Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
January 14, 2014
„Ich hoffe, dass sie über das Rassenthema hinausgeht“, sagte Steve McQueen über die Diskussion, die sein Film 12 Years a Slave beim Internationalen Filmfestival 2013 in Toronto auslöste. Seitdem wird sein Film von Kritikern als einer der wichtigsten Spielfilme gewürdigt, die je über die Sklaverei in Amerika gedreht wurden. Sehr wenige Hollywood-Filme haben versucht, den schrecklichen Schattenin der Geschichte des Landes darzustellen. Und in dieser kleinen Gruppe ist Steve McQueen einer der wenigen Regisseure afrikanischen Ursprungs. Es ist vielleicht ein gutes Zeichen für die gegenwärtige amerikanische Kultur, dass dieser brutale und schonungslose Film auch in den Großkinos gute Besucherzahlen verzeichnete, nachdem er zunächst an einer begrenzten Zahl von Arthouse-Kinos gestartet wurde. In Deutschland kommt er Mitte Januar heraus. „Tatsächlich geht es in diesem Film um Liebe“, schloß McQueen auf der Pressekonferenz bei der Premierein Toronto. Dies war eine überraschende und sonderbare Aussage, die mich zum weiteren Nachdenken inspiriert hat.
12 Years a Slave basiert auf der 1853 erschienenen Autobiografie von Solomon Northup, einem freien und gebildeten Afroamerikaner, der 1841 in Washington D. C. entführt, nach Louisiana gebracht und dort in die Sklaverei verkauft wurde. Wie der Titel verrät, gelang es Northup seine Freiheit wiederzugewinnen und er lebte, um seine erschütternden Erfahrungen zu beschreiben. Wie kein anderer Film vor ihm zum Thema der amerikanischen Sklaverei ist Steve McQueen ein heftiges und unvergessliches Dokument der Strapazen und Schrecken dieser Zeit, das sich mit außergewöhnlicher Genauigkeit um die Details bemüht.
Dennoch hat dieser Film eine universelle Dimension, die den historischen Kontext und die Geschichte des Films transzendiert, so wie McQueen es auf der Premiere in Toronto angesprochen hatte. Northup beginnt seinen Abstieg in die Hölle als ein Mann, dem alles genommen wurde: seine Familie, seine Freiheit und sogar sein Name (einer seiner Entführer sagte ihm, dass er umgebracht würde, sollte er irgendjemandem erzählen, wer er wirklich war). Wie auch die anderen Sklaven wird er regelmäßig geschlagen, ausgepeitscht und gedemütigt. Doch es ist Northups hartnäckige und unzerbrechliche Hoffnung, dass er eines Tages seine Freiheit wiederfinden wird, die ihm seinen Lebenswillen bewahrt.
Ist diese Hoffnung das, was McQueen als Liebe bezeichnet? Im Film ist Northups Hoffnung die unsichtbare aber absolute Trennungslinie zwischen Tod und Leben. Northup trifft eine Sklavin, deren Kinder ihr genommen wurden und die deshalb tagelang nicht aufhören kann, zu weinen. Er sagt ihr, sie solle nicht in ihrem Schmerz ertrinken. Sie fordert ihn heraus, seine eigene Qual zuzugeben, von seinen Kindern getrennt zu sein. Er erwidert: „Ich werde überleben. Ich werde nicht verzweifeln und voller Mut bleiben, bis ich wieder in Freiheit bin.“ Später bittet eine andere Sklavin Northup darum, ihr Leben zu beenden, um ihrem Leiden zu entkommen. Northup lehnt dies sofort ab.
Doch mit den Jahren zermürben die ununterbrochenen Mühen und Leiden Northups Geist. Mehrere Fluchtversuche schlagen fehl und Northup ringt darum, seinen Verstand nicht zu verlieren. Nach einer besonders schrecklichen Erfahrung erreicht Solomon schließlich seine Grenze. Wir sehen ihn mit einer Gruppe anderer Sklaven ein Gospel singen und die Kamera ruht auf seinem Gesicht, während er langsam sein ganzes Wesen dem Lied hingibt. Das leidenschaftliche und völlige Loslassen seiner Seele, inmitten seiner eigenen Zerstörung, berührt eine tiefe Wahrheit des Lebens. Es scheint, als glaube McQueen, dass Liebe das ist, was uns erhält, selbst wenn alles verloren scheint.