Lokale Entwicklungsarbeit zwischen Oberbayern und Afrika
Als viele Flüchtlinge in das beschauliche Prien am Chiemsee kamen und einige von ihnen keine Perspektive in Deutschland sahen, wuchs eine Initiative, um sie bei ihrer Rückkehr und Existenzgründung zu unterstützen. Helke Fussell war als Impulsgeberin von Anfang an dabei und reflektiert über die Möglichkeiten und Herausforderungen gelebter interkultureller Partnerschaft.
evolve: Was ist das Grundanliegen eures Vereins und deiner Arbeit?
Helke Fussell: Unser Verein heißt »Vision Yamalé«. Yamalé ist ein Wort aus dem Wolof, der Landessprache im Senegal, und bedeutet gleiche Augenhöhe und Balance. Das ist für die Leute im Senegal ein sehr wichtiges Wort, weil sie im Alltag viele Erfahrungen mit Situationen machen, in denen sie nicht auf gleicher Augenhöhe behandelt werden. Die Kolonialstrukturen, die immer noch existieren, und die politische Elite, die sich wenig um die Bedürfnisse der Bevölkerung kümmert, schaffen ein Hierarchiegefälle und verursachen bei den Menschen ein Gefühl von Ohnmacht. Insofern war es unser Anspruch, auf gleicher Augenhöhe in Kontakt zu treten.
Der Untertitel des Vereins ist »Rückkehrund Aufbauprojekte in Afrika«. Diese Ausrichtung ist die Folge aus unserem ersten Projekt. Wir haben uns auf den Weg gemacht, als hier in Prien am Chiemsee viele Flüchtlinge ankamen und die Menschen im Ort, aber auch viele der Geflüchteten überfordert waren. In dieser Zeit hatte ich mit Einzelnen Kontakt, insbesondere mit einem Senegalesen namens Babakar, der Analphabet war und für den feststand, dass er hier kaum eine Perspektive hat. Auch er wollte zurück in sein Heimatland und es schien, dass er sich dort besser einbringen könnte. So entstand die Idee, ihn zu unterstützen, damit er zurückgehen und in seinem Land etwas bewirken kann.
Die jungen Männer, die aufgebrochen sind und das Risiko der gefährlichen Reise auf sich genommen haben, sind die Persönlichkeiten, die Verantwortung übernehmen können. Wir haben Geld gesammelt und konnten Babakars Rückkehr ermöglichen und unsere Erfolgsgeschichte stieß auf große mediale Aufmerksamkeit.
Der Verein möchte das Tabu zum Thema Rückkehr brechen. Denn viele Flüchtlinge, die hier keine Bleibeperspektive haben, trauen sich gar nicht, an die Rückkehr zu denken, weil sie Angst haben – vor den Erwartungen der Familie, vor der Perspektivlosigkeit im Land. Wir wollen vermitteln, dass es auch in ihren Ländern Möglichkeiten gibt und sie dort gebraucht werden. Diejenigen, die sich dazu entschließen, begleiten wir und suchen nach dem besten Weg. Manche brauchen Geld, manche etwas Führung oder Austausch. Wenn die Leute im Land sind, dann halten wir Kontakt und begleiten den Prozess. Wir wollen ihnen nichts überstülpen, sondern es soll aus ihrem Bedürfnis und aus der eigenen Motivation heraus entstehen. Dann werden die Projekte auch stabil und nachhaltig.
e: Kannst du uns das an einem Beispiel veranschaulichen?
HF: Wie gesagt, der erste Flüchtling, den wir begleitet haben, war Babakar, ein richtiger Charismatiker, ein Bühnenmensch, der hier auch in Tanzprojekten mitwirkte. Im Senegal besitzt seine Familie etwas Land. Wir haben mit ihm geplant, dort eine Landwirtschaft aufzubauen. Für Sämereien und eine Hühnerzucht haben wir eine Grundinvestition gegeben. Mit dem wenigen Geld, das er verdient hat, wollte er ein Restaurant an der Hauptstraße bauen. Ihm als Bühnenmensch wurde es auf dem Acker zu langweilig. An dem Gebäude, das er baute, stand »Prime am Kinze« – Prien am Chiemsee. Viele hatten größte Sympathie für ihn und so konnten wir ausreichend Geld sammeln, um die Fertigstellung des Restaurants zu finanzieren.
Im Restaurant hat er das Gemüse und die Hühnchen weiterverwertet und damit eine Wertschöpfungskette geschaffen. Es lief recht schnell rentabel. Als Nächstes wollte er einen Veranstaltungssaal bauen und ein Catering anbieten. Zu dem Zeitpunkt war ich auch dort und habe mir sein Projekt angeschaut. Dabei bemerkte ich das Potenzial solch eines Saales, in dem man auch Fortbildungen veranstalten kann, denn Bildung ist für die Menschen dort so wichtig, auch eine Aufklärung über illusionäre Ideen wie das »Paradies Europa«. Wir haben ihn weiter unterstützt. Er hat jetzt insgesamt zehn Mitarbeiter, die ein regelmäßiges Gehalt verdienen, und schafft es, rentabel zu wirtschaften.
