Verabredung mit dem Herzen

Our Emotional Participation in the World
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Porträt
Published On:

October 24, 2022

Featuring:
Zainab Salbis
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Issue:
Ausgabe 36 / 2022
|
October 2022
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Zainab Salbis Weg aus dem Irak Saddam Husseins zur Aktivistin für Frauenrechte und Umweltschutz

Aufgewachsen als Frau in einer Diktatur, beschloss Zainab Salbi schon früh, ihr Leben den Frauenrechten zu widmen. Sie folgte diesem Ziel so engagiert, dass sie Jahrzehnte später von Oprah Winfrey zu einer der 25 Frauen, die die Welt verändern, ernannt wurde. Aber zunächst wuchs sie in Bagdad, der Hauptstadt des Irak, auf, wo ihre Familie zum engeren Kreis von Saddam Hussein gehörte. Dabei war ihr Leben von drei großen Kräften beeinflusst: Krieg, Angst und Liebe. Diese herausfordernde Mischung führte dazu, dass Salbi in ihrer Jugend herausfinden musste, wie sie mitten im Krieg leben sollte – immer in Angst, doch auch mit Lachen und Liebe. Sie hatte Glück, denn ihre Mutter war eine sehr liebevolle Frau, die sich unermüdlich für die Stärke und Unabhängigkeit ihrer Tochter einsetzte. Von ihrer Mutter lernte Salbi, dass niemand das Recht hat, sie zu berühren oder auf eine Weise mit ihr zu sprechen, die ihr nicht gefiel – auch wenn das oft im Widerspruch stand zu dem, was um sie herum geschah. Und es war ihre Mutter, an die sie sich mit 16 Jahren wandte und erklärte: »Wenn ich älter bin, werde ich Frauen auf der ganzen Welt helfen.« Ihre Mutter zögerte keinen Augenblick: »Das kannst du und das wirst du.«

Von dem Moment an zweifelte Zainab Salbi nicht mehr an ihrem Weg. »Vielleicht lag es am starken Glauben meiner Mutter an mich«, überlegt sie, »denn ich habe nie daran gezweifelt, dass ich tun kann, was ich mir vorgenommen habe.« Und wirklich hat Salbi alles erreicht, was sie sich vorgenommen hat – und noch mehr. Sie studierte Übersetzerin, ihr Fokus aber lag schon mit 23 Jahren auf den Rechten der Frauen und in den folgenden zwanzig Jahren auf dem Thema Frauen und Krieg. »Women for Women International«, eine von ihr gegründete gemeinnützige Organisation, konzentriert sich darauf, Frauen zu helfen, im Krieg zu überleben. Die Organisation unterstützt die Frauen mit Hilfsmitteln und Geldern, die sie für den Wiederaufbau oder, wenn nötig, das Weiterleben inmitten des Krieges benötigen. »Wenn ich einen Zauberstab und nur einen Wunsch frei hätte, würde ich ihn benutzen, um den Krieg auszurotten. Wir sind voller Geschichten, und wir werden uns weiterhin gegenseitig verletzen und gemein zueinander sein, doch Krieg ist einfach nur zerstörerisch – und wenn wir so weitermachen, werden wir uns selbst ausrotten.«

¬ DAS HERZ GIBT DIE RICHTUNG VOR, UND DER VERSTAND KANN DARAUF AUFBAUEN. ¬

Als Salbi erkannte, wie wichtig Geschichten sind, widmete sie sich in den folgenden zehn Jahren dem Verständnis der Geschichten von Frauen aus kultureller, wirtschaftlicher und politischer Sicht. In jüngster Zeit hat sie ihre Aufmerksamkeit auf Frauen im Klimawandel gerichtet. Weniger als zwei Cent von jedem für Klima- und Umweltprojekte gespendeten Dollar gehen an Frauen. Die von Salbi mitbegründete Organisation »Daughters for Earth« will das ändern, indem sie weltweit von Frauen geleitete und betriebene Projekte im Bereich Naturschutz, Rekultivierung und regenerative Landwirtschaft unterstützt.

Als ich Salbi frage, was das Lohnendste an ihrer anspruchsvollen Arbeit ist, antwortet sie ohne zu zögern: »Das Gefühl, eine sinnvolle Aufgabe zu haben. In meiner Arbeit kann ich spielerisch sein, sie füllt mich emotional aus. Und wenn das geschieht, entsteht Flow.« Dieser Flow ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Salbi ihr Engagement über so viele Jahrzehnte aufrechterhalten kann.

Doch als sie vor drei Jahren an einer unbekannten Virusinfektion erkrankte, die sie fast das Leben gekostet hätte, änderte sich ihr Weg, dem sie in den ersten Lebensjahrzehnten so unbeirrbar gefolgt war.

