Wir sind die Lösung

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Published On:

October 19, 2016

Featuring:
Prof. Karen O’Brien
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Issue:
Ausgabe 12 / 2016:
|
October 2016
Was können wir tun?
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Die menschliche Dimension des Klimawandels

Wir betrachten den Klimawandel zu technokratisch, meint die Anthropogeografin Karen O’Brien. Im Gespräch mit evolve erklärt sie, warum der notwendige Systemwandel ein neues menschliches Selbstverständnis erfordert, und zeigt Wege auf, wie persönliche und strukturelle Transformation sich verbinden können.

evolve: Welches sind für dich die größten Herausforderungen in deiner Arbeit gegen den Klimawandel?

Karen O’Brien: Eine wichtige Frage ist, wie wir uns an den Klima­wandel anpassen können. In meiner Arbeit gehe ich davon aus, dass dies nur durch Transformationsprozesse möglich sein wird. Dazu untersuche ich die Verbindungen zwischen Kreativität, Empowerment, Flexibilität der Narrative und Zusammenarbeit. Die Anpassung an den Klimawandel ist eine evolutionäre Herausforderung, bei der wir verstehen müssen, dass wir tatsächlich die Zukunft mitgestalten.

Als Forscherin habe ich die Folgen des Klimawandels untersucht und was diese für die Sicherheit der Menschen bedeuten. Ich habe den Eindruck, dass wir momentan das falsche Problem anvisieren. Wir betrachten den Klimawandel als ein technisches Problem, das mit den Kohlendioxidemissionen zu tun hat. Es ist aber mehr als das – es ist eine adaptive Herausforderung, die auch unsere Glaubenssätze, Werte und Weltsichten umfasst. Wir sollten nicht nur die praktischen, technologischen und verhaltensmäßigen Aspekte berücksichtigen, sondern auch die persönlichen und politischen Aspekte. Für einen sozialen Wandel als Lösung für den Klimawandel müssen wir die Menschen mobilisieren und die persönliche und politische Mitgestaltung ansprechen, statt uns nur auf Technologien und Investitionen zu konzentrieren. Menschen dazu zu bewegen, dass sie einen niedrigen Kohlendioxid-Fußabdruck haben, ihren Müll trennen und mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, ist ein Teil der Lösung. Aber wir müssen auch über einen Systemwandel sprechen, bei dem es darum geht, eine ganz neue Welt zu gestalten. Wir müssen Machtbeziehungen ansprechen, statt nur Einzelne aufzufordern, ihr Verhalten zu ändern. Die wahre H­e­rausforderung ist die Unterstützung einer sozialen Transformation, eines Systemwandels mittels kolaborativen Handelns.

¬ Das Transzendieren von Paradigmen ist der stärkste Ansatzpunkt für einen Systemwandel. ¬

Und wir müssen verstehen, dass sozialer Wandel nicht linear verläuft. Es gibt ein neues Forschungsfeld, das sich Quantum ­Social Theory nennt. Die Sozialwissenschaften wurden ursprünglich auf der Basis des Newtonschen Paradigmas begründet, was zu einer positivistischen Sozialwissenschaft führte, die von einer materialistischen, deterministischen Weltsicht geprägt ist. Eine Reihe von Forschern hinterfragt diesen Ansatz und überlegt, wie eine zeitgemäße Sozialwissenschaft aussehen könnte. Sie würde wahrscheinlich nicht deterministisch, individualistisch und materialistisch geprägt sein, weil sich die heutige Physik vielmehr mit Wahrscheinlichkeit, Nicht-Linearität, Nicht-Lokalität und Verschränkung befasst. Das ist sehr wichtig – denn laut Donella Meadows ist das Transzendieren von Paradigmen der stärkste Ansatzpunkt für einen Systemwandel. In Bezug auf das Systemdenken erklärt sie, dass der schwächste Ansatzpunkt die Parameter sind, die Variablen und Zahlen – die kleinen Dinge, mit deren Veränderung wir viel Zeit verbringen und von denen wir uns große Veränderungen erhoffen. Technische Ansätze konzentrieren sich oft allein auf diese Parameter, aber weitaus mehr Wirkung liegt darin, die Regeln und Ziele des Systems und das Paradigma, aus dem es entsteht, zu beeinflussen.

e: Macht dich dieses systemische Verständnis optimistisch, dass wir dem Klimawandel effektiv begegnen können?

