Wege zur Wirklichkeit

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Published On:

October 24, 2022

Featuring:
Silja Graupe
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Issue:
Ausgabe 36 / 2022
|
October 2022
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Die Kraft der unmittelbaren Erfahrung


In unserem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handeln spielt die Vorstellungskraft kaum eine Rolle oder wird instrumentalisiert, um den Status quo zu stützen. Silja Graupe beklagt diesen Verlust schöpferischer Imagination und möchte als Philosophin und Ökonomin neue Räume öffnen. Sie fragt: Was verlieren wir, wenn der Bezug zur unmittelbaren Erfahrung schwindet, der wir uns auch durch ein bildhaftes Denken nähern? Und wie können wir unsere gemeinsame Gestaltungskraft neu entdecken?


evolve: Eigentlich ist unsere Vorstellungskraft doch jener innere Ort, an dem die Zukunft entsteht. Sobald wir uns etwas vorstellen können, entsteht eine Kraft, Dinge wirklich werden zu lassen. In unserer heutigen Gesellschaft hat die Vorstellungskraft aber so gut wie keinen Platz. Wir denken nicht daran, welche Gesellschaft wir wollen, sondern wir antworten auf systemische Notwendigkeiten. Die Klimakatastrophe macht das alles nicht leichter. Geht uns in all dem unsere Vorstellungkraft verloren?

Silja Graupe: In unserer Kultur wird die Vorstellungskraft kaum thematisiert. Das hat auch mit dem vorherrschenden rationalistischen Menschen- und Weltbild zu tun. Die Naturwissenschaft versuchte einen Raum der Erkenntnis zu bilden, der unabhängig von unserer menschlichen Erfahrung ist, denn unsere Erfahrungen sind chaotisch. Die Naturwissenschaften, die Mathematik, aber auch die Ökonomie haben einen Vorstellungsraum entwickelt, der nach strengen Regeln funktioniert. Diese Regeln sollten für alle gleich gültig sein. Natürlich basiert auch die Mathematik auf der menschlichen Vorstellungskraft. Aber im Kern ist sie von klaren Strukturen durchdrungen, die nichts mit unserer Erfahrungswelt zu tun haben. Unsere Erkenntnis, so das Ideal, sollte nicht durch negative oder positive Erfahrungen gestört werden, auch nicht durch Zukunftsbilder. Wissenschaft ist die Austreibung von Erfahrung, letztlich kultiviert sie einen »Tod der Erfahrung«. Das gilt für viele Bereiche, auch für die Bildung.

Wir denken auch bildhaft

e: Was hat das mit Zukunftsbildern zu tun?

SG: Unsere Vorstellungskraft selbst bezieht sich zunächst nicht auf die Zukunft. Sie eröffnet die Möglichkeit, für unsere Erfahrungen mit der Natur, mit sozialen und auch spirituellen Wirklichkeiten Symbole, Bilder, aber auch körperliche Ausdrucksformen wie im Tanz zu finden. Auf diese Weise schaffen wir im Austausch mit anderen eine Sphäre des Kommunikativen – eine eigene Sphäre, in der etwas Gemeinsames entsteht.

In der Welt der Vorstellungskraft, der Imagination, herrscht nicht die Eindeutigkeit einer abstrakten Rationalität. Hier zeigt sich eine Vieldeutigkeit, aber hier entsteht auch ein Resonanzraum, vergleichbar mit einer Symphonie oder der polyphonen Musik. Unsere Vorstellungskraft ist ein gestalterisches Vermögen und viel mehr als eine individuelle, künstlerische Fähigkeit. In ihr zeigt sich das Wesentliche von Gemeinschaft und Gesellschaft, das durch ein rationalistisches Verständnis oft verdeckt wird. Aus unserer Vorstellungskraft entwickelt sich ein gemeinsamer Sinn für das Mögliche, ein Möglichkeitssinn, der Menschen verbinden kann.

