen Raum schaffen, in dem jeder frei ist, seinen eigenen Impulsen zu folgen, und gleichzeitig das größere Ganze im Blick hat.
JK: Das ist für uns noch ein Forschungsfeld, aber wir versuchen, die Intelligenz aller Beteiligten zuzulassen, sodass jeder auch seinen richtigen Ort finden kann und jeder dort, wo er am kompetentesten ist, einen wichtigen Beitrag leisten kann. Bei den letzten beiden Festivals ist das jenseits von vorgegebenen Strukturen und Hierarchien oder Arbeitsabläufen, für mich schön erlebbar gewesen. Dabei entsteht dann auch wirklich ein gemeinsames Ganzes, ohne dass es jemanden gibt, der vorne steht und den Ton angibt. Stattdessen hat jeder an irgendeiner Stelle seinen Beitrag geleistet und dadurch ist etwas größeres Gemeinsames entstanden.
Wie das dann übertragbar ist und in anderen Kontexten funktionieren kann, da sind wir selbst auch noch sehr stark auf der Suche. Wir haben noch kein fertiges Bild, wollen aber diesen Raum schaffen, in dem letztendlich jeder frei ist, seinen eigenen Impulsen zu folgen, und gleichzeitig aber auch das größere Ganze im Blick hat.
e: Was ist die Vision für euer Projekt? Zu welchen kulturellen Entwicklungen möchtet ihr beitragen und worin seht ihr eure nächsten Schritte?
JK: Ich fange mal mit dem größeren Bild an. Da geht es uns ganz klar darum, die Führungskultur zu verändern. Darin fühlen wir uns bestärkt durch Vordenker wie Otto Scharmer, der auf unsere Führungskrise hinweist, wobei wir kollektiv Ergebnisse schaffen, die eigentlich niemand haben möchte. Es ist uns also ein Anliegen, die Art und Weise wie momentan in Organisationen, aber eben auch in den politischen oder gesellschaftlichen Systemen geführt wird, zu verändern. Führung ist ja ein Meta-Thema, das sich auf jeden Bereich auswirkt. Ob wir das Bildungswesen, die Politik oder die Wirtschaft betrachten, überall wird eine neue Führungsqualität gebraucht. Und das möchten wir unterstützen.
Konkret für unser Projekt bedeutet es, dass wir junge Menschen, insbesondere junge Führungskräfte, darin unterstützen möchten, sich zu entwickeln. Diese Entwicklung hat für uns drei Dimensionen – deshalb auch Leadership³: die Selbstführung (Ich), Führung in Beziehung zu anderen (Du) und die Führung in einem größeren Kontext (Wir).
Für mich gewinnt dabei mehr und mehr der Aspekt einer unterstützenden Gemeinschaft, einer Community, einer Sangha, an Bedeutung. Gerade wenn wir mit Freunden reden, die in großen Unternehmen arbeiten, in denen noch „alte“ Strukturen herrschen, ist es eine unheimliche Herausforderung, das, was wir auf den Festivals gemeinsam leben, auch in diesen Kontext zu transferieren. Deshalb ist einer der nächsten Schritte in der Entwicklung von Leadership³, der aus dem Festival entstanden ist, eine Community, die Weiterbildung, Prozessbegleitung und gegenseitige Unterstützung bietet. Ein Anfang ist gemacht. Unser Projekt bekommt mittlerweile Unterstützung von der Europäischen Union und wird durch das Programm „Jugend in Aktion“ finanziert. Neben dem „Festival der Perspektiven“ bietet Leadership³ nun auch Begleitung für Menschen und Organisationen in Entwicklungsprozessen sowie eine einjährige Academy für junge Führungskräfte.