Neue Dimensionen der Zusammenarbeit

Our Emotional Participation in the World
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Essay
Published On:

April 11, 2022

Featuring:
Dr. Hildegard Kurt
Dr. Andreas Weber
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Issue:
Ausgabe 34 / 2022
|
April 2022
Bewusste Netzwerke
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Ein Beispiel aus der Zukunft

Die Weise, wie wir uns vernetzen, wird sich wandeln. Am Anfang und am Ende geht es immer um menschliche Beziehungen. Aber Technik, richtig verstanden, kann uns auf völlig neue Arten helfen, Beziehungen zu finden. Diese neue Dimension der Selbstorganisation wird auch den Aktivismus verändern.

Als ich 2018 anfing, bei der erdfest-Initiative mitzuarbeiten, war sie vor allem eine inspirierende Idee. Die Nachhaltigkeitsforscherin Hildegard Kurt und der Philosoph Andreas Weber hatten ein Gespür dafür, dass es den wissenschaftlichen Erörterungen der Klimakrise nicht wirklich gelingt, Menschen in ihrer Tiefe zu erreichen. Beiden fehlten im vorherrschenden Diskurs die Sinnlichkeit und das persönliche Erleben als wesentliche Motive, unsere Lebensbedingungen bewusster zu gestalten. Mit ihrer Vision »dem Lebendigen Lebendigkeit zurück zu schenken und eine Antwort zu geben auf den Zustand der Welt« sollte erdfest einen neuen Bewusstseins- und Resonanzraum eröffnen, in dem Menschen einander begegnen und gemeinsam ein schöpferisches Miteinander mit dem Lebendigen feiern können. Heute, knapp fünf Jahre später, unterstützen bereits rund 30 Organisationen mit ihren Beziehungsfeldern die erdfest-Vision und an den drei erdfest-Tagen im Juni laden bis zu 200 Initiativträgerinnen zu Erdfesten ein. Diese erstaunliche Entwicklung hat viel mit Resonanz zu tun, denn eine Idee, die Menschen berührt, animiert dazu, ihr einen lebendigen Ausdruck zu verleihen. Sie hat aber auch, und das mag überraschen, viel mit Technologie zu tun.

In den vergangenen 20 Jahren ist das Internet zu einer treibenden Kraft für den Aktivismus geworden. Über Blogs, Online-Foren und Media-Plattformen können wir heute Ideen mitten in die Welt setzen, uns mit anderen darüber austauschen und gemeinsame Ziele verfolgen. Wenn ich an die analoge Zeit zurückdenke, als man noch mühevoll Flyer verteilte und damit um Mitstreiter warb, muss ich sagen: erdfest wäre ohne die Digitalisierung wohl kaum möglich. Heute ebnen mir Suchmaschinen mit wenigen Klicks den Weg, wenn ich nach Menschen und Projekten suche, die sich mit vergleichbaren Anliegen engagieren und die ich zum Mitwirken einladen möchte. Und der Bewusstseinsraum, der sich durch die Erdfeste aufspannt, wird durch unsere Webseite weithin sichtbar, strahlt aus und animiert immer neue Aktive, sich einzubringen. Für Graswurzel-Bewegungen war das Internet ein Quantensprung für ihre Reichweite, doch erleben wir heute auch, dass wir einen Preis dafür zahlen, wenn wir uns in die Abhängigkeit der mächtigen Konzerne begeben, die das Web beherrschen.