Wir sind nicht nur rationale Wesen, wir denken auch bildhaft. Die Psychologie und der Behaviorismus haben das Bildhafte in das Unbewusste verschoben, als sozial vermittelte Bilder, auf die wir mit unserem Unbewussten reflexhaft reagieren. Die behavioristische Psychologie versteht die Vorstellungskraft nicht als ein aktives Potenzial. Sie betrachtet uns als eine Masse, die auf dumpfe Weise bestimmte Bilder in sich gespeichert hat. Und in dieser Sichtweise hat eine Elite – egal welcher Couleur, ob jetzt politisch oder wirtschaftlich interpretiert –, die Aufgabe, die Masse auf der Basis dieser Bilder zu steuern. Das bezeichnen wir als Marketing oder PR.

e: Aber selbst unser naturwissenschaftlich-­mathematisches Weltbild ist doch ein Vorstellungsraum. Auch diese Weltsicht besteht nicht nur aus Berechnungen. Sie hat auch eine imaginative Kraft, die uns die Welt auf eine letztlich berechenbare Weise darstellt. Auch unsere sogenannte objektive Wirklichkeit ist in sich zumindest zum Teil ein Produkt unserer Vorstellungskraft.

¬ AUS UNSERER VORSTELLUNGSKRAFT ENTWICKELT SICH EIN GEMEINSAMER SINN FÜR DAS MÖGLICHE. ¬

SG: Dabei wurde alles Subjektive ausgetrieben, denn Subjektivität ist immer erfahrungsgebunden. Zuerst suchte die Wissenschaft Objektivität in der äußeren Welt. Das hat aber nicht funktioniert. Wir haben nichts Festes in dieser Welt gefunden, was unserer eigenen menschlichen Erfahrung so etwas wie einen Anker geben könnte. Später wurde dann versucht, das Objektive nicht in der Welt da draußen zu suchen. Jetzt stehen die mathematischen Strukturen im Bewusstsein im Vordergrund. Anfang des 20. Jahrhunderts hegte man die Hoffnung, dass man logische, mathematische Strukturen im Bewusstsein finden könnte, und die Ingenieurwissenschaften und die Ökonomie haben dann versucht, die Welt nach diesen Strukturen zu gestalten.

Mathematik verbindet. Sie schafft eine gemeinsame Sprache, eine Art lingua franca. Aber sie wird zum Problem, wenn wir uns nur auf formale Strukturen verlassen. Denn aus einer scheinbaren mathematischen »Objektivität« heraus wurden Strukturen geschaffen, die den Planeten zerstören.

Wir brauchen unsere Vorstellungskraft, um die Diskrepanz zwischen einer scheinbar objektiven Welt und unseren subjektiven Erfahrungen zu erkennen. Wir sollten diese Entfremdung wahrnehmen, um dem Ausdruck zu geben, was wir tatsächlich erleben und erfahren. Nur auf diese Weise können wir darüber in einen Austausch kommen. Diese Vorstellungskraft können wir nicht allein als Individuen entwickeln, denn wir sind immer schon in einen kommunikativen Raum hineingeboren. Ich kann nicht auswählen, ob ich als Kind Deutsch oder Japanisch lerne, obwohl es eine andere Form der Weltwahrnehmung eröffnet. Ich kann mir als Kind nicht aussuchen, ob ich in eine christliche oder eine andere Symbolwelt hineingeboren werde, in der bestimmte Erfahrungen jahrhundertelang durch Symbole transportiert wurden, durch die ich an der Kommunikation teilhaben kann.

Das Symbolsystem der Gemeinschaft besteht vor den Individuen. Aus ihm heraus entsteht die Symbolhaftigkeit unserer Welt. Und erst dieser Symbolgehalt eröffnet einen gemeinschaftlichen Gestaltungsraum. Genau darin sehe ich die Aufgabe für eine transformative Wissenschaft. Wir müssen für Probleme wie die Klimakrise den richtigen Ausdruck und die richtigen Symbole schaffen, um für uns neue Potenziale des Handelns zu finden.

Neue Handlungsräume

e: Gibt es Beispiele für solch eine transformative Wissenschaft?

