Tracht & Performance

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Published On:

July 16, 2020

Featuring:
Teresa Distelberger
Categories of Inquiry:
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Issue:
Ausgabe 27 / 2020:
|
July 2020
Schönheit
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Im Tanz mit den Gegensätzen

Mario Sinnhofer aka Touched forscht an der Schnittstelle von sozialer Kunst, Wir-Raum-Arbeit, Spiritualität, Gender, Dialog und Körpererfahrung. Wir sprachen mit Mario ~ Touched über die Verbindung über scheinbar unauflösbare Gegensätze hinweg und die kreative Energie, die dabei frei werden kann.

evolve: Was ist der Grundimpuls, der dich in deinen vielfältigen Projekten bewegt?

Mario ~ Touched: Es ist die Lust am Entdecken und Erforschen von zwischenmenschlichen Möglichkeiten und am Finden und Erzeugen von Brücken zwischen scheinbar unvereinbaren Gegensätzen. Beim Projekt »Volxfest« zum Beispiel haben wir zeitgenössische Kunst einerseits und traditionelle alpenländischen Volkskultur (Volksmusik, Trachten und Volkstanz) andererseits verbunden. Das sind zwei Bereiche, die grundsätzlich sehr unterschiedliche Menschen und politische Lager erreichen. Uns als künstlerisches Team verbindet eine Liebe für beide Bereiche, und wir wollten eine Möglichkeit schaffen, dass diese auf andere Weise in Kontakt kommen.

Ein anderes Thema meiner Arbeit ist die Dynamik zwischen maskulin und feminin. Das hat mit meinem eigenen Lebensweg zu tun, weil die strikte Unterscheidung in zwei soziale Geschlechter für mein Wesen nicht passt. Ich empfinde mich als nicht-binär, und in meinen Aktionen möchte ich das auch für andere Menschen erfahrbar machen, indem ich beispielsweise ein Dirndlkleid anziehe. Wenn ich dann mit Leuten von einer Schuhplattlergruppe spreche, die in ihrem Leben noch nie einen Transgender oder genderkreativen Menschen getroffen haben, ist oft eine neue Begegnung möglich. Sie bemerken, dass das für mich keine »Verkleidung« darstellt, stellen mir Fragen und wir kommen auf eine Basis von Interesse und Verständigung.

e: Wie habt ihr beim »Volxfest« versucht, diese Brücken zu schlagen?

MT: Das »Volxfest« ist ein Trachten- und Volkstanzball. Es wurde in Oberösterreich im Rahmen des Festivals der Regionen mit einem 12-köpfigen Performer_innen-Team unter künstlerischer Leitung von Teresa Distelberger und Simon Mayer durchgeführt, und ich konnte einige essenzielle Teile dafür entwickeln. Teresa und ich haben als Vorbereitung für Besucher_innen des Volxfestes eine spezielle Trachtenwerkstatt angeboten. Bei unseren Recherchen in der Region fanden wir eine Trachtengruppe, die Goldhauben herstellt. Die Goldhaube ist ein kunsthandwerkliches Meisterstück und war früher ein Statussymbol für Bäuerinnen. Sie ist sehr filigran gestickt und aufwendig mit Goldfäden verziert.

Ich habe diese Gruppe kontaktiert. Da meine Eltern ein Trachtengeschäft haben, ich also mit Lederhosen und Dirndln aufgewachsen bin, und mein Großvater sein Leben lang Mitglied der Trachtenmusikkapelle war, bin ich stark in dieser Tradition verwurzelt. Das spürten die Frauen bei meiner Anfrage und wir trafen uns, um über eine Zusammenarbeit zu sprechen. Mit Wertschätzung für ihre Arbeit haben wir sie gefragt, ob sie Interesse hätten, etwas Neues auszuprobieren und mit ihrer Erfahrung das Volxfest mitzugestalten.

Dabei mussten wir zunächst einige unserer eigenen Vorurteile aufgeben, denn sie hatten in ihrer in der christlichen Tradition verwurzelten Nächstenliebe eine erstaunliche Offenheit für andere Kulturen und Lebensformen. Und als wir fragten, warum sie eigentlich zusammen an diesen Goldhauben arbeiten, zeigte die Obfrau auf ihren Solarplexus und machte Kreisbewegungen: »Wenn wir zusammensitzen, dann passiert hier etwas.« Dort sitzen oft drei Generationen beisammen in dieser meditativen handwerklichen Tätigkeit. Das haben wir aufgegriffen und in unserer Trachtenwerkstatt eine Stick-Meditation gestaltet. In der Mitte haben die Frauen an kleinen Tischen mit genügend Zwischenraum gestickt, und verteilt im Raum saßen Musiker_innen, die dazu zarte Töne frei improvisiert haben. Die Besucher_innen haben sich wortwörtlich mitten hineingesetzt in diese Stimmung im gemeinsamen Raum, den die Stickfrauen ganz zentral erzeugt haben. Das war ein erstaunliches Erlebnis, das für uns und viele Besucher_innen sehr bewegend war. Diese Aktion war der Höhepunkt des Tages, den wir unter anderem durch Dialoge in Kleingruppen vorbereitet haben, indem wir Fragen nachgingen wie: Was bedeutet für dich Heimat oder Tradition? Wo überall fühlst du dich zugehörig und verbunden? Dabei kamen Menschen aus dem ländlichen Umfeld ins Gespräch mit Kunstinteressierten aus einem urbanen Lebensstil.