Gerade komme ich aus dem Senegal zurück. Babakar und ich waren zu einer Konferenz eingeladen, die unter dem Titel »Aufklärung über Migration« vom Auswärtigen Amt mit ausgerichtet wurde. Wir durften über unsere Erfahrungen sprechen. Wer hätte es gedacht, dass unser Projekt einmal solche Kreise zieht?
e: Wie erlebst du diese Umsetzung auf Augenhöhe – einerseits mit den Flüchtlingen, die zurückgehen wollen, und andererseits mit den Menschen in Prien, die die Projekte finanziell unterstützen oder in politischer Verantwortung stehen?
HF: Es ist eine große Herausforderung, aber wir müssen diese Brücken bauen. Wenn ich mit einem Geflüchteten spreche, will ich erst einmal ein Gespür für den jeweiligen Menschen bekommen und so weit in Resonanz gehen, dass ich erfasse, wofür dieser Mensch steht und wofür er sich einsetzen möchte. Das muss ich dann in eine Sprache bringen, welche die Leute hier in Prien verstehen können. Das Projekt muss realistisch sein, aber es ist natürlich immer ein Risiko. Es gibt keine Garantie, aber es gibt ein Gespür, eine gewisse Investition in Vertrauen. Das kann man nicht in buchhalterischen Excel-Formularen oder in Verträgen messen, sondern es findet auf der Beziehungsebene statt. Dabei kommt mir meine Erfahrung im Coaching und aus den Gelassenheitstrainings, die ich jahrelang angeboten habe, zugute. So kann ich den Menschen wirklich so nehmen, wie er ist, und herausfinden, was seine Wünsche, Bedürfnisse und tieferen Motivationen sind.
e: Wie ist diese Begegnung unterschiedlicher Kulturen oder unterschiedlicher Mentalitäten der Menschen in Afrika und Deutschland für dich?
HF: Als ich mit dieser Arbeit anfing, hatte ich von Afrika überhaupt keine Ahnung und es hat mich auch nicht sonderlich interessiert. Mich interessieren die Menschen und wenn ich den Menschen nahekomme und spüre, dass sie in einer schwierigen Lage sind, dann empfinde ich es als eine Berufung, zu einer Lösung beizutragen. Die Grundlage ist das Vertrauen von Mensch zu Mensch, das kann nicht staatlich verordnet oder auf ganze Gruppen ausgeweitet werden.
Vertrauen findet auf der Beziehungsebene statt.
Dieses Vertrauen ist fragil. Meine Beziehung zu Babakar ist jetzt unter Druck, weil er weiß, dass er kein Geld mehr von uns bekommt und gewährte Kredite auch zurückzahlen muss. Da kommen wir in eine neue Dimension und wir werden sehen, wie sich das entwickelt.
Gleichzeitig gibt es weitere Migranten, die wir bei ihrer Rückkehr begleiten. Felix ist bereits nach Nigeria zurückgegangen, um dort eine Kunstschmiede aufzubauen. Demba wird im Sommer dieses Jahres in den Senegal zurückgehen. Er macht hier eine Ausbildung als Elektriker und hat sich tief auf unser System eingelassen. Er könnte hierbleiben, will aber zurückgehen, weil er in seinem Land mehr bewirken kann. Er hat seine Familie dort, Frau und Kinder. Und er hat eine Mission: Er will Elektriker ausbilden, um das Niveau im Land zu heben und das Unfallrisiko zu minimieren. Das ist unser nächstes großes Projekt. Und wir werden Dembas und Babakars Projekte vernetzen und Synergien nutzen, sodass nach und nach eine Gemeinschaft entsteht, in der sich alle gegenseitig unterstützen können.
e: Kannst du auch sagen, dass du in dieser Arbeit von den Menschen in Afrika etwas lernst?
HF: Ja, mit Babakar zum Beispiel habe ich ganz viele sehr heikle Situationen erlebt, da hat er oft gesagt: »Helke, das wird gut. Gott ist mit uns.« Da spürte ich: Ja, wir sind verbunden, wir wollen, dass dieses Projekt erfolgreich wird – und da ist Gott mit uns, wir werden den Weg finden. Das ist so ein Urvertrauen, das ich bei diesen Menschen spüre. Wir sind hier in Deutschland ja so abgesichert, dass es selten wirklich existenziell wird. In Afrika sind viele Menschen in gewissem Sinne spiritueller verwurzelt, das erlebe ich als eine große Bereicherung.