Das Wunder der Entfaltung
Rolf Verres’ Weg in die Welten des Bewusstseins
July 18, 2022
Auf das Gespräch mit Hans Gunnar Aden war ich sehr gespannt. Wir hatten über einen Kollegen von ihm und seinem bewegten Leben gehört, das ihn für zwölf Jahre in Klöster führte und von dort in eine diplomatische Laufbahn an die Verhandlungstische der Welt. Als ich ihn zum Video-Gespräch treffe, begegne ich einem älteren Herrn, aus dessen Augen ein junges, lebendiges Funkeln aufglänzt. Vor allem dann, wenn er von seiner tiefen Sehnsucht nach dem Grund unserer menschlichen Existenz spricht, die ihn ein Leben lang begleitet. Darin begegnen wir uns in einer menschlichen Resonanz, die in mir noch lange nachwirkt.
Hans Gunnar Aden kommt aus einer einfachen schwedischen Familie. Seine Eltern waren lutherische Christen, aber keine gläubigen Menschen. Aber es gab in der Familie ein deutsches Hausmädchen aus Breslau, die sehr fromm war. Sie nahm den Jungen jeden Sonntag in die katholische Messe mit. »Diese Gottesdienste«, so sagt Hans Gunnar Aden heute, »machten einen sehr großen Eindruck auf mich. Das Religiöse, das Numinose wirkte irgendwie anziehend und gleichzeitig erschreckend.« Diesen Eindruck konnte er nicht vergessen, wurde mit 18 Jahren katholisch und wollte sich tiefer der Religion zuwenden. Er hatte gespürt, dass es etwas anderes als die materielle Welt gibt, dass hinter all den Symbolen, Liturgien und Gesängen eine geistliche Wirklichkeit lebt.
Im Schweden der 60er- und 70er-Jahre war das Klima nicht sehr günstig für geistliche Abenteuer. So beschloss Hans Gunnar Aden, ein »normaler Schwede« zu sein. Zunächst wollte er sich beweisen, dass es keine Flucht aus der Welt war. Er wollte einen Beruf erlernen, Karriere machen, Geld verdienen, gute menschliche Beziehungen in Freundschaft und Liebe pflegen. Er arbeitete unter anderem in Paris bei der OECD als Russlandexperte, denn eines seiner größten Interessen war schon damals Russland und die russische Sprache.
In Frankreich erwachte sein religiöses Interesse erneut, und mit 33 Jahren beschloss er, in ein Kloster zu gehen, um zu lernen und zu erfahren, was Religion eigentlich ist. Er verbrachte zwölf Jahre in Klöstern, zwei Jahre in Belgien in Chevetogne bei den Benediktinern und zehn Jahre in Südfrankreich auf der Insel Saint-Honorat, nicht weit von Cannes entfernt, bei den Zisterziensern. »Die Benediktiner waren mir nicht streng genug und zu intellektuell«, erklärt er diesen Schritt. »Das Intellektuelle hatte ich schon erforscht, mich interessierte die kontemplative, die meditative Seite der Religion.«
¬ DER BEGRIFF VON HEILIGKEIT IST IN UNSERER GESELLSCHAFT HEUTZUTAGE FAST VERLORENGEGANGEN. ¬
Zu Beginn seiner Zeit im Kloster war Hans Gunnar Aden sehr zufrieden, auch nach dem Wechsel zu den Zisterziensern hatte er den Eindruck, seinen Platz gefunden zu haben. Aber im Laufe der Zeit häuften sich die Fragen: »Als ich ins Kloster eintrat, entsprach das Leben im Kloster meinen Überzeugungen. Aber mit der Zeit habe ich mich entwickelt und mein Glauben wurde weniger fundamentalistisch. Deshalb fand ich es schwierig, im Kloster zu bleiben, weil ich mich zwar entwickelt hatte, aber die Klöster nicht.«
Zufällig lernte er die Zen-Meditation kennen und sah darin einen nächsten Schritt seiner Entwicklung. Aber es war eine schwere Entscheidung: »Ins Kloster zu gehen ist schwierig, aber weil man ein Ziel hat, ist man bereit, alles für diesen Traum zu opfern. Aber wenn man das alles verlässt, dann ist der Traum erschüttert.« Ohne Beruf, ohne Geld wusste er nicht, was er nun tun sollte und fühlte sich fast wie ein Verräter.