DIESE MÖGLICHKEIT DES VERBINDENS ENTSTEHT DURCH DEN BEZUG AUF UNSERE MENSCHLICHE ESSENZ.

e: Warum ist das für dich, für euch so wichtig, mit unterschiedlichen Menschen zusammenzuarbeiten, um solche Räume zu schaffen?

MT: Es ist die Erfahrung, dass dieses Verbindende möglich ist, dass es unabhängig von den individuellen Lebensentwürfen, sei es ein Künstler aus Wien oder eine Bauersfrau aus Oberösterreich, diese Möglichkeit des Verbindens gibt durch den Bezug auf unsere menschliche Essenz. Das erfüllt mich mit einem tiefen Optimismus dem Leben gegenüber.

e: Mit welchen weiteren Projekten erforschst du diese Verbindung der Dimensionen?

MT: Zum einen sind es künstlerische Projekte, die mit Performance und Partizipation arbeiten, zum anderen möchte ich meine Erfahrungen mit immersiver und interaktiver Performance mit Seminaren und Workshops zu Körperarbeit verbinden. Wir haben gerade die erste Phase des Projekts »Jump!Star« abgeschlossen, bei dem wir während der intensivsten Zeit der Covid-19-Ausgangssperre über 21 Tage online Dialoggruppen in einen künstlerischen Kontext eingebettet haben. Während die Teilnehmenden nach unserer einfachen Anleitung Seilstücke aus ihren gebrauchten Textilien wie Leintüchern oder Kleidungsstücken erzeugten, konnten sie sich in dieser Stunde z.B. darüber austauschen, was ihnen in dieser Zeit der Isolation Halt gibt und was sie Verbundenheit erfahren lässt. Einige der Teilnehmenden kamen jeden Tag, und oft entstand ein unterstützender gemeinsamer Raum. Alle Seilstücke werden nun aus unterschiedlichen Teilen der Welt nach Wien geschickt, im Herbst zu einem langen gemeinsamen Seil als Symbol unserer Verbindung zusammengefügt und im Rahmen eines Festes in die Sammlung des Weltmuseum Wien aufgenommen.

Mit Teresa Distelberger gestalte ich auch den »Salon der Heimatgefühle« in Wien und mit einem Team von Kreativen den »Ecstatic Carneval«, den Katya Buchleitner ins Leben gerufen hat, um der Faschingstradition ihr transformatives Potenzial zurückzugeben. Es handelt sich um eine 12-stündige Veranstaltung – eine Kombination aus Seminar, interaktiver Performance, Ritual und Party mit Livemusik. Umrahmt von optionalen Halbtages-Workshops: »Eintauchen« zur Vorbereitung einen Monat davor und »Ungeschminkt Auftauchen« zur Integration des Erlebten zwei Wochen danach. Wir erschaffen am Carneval eine Art Schwellenraum zwischen Fiktion und Alltag, in dem die Menschen einerseits entweder in ein Potenzial eintauchen können, das schon bei ihnen anklopft, aber sich noch nicht im Leben manifestiert, oder sich andererseits mit Anteilen beschäftigen, die sie an sich – oder anderen – ablehnen.

Alle diese Projekte leben aus der kokreativen Zusammenarbeit, aus einer Kreationskultur, in der wir die Prozesse, die wir den Teilnehmenden anbieten, vorher und oft auch während der Veranstaltung gemeinsam ebenso im Team durchleben. In unserer Unterschiedlichkeit beziehen wir uns immer wieder auf die verbindende Absicht, uns als Menschen zu entfalten. Das ermöglicht einen offenen Raum zwischen uns, aus dem heraus sich etwas zeigen kann, das uns selbst überrascht. In den intensivsten Momenten erleben wir, wie sich das Wesen des Projekts durch uns – sowohl individuell als auch als Gruppe – Ausdruck verleiht.

Das Gespräch führte Mike Kauschke.

Author:
Mike Kauschke
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