SG: Wir arbeiten in vielen Bereichen mit Narrativen. Das sind Informationen, die man aus rein quantitativen Studien nicht herauslesen kann. Wenn wir in Krankenhäusern arbeiten, fragen wir das Personal, die Kranken oder Sterbenden nach ihren Erfahrungen und nach ihren Erlebnissen. Da hört man unfassbare Geschichten: wie Sterbenden im letzten Moment ein Handy gereicht wurde, um sich von ihren Familien zu verabschieden, oder wie man versucht, Menschen würdevoll umzubetten. Und man hört natürlich auch Geschichten des Scheiterns, aufgrund von begrenzenden Strukturen.

Wir sammeln diese Geschichten, aber wir geben denen, die sie erzählen, auch die Möglichkeit, sie selbst zu interpretieren. Wir fragen: »Was ist dir besonders wichtig gewesen? Warum hast du so gehandelt? Handelst du, weil es Regeln gibt, oder aus einem Verantwortungsgefühl? Oder handelst du, weil du eine Vision von einer besseren Welt hast?«

¬ WIR LEBEN IN EINER UNGEHEUREN BILDERFLUT UND VERLIEREN DIE WIRKLICHE ERFAHRUNG DAHINTER. ¬

Daraus entwickeln wir Instrumente, um in Unternehmen oder in unserem Beispiel in Krankenhäusern ins Gespräch zu kommen, gerade auf politischen Ebenen, um auf diese Weise neue Handlungsoptionen zu eröffnen. Das wird heute als Sinnstiftung, Sense Making, bezeichnet und umfasst eine bestimmte Form von Narrativen. So erschließen sich aus dem Wechselspiel von Vorstellungskraft und Erfahrungen auf ganz konkrete Weise neue Handlungsräume.

e: Gerade unser Gesundheitswesen braucht dringend einen radikalen Blickwechsel. Die moderne Medizin hat sich aus einer objektivierbaren, quantifizierbaren Verständnisweise von Gesundheit und Krankheit entwickelt. Aber unsere Erfahrungsräume spielen dort keine zentrale Rolle. Die Erfahrungsräume zeigen sich erst in den Narrativen. Wie erlebt man es denn, in diese Maschinerie des Krankenhauses »eingeliefert« zu werden? Schon das Wort »eingeliefert« besitzt ja seine eigene, imaginative Erkenntniskraft.

SG: Ja, und ohne unsere Erfahrungsräume haben wir keine Gestaltungskraft. Wir haben ungefähr 750 Unternehmer zu ihrer Handlungsfähigkeit in der Corona-Krise befragt. Sehr wenige waren fähig, eine Geschichte mit einem Anfang, einer Transformation und einem Ende zu erzählen, eine Geschichte, in der sie sich als handlungsmächtig erfahren. Statt »ich habe«, »wir haben« sind es häufig passive Erzählstrukturen wie »der Staat hat«, »wir konnten nichts tun, weil«. Es gab wenig Visionskraft im Sinne des Zukunftsfähigen. Die Selbstbeschreibung, die Interpretation, vor allem die Möglichkeiten mit der eigenen Erfahrung umzugehen, erweisen sich als begrenzt. Durch Bildung, Workshops und Medien versuchen wir diesen blinden Fleck sichtbar zu machen.

Möglichkeiten der Verständigung

e: Solche Erzählungen sind ja nie privat, sie sind Verständigungsräume. In ihnen können wir uns begegnen. Wir kommen in einem gemeinsamen Bild, in einer gemeinsamen Geschichte zusammen. Quantitative Fakten erreichen uns nicht auf dieser Ebene. Aber die Art und Weise, wie wir zum Beispiel in der Corona-Krise Staatsmacht erleben, wie wir in einem Krankenhaus aufgenommen werden, ob wir dort Menschen begegnen oder uns einer Maschine ausgeliefert fühlen, darüber können wir nicht allein in Zahlen sprechen. Eine ausschließlich quantifizierbare, messbare Welt verödet.

SG: Wir haben mittlerweile ein Riesenproblem, weil viele Menschen den Pflegeberuf verlassen. Erforderlich sind Gestaltungsallianzen zwischen denen, die sich eine bestimmte Art von Pflege vorstellen, und denjenigen, die mit Finanzierung, Strukturierung, politischen Rahmenbedingungen den systemischen Ort dafür gestalten. Hier können Allianzen gefunden werden, um konkrete Formen der Veränderung auf den Weg zu bringen, wie z. B. weniger Bürokratie und mehr Zeit für Patienten.