Es ist ein Dilemma, für das sich seit einiger Zeit unerwartete Lösungen auftun. Aktivisten haben nämlich die sich durch den Bitcoin-Boom etablierenden Krypto-Technologien für sich entdeckt. Mit ihnen kann man nicht nur anonyme Finanztransaktionen abwickeln, sondern auch dezentrale, gemeinschaftsstiftende Organisationen aufbauen. Jeder kann sich in ihnen einbringen, aber sie gehören niemandem, weil der Code, auf dem sie beruhen, wie ein Organismus arbeitet. Stark vereinfacht könnte man sagen, die Software entwickelt sich analog zum Willen ihrer Nutzer weiter und befreit sie von der Vereinnahmung durch die Interessen der Konzerne. Die dominierende künstliche Intelligenz wird durch eine neue Form vermenschlichter Technologie herausgefordert. Rieki Cordon, der mit dem Hypha-Projekt bereits an Lösungen für NGOs arbeitet, ist davon überzeugt, dass diese Tools zu einem Umbruch der gesellschaftlichen Selbstorganisation führen können, gerade weil sie auf natürlichen Prinzipien des Miteinanders beruhen. Er erklärt: »Eine dezentralisierte Organisation ermöglicht es der menschlichen Zusammenarbeit, sich so zu verhalten, wie es die Zellen unseres Körpers tun. Unsere Körper haben keine Kontrollmechanismen von oben nach unten, aber sie sind in der Lage, Aktivitäten in großem Umfang zu koordinieren. Wir können uns als Teil einer regenerativen Renaissance verstehen und auf umfassendere Weise in Kooperationen denken. Alle, die diesen Ruf nach einer anderen Kultur verspüren, können sich einklinken, sich mit den Bemühungen anderer synchronisieren.«

¬ WIR STEHEN AM BEGINN EINES UMBRUCHS GESELLSCHAFTLICHER SELBSTORGANISATION. ¬

Für mich klingt hier die organische Lebendigkeit an, aus der heraus erdfest lebt. Und die Möglichkeit, dass diese Entfaltungskraft sich vervielfachen könnte, wenn die Technologie, die wir nutzen, diese lebendigen Impulse direkt unterstützt. Bisher bildet das Zentrum von erdfest ein Kernteam, das alle Prozesse moderiert und die Beteiligten miteinander verbindet. Unsere limitierte Arbeitskraft setzt also dem Netzwerk Grenzen. Mit einer Plattform wie Hypha könnte die co-kreative Intelligenz der Community unmittelbar in vernetzte Handlungsfähigkeit münden, denn sie etabliert autonome Organisations- und Entscheidungsstrukturen. Arbeitsprozesse lassen sich im Einklang mit einer geteilten Vision strukturieren und Interessierte können sich dann einfach in den Gestaltungsprozess einklinken und direkt miteinander in Beziehung treten. Die Mitwirkenden wären beispielsweise in der Lage, jederzeit selbst neue Partnerinnen in das Netzwerk einzuladen und über ihre Aufnahme zu entscheiden, sich bei der Gestaltung der Webseite einzubringen, zusammen Texte zu kuratieren und die gemeinsame Vision fortzuschreiben. Die Ursprungsidee von erdfest, Synergien zwischen Initiativen zu entfalten, die sich bereits für verwandte Anliegen engagieren, könnte so zu einem über sich selbst hinauswachsenden synergetischen Prozess werden, weil dieser ganz eigenständig immer weitere Kreise ziehen kann. Jeder eingebrachte Impuls, der aktive Unterstützung findet, könnte sich so verselbstständigen. Ich bin mir bewusst, dass viele Tools noch den Charakter von Prototypen haben und es großer Expertise bedarf, um eine solche dezentrale Organisation zum Laufen zu bringen. Aber was hier in der Luft liegt, ist die Chance, dass menschliche Ambitionen und technische Werkzeuge einander in ihrer Verbundenheit zu einer bisher nicht möglichen Wirkkraft befreien. Technik dient dann einem Sinn, der sich durch sie immer weiter entfalten kann. Ich kann mir schon vorstellen, wie auf der Landkarte der Erdfeste künftig nicht nur Orte in deutschsprachigen Ländern aufscheinen, sondern in nicht ferner Zukunft rund um den Globus im Juni jeden Jahres das Lebendige gefeiert wird.

Author:
Dr. Nadja Rosmann
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