Als sie auf der Intensivstation im Krankenhaus lag und um Atem rang, dachte Zainab Salbi, dies seien ihre letzten Momente, und die Frage, die sich ihr in diesem Zustand zwischen Leben und Tod stellte, lautete nicht: Habe ich genug erreicht oder genug Menschen geholfen? Sondern: War ich in meinem Leben immer gütig und liebevoll zu mir selbst und anderen? »Diese Fragen kann niemand für dich beantworten.«

Obwohl Salbi sich dem Dienst am Menschen verschrieben hatte, erkannte sie, dass sie nicht wirklich verstanden hatte, was Freundlichkeit oder Liebe bedeuten. Dieser Aha-Moment der Erkenntnis, der bedeutendste in ihrem Leben, machte ihr klar: »Das Leben ist ein Fluss, es fließt zwischen dem Geben für das, woran wir glauben, und dem Geben für sich selbst. Nur anderen zu geben, funktioniert nicht, denn dann entsteht kein Fluss – selbst wenn man Frauen für den Klimaschutz mobilisiert. Und wenn der Fluss nicht spürbar ist, dann lebe ich mein Leben nicht richtig.«

Diese Erkenntnis veränderte alles. Salbi zog aus der Stadt in die Natur, wo sie die Verbundenheit mit den Bäumen und der Erde dazu inspirierte, von einer vegetarischen zu einer rein pflanzlichen Lebensweise überzugehen. »Wenn wir krank sind, verbinden wir uns mehr mit der Natur«, meint sie. »Wir lockern unsere Schutzpanzer und werden verletzlicher. Nach dieser Zeit fühlte ich eine enorme Loyalität gegenüber der Natur – sie war bei jedem Schritt meiner Genesung meine ›Cheerleaderin‹ – und ich wusste, dass ich es Mutter Erde schuldig war, einen Beitrag zu ihrer Gesundheit zu leisten, der über bloße politische Aktionen hinausging. Die Entscheidung, mich pflanzlich zu ernähren, war persönlich und emotional, gab mir Freude und schenkte mir Zufriedenheit.

Während ihrer anderthalbjährigen Genesungszeit entwickelte Salbi sieben persönliche Regeln für einen gesunden Tag. Obwohl jede der Regeln wichtig ist, kommt in unserem Gespräch am häufigsten diejenige zur Sprache, die sie »eine Verabredung mit meinem Herzen« nennt. So bezeichnet Salbi die Meditation und will so daran erinnern, dass das Herz seine eigene Sprache hat. »Wir haben uns von unserem Verstand leiten lassen, unserem brillanten und nützlichen Verstand, aber das ist nicht alles«, erklärt sie. »Genauso, wie die Ansichten der Frauen an den Rand gedrängt werden, wird meist auch das Herz an den Rand gedrängt. Indem ich mich mit meinem Herzen verbinde und in jedem Augenblick von seiner Weisheit lerne, tue ich etwas für die Welt und für mich. Es erlaubt mir, mich nicht nur auf meinen Verstand verlassen zu müssen.« Durch ihre Meditationspraxis kann Salbi in komplexen Momenten aus dem Herzen handeln und nicht nur aus dem Verstand. »Das Herz gibt die Richtung vor, und der Verstand kann darauf aufbauen.«

Obwohl Zainab Salbi für ihre Arbeit von ehemaligen US-Präsidenten (Clinton), führenden Magazinen (Foreign Policy) und bekannten Talkshow-Gastgeberinnen (Oprah) große Anerkennung erhalten hat, ist das nicht ihr Fokus. Stattdessen reflektiert sie über ihren eigenen Weg: »Wenn meine Art, mich mit der Erde zu verbinden, die Menschen inspiriert, fantastisch. Wenn nicht, auch fantastisch. Das hat nichts mit anderen zu tun.« Und doch sind mehr als drei Jahrzehnte, in denen Salbi sich für transformativen Aktivismus engagiert hat, ein beeindruckendes Engagement. Als ich sie frage, was ihr das ermöglicht hat, nennt sie mir ihre verbleibenden sechs Regeln für einen guten Tag: Gesund essen, Wasser trinken, in der Natur sein, Kunst erleben oder selbst kreativ sein, sich mit der Gemeinschaft verbinden und seine Bestimmung leben. »Plus die Verabredung mit meinem Herzen!«, lacht sie. Klar, all diese Dinge macht sie nicht jeden Tag, aber sie ist sich dessen bewusst, wenn sie es nicht getan hat. Und sie entschuldigt sich sogar bei ihrem Herzen, wenn sie zum Beispiel nicht meditiert hat, und verspricht, es am nächsten Tag nachzuholen.

Ich frage nach: »Was ist, wenn Sie sich überfordert fühlen? Oder wenn Sie sich erfolglos fühlen?«

»Ich gehe eine Stunde laufen und fühle mich danach verjüngt.«

»Das ist alles?«, frage ich.

»Worüber auch immer ich mich geärgert haben mag, ist irrelevant, sobald ich es im größeren Rahmen betrachte.«

Diese Balance zwischen herzlicher Hartnäckigkeit und hart erkämpfter Gelassenheit bleibt mir nach unserem Telefonat noch lange in Erinnerung.


Author:
Miranda Perrone
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