Es ist offensichtlich, dass sich die Idee, den Menschen auf das rein Rationalistische zu reduzieren, nicht erfüllt hat. Der Mangel, der dadurch entsteht, zeigt sich jetzt auf dumpfe Weise in der Politik. Im Populismus werden gesellschaftliche Bilder verdichtet und vereinfacht. Wenn diese Bilder nicht differenziert gestaltet werden, wird der Mensch anfällig dafür, durch politische Propaganda, aber auch durch Konsumismus und Marketing emotional gesteuert zu werden. Wenn wir nicht fähig sind, die Komplexität und Mehrdeutigkeit unserer Erfahrung gemeinschaftlich zu kommunizieren und zu teilen, dann verdichtet sie sich auf einen Punkt, der dann ausbeutbar wird.

Angesichts der populistischen Strömungen dürfen wir als Wissenschaftler nicht mehr nur forschen, messen, zählen und wiegen. Wir müssen stattdessen die Menschen befähigen, sich über sich selbst und ihre Vorstellungskraft individuell und gemeinschaftlich aufklären zu können, um dann Lösungen zu finden für die Probleme, die sich tatsächlich zeigen. Das ist keine Wissenschaft von oben im Sinne von »Wir als Experten forschen für euch Laien.« Denn unsere Situation in konkreten Erfahrungssituationen ist so komplex, dass wir sie nicht steuern können. Dieses Metawissen besitzen Expertinnen nicht. Wissenschaftlich tätige Menschen sollen anderen helfen, sich selber ein Bild zu machen und selbst Lösungsmöglichkeiten zu finden.

e: Wenn wir diese Verständigungsebene ausklammern, dann können diese Bilderwelten sich in destruktiver Form zeigen wie bei den Verschwörungsmythen von QAnon, wo Fantasiegeschichten eine erstaunliche gesellschaftliche Wirkung erzielen. Ist die Antwort darauf eine Kultur, in der wir unsere konkreten Erfahrungswelten in konkrete Vorstellungen über eine Neugestaltung von Systemen und der Gesellschaft übersetzen?

SG: Nehmen wir das konkrete Beispiel des Rechtspopulismus und seiner Ausländerfeindlichkeit. Darin wird ein Konglomerat an Ängsten und Sorgen ausgenutzt, die es in der Erfahrung der Menschen ja wirklich gibt. Wenn die tieferen Probleme nicht gelöst werden, entsteht daraus ein Gefühl von Angst, das dann von Rechtspopulisten angesprochen wird. Es werden Schuldige gesucht, wie »die Ausländer«. Unsere eigene Identität wird unterstützt durch ein »Wir gegen die anderen«.

Das alles hat mit den Ursachen gesellschaftlicher Probleme gar nichts zu tun. Wir erleben eine Verdichtung von Komplexität in Stereotypen, die dann nicht über den Möglichkeitssinn, sondern über Angst verhandelt werden. Und wie Walter Ötsch sagt: Die Populisten machen eines richtig. Sie nehmen die Menschen in ihren Ängsten scheinbar ernst und gehen auf sie ein – auf eine desaströse Weise für die Gesellschaft. Hier kann eine rationalistische Politik, die sagt, dass es die symbolische Ebene nicht gibt, auch nicht helfen.

Der dritte Weg liegt darin, Ausdrucksmöglichkeiten und gemeinsame Gestaltungsräume zu schaffen, um der Ursache für ein Angstgefühl auf einer Ebene zu begegnen, wo Menschen sich selber als Gestalter erfahren können. Dazu gehört der Abbau von Stereotypen durch die Erfahrung, dass die anderen auch Menschen sind, die sich wie ich um den Zusammenhalt der Familie, um Gesundheit, um ein gutes Leben sorgen. Davon ausgehend kann man auf einer gemeinschaftlichen Ebene Maßnahmen ergreifen, um diesen Menschen Sicherheit zu geben oder sie zu befähigen, mit Angst umzugehen.