Um Orientierung zu finden, fuhr er nach Todtmoos-Rütte in das Zentrum des Zen-Meisters und Psychoanalytikers Karlfried Graf Dürckheim. Dort übte er Zen-Meditation und verbrachte ein Jahr in spirituellen Zentren. Er musste aber wieder Geld verdienen und besann sich auf seine guten Russischkenntnisse, begann als Dolmetscher zu arbeiten und erhielt schließlich eine Stellung in der schwedischen Botschaft in Kiew. Nach einigen Jahren wechselte er ins schwedische Generalkonsulat in Sankt Petersburg, in die schwedische Botschaft in Paris, und wurde später schwedischer Botschafter in Georgien, Armenien und Aserbajdschan.
Der Schritt zurück in die Welt der Politik war anfangs schwer, weil er im Kloster viele politische Entwicklungen nur aus der Ferne mitbekommen hatte. Aber zunehmend fühlte er sich in der Diplomatie zuhause und konnte darin auch aus seiner Erfahrung im Kloster schöpfen. Er konnte Brücken bauen zwischen Ländern und verschiedenen Kulturen. »Kultur hat eigentlich einen Aspekt von Spiritualität in sich. Wenn man überhaupt keine Ahnung hat, was Spiritualität ist, dann ist es auch schwierig, wirklich in eine fremde Kultur einzudringen. Das fiel mir leichter als einigen meiner Kollegen.« Auch seinen eigenen spirituellen Weg ging er weiter und traf den indischen Zen-Meister Ama Samy, der auch Jesuit und Priester ist. Samy sagt von sich, dass er zu hundert Prozent Buddhist und zu hundert Prozent Christ sei.
Zunehmend beschäftigte sich Hans Gunnar Aden mit der Integralen Philosophie Ken Wilbers, die er schon zu Beginn seiner Zen-Praxis kennenlernte. Diese Entdeckung war für ihn ein großes Aha-Erlebnis: »Ich hatte den Eindruck, dass ich plötzlich verstand, was sich in der Welt ereignete, wie sich Gesellschaften und Menschen entwickeln können.«
Seit einigen Jahren ist er im Ruhestand und hat ein philosophisches Buch über Ken Wilbers Integrales Denken und ein autobiografisches Buch über sein Leben im Kloster geschrieben, das den Untertitel »Sehnsucht nach dem Heiligen« trägt. Diese Sehnsucht hat Hans Gunnar Aden sein Leben hindurch getragen und ins Kloster und zur Zen-Meditation geführt. »Dieser Begriff von Heiligkeit ist in unserer Gesellschaft heutzutage fast verlorengegangen«, erklärt er mir zum Ende unseres Gesprächs. »Aber es ist eine Dimension des Lebens und des Daseins, die für uns Menschen wichtig ist. Wir zerstören die Welt, weil wir sie nicht als heilig empfinden. Wir müssen wieder entdecken, dass die Natur beseelt ist. Und das Heilige ist auch wichtig, um einen Sinn zu finden für das Leben.«
Am Anfang seines Weges hatte das Heilige für Hans Gunnar Aden nur etwas mit der Kirche zu tun. Er sieht sich immer noch als einen Teil der katholischen Kirche, auch wenn ihm vieles darin nicht gefällt. Aber er entdeckte, dass das Heilige auch außerhalb der Kirche erfahrbar ist, in der Natur, in anderen Religionen und Weisheitstraditionen.
Mit dieser Erfahrung in der lebenslangen Suche nach dem Heiligen möchte Hans Gunnar Aden mit seinen Büchern und Seminaren zum Entwicklungsprozess beitragen, in dem wir als Menschen stehen. »Es ist eine interessante Zeit. In meiner Kindheit und Jugend waren spirituelle Fragen überhaupt nicht aktuell, heute sind sie mit Achtsamkeit und Meditation in der Gesellschaft angekommen. Es gibt eine Bewegung, unser Weltbild über den Materialismus hinaus zu entwickeln, und daran möchte ich mitwirken.«