KO: Wenn ich an Treffen mit Wissenschaftlern teilnehme, bleibt mir fast die Luft weg und ich spüre Verzweiflung. Sie sprechen über Temperaturszenarien, den Zustand des Eisdecke Grönlands und das Eis der Antarktis. Wenn man nur all diese wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammenbringt, kommen einem die Tränen. Aber wir müssen ebenfalls anerkennen, dass es einen großen Unterschied macht, ob der Meeresspiegel in diesem Jahrhundert um 30 Zentimeter ansteigt oder um vier Meter, und es gibt einen großen Unterschied zwischen 1,5 und vier Grad Temperaturwandel. Ich glaube nicht, dass die Menschen diese Unterschiede wirklich begreifen und wie viel davon abhängt. Das legt nahe, dass wir anders über den Klimawandel reden müssen, weniger abstrakt, di­stanziert und entmutigend. Wir müssen die Mensch-Umwelt-­Beziehung verstehen, die unsere Beziehungen untereinander und mit der Zukunft einschließt.

e: Wie kann jeder von uns zu diesem Gesellschaftswandel beitragen?

KO: Wir brauchen eine individuelle Gestaltungskraft, die nicht im Individualismus gefangen ist, sondern in der wir erkennen, dass wir verbunden sind. Dafür brauchen wir Narrative, die Menschen zeigen, dass sie wichtig sind – in der Tat wichtiger, als sie denken. Durch unser Handeln beeinflussen wir Menschen in verschiedenster Weise, aber nicht immer direkt und kausal. So wie Bedeutungen und Geisteshaltungen sich verändern, können sich Ideen durch soziale Verknüpfung verbreiten. Ideen, die einst undenkbar oder ein Tabu waren, werden normal und leuchten immer mehr Menschen ein und unsere Institutionen und rechtlichen Rahmenbedingungen entwickeln sich. So wie mit der Homo-Ehe, die in vielen Ländern normal und gesetzlich verankert wurde, befinden wir uns in einem Prozess der Normalisierung einer neuen Welt.

¬ Die Verheißung spiritueller Praxis ist auch das Finden einer inneren Ganzheit und Einfachheit. ¬

Es ist nicht leicht, die Glaubensvorstellungen, Werte und Welt­anschauungen von anderen zu ändern. Um sich mit Menschen zu verbinden, die nicht notwendigerweise die gleiche Weltsicht haben, benötigen wir die Kraft der Zusammenarbeit, eine Flexibilität unserer eigenen Überzeugungen und die Fähigkeit, uns unserer eigenen Absichten und Projektionen bewusst zu sein. Wir müssen nicht nur lernen, mit größeren Gruppen und Systemen zusammenzuarbeiten, sondern als größere Gruppen und Systeme. Systeme sind im Grunde Beziehungen, deshalb können individuelle Initiative und innerer Wandel einen signifikanten Unterschied beim kollektiven Wandel machen.

e: Wie kann ein solcher Wandel möglich werden?

KO: Eine unserer Herausforderungen besteht darin, die Menschen darin zu unterstützen, die Fähigkeiten zu entwickeln, um durch komplexe und herausfordernde Zeiten zu gehen. Wenn die Situation schwierig und unangenehm wird, ist unsere erste Reaktion oft, uns zu verengen und nach höheren Mauern und mehr Schutz zu rufen. Wenn immer mehr Stressfaktoren im Zusammenhang mit dem Klimawandel auftauchen, ist die Frage: Werden wir uns verengen oder wachsen?

Kürzlich war ich auf einem Treffen von Wissenschaftlern, auf dem über Wendepunkte des Ökosystems der Erde diskutiert wurde, wie das Schmelzen des Eispanzers in Grönland oder das Austrocknen des Amazonas. Das ist natürlich wichtig, aber wenn man eine deterministische, düstere Zukunft zeichnet, entzieht man den Menschen die Kraft, sich zu engagieren und zu handeln. Wir vergessen, dass es auch Wendepunkte für menschlichen und sozialen Wandel gibt und dass diese Entwicklung nicht linear verläuft. Wir können tatsächlich etwas tun und Veränderung kann schneller vonstattengehen, als wir uns vorstellen können. Damit das passiert, müssen wir die Bedingungen schaffen, die Transformation unterstützen und vielversprechende Felder nähren. Überall gibt es Menschen, die das verstehen, und es gibt so viele Initiativen, die innerhalb und außerhalb des Mainstreams tätig sind. Wenn sich genug Menschen persönlich, politisch und praktisch in der Transformation zur Nachhaltigkeit engagieren, könnten wir überrascht sein über die Geschwindigkeit des Wandels.

Das Gespräch führte Elizabeth Debold.

Author:
Dr. Elizabeth Debold
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