Verlust von Erfahrung

e: Wie kann man sich einen solchen dritten Weg in einer konkreten Weise vorstellen?

SG: Ich sehe es als Bildungsaufgabe, so früh wie möglich über rein rationalistisches Faktenwissen und stereotype Bilder hinauszugehen. Formen des erfahrungsbasierten Lernens sollten einbezogen werden, aus der konkreten Lebenswelt, seien es Krankenhäuser oder Stadtteile. Dann können wir die Symbolwelten aus konkreter Erfahrung schöpfen. Bürgerräte wären ein Prozess, um Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen zu befähigen, sich zu einer Sache eine gemeinsame Vorstellungswelt zu bilden und danach zu entscheiden. Entscheidungen sollten von den Menschen getroffen werden, die tatsächlich eine problematische Erfahrung teilen. So können wir zu Entscheidungsprozessen kommen, die nicht stereotypisiert und auch nicht rein rationalistisch ablaufen.

Aber ich bin auch skeptisch. Sehr viel ökonomische und politische Macht wird über die stereotypisierten Bildwelten gesteuert. Deshalb ist das Interesse an einer solchen Form der neuen Aufklärung, wie man es nennen könnte, nicht besonders groß. Umso wichtiger ist es, diese gemeinschaftliche Imagination wiederzubeleben.

e: Unsere Bildwelten werden heute durch die Massenmedien oder das Internet geprägt. Hier finden wir wenig Gemeinschaftlichkeit. Ist es dann nicht entscheidend, dass wir Orte der Gemeinschaftlichkeit bilden – auch im Internet –, damit sich dort diese Kraft formen kann?

SG: Wir leben in einer massenmedialen Gesellschaft. Wir bilden uns eine Meinung auf Basis von medial vermittelten Bildern, ohne die Möglichkeit einer eigenen Erfahrung. Zum Beispiel im Ukraine-Krieg: Wir sind alle nicht vor Ort. Wie können wir uns angesichts dessen als Gesellschaft auf Bilder einigen? Das können wir gegenwärtig nicht mehr durch die unterschiedlichen Medien. Die Frage ist: Wie steuern wir die bildschaffenden Medien, auf denen unsere demokratischen Entscheidungen beruhen? Wie lassen sich unabhängige Institute oder Kontrollmechanismen schaffen? Wie lässt sich Bildaufklärung betreiben, damit die Bürger wissen, was Bilder sind und wie sie wirken?

In einer massenmedialen Gesellschaft werden Entscheidungen aufgrund von Bildern getroffen, weil Ereignisse nicht direkt erlebt werden, aber trotzdem betroffen machen. Hier bräuchte es eine aufklärerische Haltung und ein Vertrauen in Institutionen, die diese Bilder schaffen. Dieses Vertrauen ist bei den Menschen in hohem Maße erodiert. Deshalb sollten wir die Bilder, auf deren Grundlage wir unsere Entscheidungen gemeinsam treffen, auch gemeinsam formen. Das sind Fragen des Journalismus, des öffentlichen Gesprächs, des Dialogs. Wenn die Wissenschaft aber darauf beharrt, dass die eigenen Bilder wahre Bilder sind, und deren Entstehung nicht kommuniziert, dann haben wir ein gesellschaftliches Problem – und die Wissenschaft hat das Problem ihrer Akzeptanz.

Wir leben in einer ungeheuren Bilderflut und verlieren die wirkliche Erfahrung dahinter. Ein Beispiel ist der Umgang mit Sterben und Tod. Weite Teile der Gesellschaft verhindern es, sich mit diesem Thema ernsthaft auseinanderzusetzen und Erfahrungen damit zu machen, bevor man selber unweigerlich in dieser Situation ist. Hier bräuchte es Erfahrungsräume, um die Zerbrechlichkeit von Leben und von Welt zu erfahren, sagbar zu machen und gestalten zu können. Wenn man solche Räume möglich macht und sie erleben kann, kann eine tiefe Ruhe und eine enorme Gestaltungskraft entstehen.

Author:
evolve
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