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project peace ist ein einjähriges Bildungsprogramm für junge Menschen rund um Frieden, Ökologie und Kulturwandel. Annette Loy ist eine der Begleiterinnen des Projektes. Wir sprachen mit ihr über den wichtigen Schritt ins Erwachsensein und was wir alle daraus lernen können.
evolve: Wie bist du zu deiner Arbeit bei project peace gekommen?
Annette Loy: Durch frustrierende Erfahrungen mit dem Bildungssystem habe ich mich während der Schule und dem Studium gefragt, wie ich mich selbst und junge Menschen im Allgemeinen mit ihrem eigenen tieferen Interesse verbinden kann. Mir waren immer Situationen wichtig, in denen nicht nur Wissensvermittlung und Konkurrenz vorherrschend sind, sondern die Entwicklung der Menschen im Vordergrund steht.
Vor diesem Hintergrund war ich inspiriert, als ich das Angebot bekam, bei project peace zu arbeiten, weil ich mich der Sehnsucht der jungen Generation, bewusste Gestalter dieser Welt zu sein, sehr verbunden fühle. Was mir ganz wichtig ist, sind initiatische Prozesse für diesen Lebensübergang, denn sie fehlen tatsächlich. Junge Menschen werden in ihrem Potenzial nicht generell anerkannt und es wird ihnen als wichtiger Teil des natürlichen Entwicklungsprozesses dieser Gesellschaft nur wenig angemessener Raum gegeben: Wie können wir diesen Schritt ins Erwachsensein bewusst gestalten? Und was heißt es heute überhaupt, erwachsen zu sein?
e: Mit welchem Ansatz und welchen Methoden versucht ihr, im project peace diesen Übergang ins Erwachsensein zu unterstützen?
AL: In unserem pädagogischen Ansatz geben wir einen grundsätzlichen Rahmen. Wir behandeln die jungen Leute von Beginn an wie Erwachsene, es gibt Raum für alle, wir trauen ihnen zu, selbstständig zu sein und arbeiten mit niederschwelligen Kommunikationsmethoden, wie Gewaltfreie Kommunikation oder The Way of Council. Daraus entwickelt sich oft ein freier Raum, in dem wir eine Seelenverbindung spüren. Dann können wir bewusst wahrnehmen, was in der Kommunikation und der erhöhten Selbstwahrnehmung entsteht und welches Potenzial sich in der Gruppe zeigt. Wir geben also einen semi-orientierten Rahmen, in dem wir bestimmte inhaltliche Impulse setzen und viel Raum offenlassen, den wir mit den Teilnehmern gestalten. Neben der Kommunikationsschulung ist die Achtsamkeitsschulung sehr wichtig, wofür wir in die Meditation einführen. Und wir beziehen auch die politische Ebene mit ein und untersuchen Fragen wie diese: Was passiert in der Entwicklungspolitik? Was heißt eigentlich helfen? Wie entsteht gesellschaftlicher Wandel?
Zu diesen Grundbausteinen kommen noch ganz grundlegende Praxisfelder hinzu, wie z. B. das Praxisfeld Landwirtschaft oder Ökologie auf dem KlosterGut Schlehdorf. Die jungen Menschen experimentieren so auch ganz konkret mit lebenspraktischen Dingen. Und die Gruppe gestaltet ihren Alltag selbst. Sie kochen selbst oder bestellen ihr Essen, sie waschen selbst, sie putzen selbst. In diesen Prozessen des Zusammenlebens finden sich oft sehr kreative Lösungen. Wesentlich für unseren Ansatz ist auch, dass wir wenig künstliche Lern-Settings kreieren; das gemeinschaftliche Leben selbst bietet die Erfahrungsfelder und Erfahrungsräume. Wir nennen diesen Ansatz »Lernen im Leben«.
e: Im zweiten Teil des Programms, in der UnterwegsZeit, gehen die jungen Menschen für sechs Monate in soziale, ökologische oder spirituelle Projekte oder Initiativen überall auf der Welt. Wie wählt ihr diese Projekte aus?
AL: Wir arbeiten in den ersten sechs Wochen auf unterschiedlichen Ebenen an dieser Entscheidung, damit die jungen Menschen zu einer möglichst konkreten und stimmigen persönlichen Intention finden. Wir arbeiten z. B. mit Schwellenwanderungen in der Natur, aber auch mit persönlichem Mentoring. Dabei stoßen wir oft auf ein Dilemma der jungen Generation, ein »lost in possibility«, ein Verlorensein in all den Möglichkeiten. Hier kann es ihnen helfen, in einer Gruppe verbunden zu sein. Sie finden ihren eigenen Impuls, sind aber durch die Ideen und Projekte der anderen mit anderen Erfahrungsmöglichkeiten verbunden, nach dem Motto: Ich muss nicht alles selbst tun.
Wir haben einen Pool von Projekten und Initiativen, mit denen wir zusammenarbeiten. Dazu haben wir einen Wertekatalog verfasst. Wir suchen Projekte, die nicht unbedingt klassische Entwicklungsarbeit machen, selbst nachhaltig sind und mehrdimensional arbeiten, wie z. B. OTEPIC, ein Permakultur-Projekt in einem Slum in Kenia. Es wurde von einem jungen Mann gegründet, der selbst in dem Slum aufgewachsen ist, und später Landwirtschaft und Permakultur studieren konnte. Er kaufte sich ein Stück Land in diesem Slum und legte einen Garten an, der nun auf mehreren Ebenen transformierend wirkt: Die Menschen lernen, wie sie auf einem kleinen Stück Land etwas für die eigene Ernährung anpflanzen können. Das stärkt die Frauen, weil sie es sind, die das im Alltag tragen und umsetzen. Zudem wird ein sicherer Ort geschaffen, weil es in diesem Projekt fast keine Kriminalität gibt. So entsteht wieder langsam Vertrauen in Gemeinschaft und Zusammenleben. Das ist ein Beispiel für ein Projekt, das viele Ebenen verbindet – sozial, ökologisch, ökonomisch, kulturell.
Im dritten Jahrgang war zum Beispiel eine junge Frau für sechs Monate bei OTEPIC, die aus einem sehr städtischen Kontext kommt und vorhatte, Politikwissenschaften zu studieren. Zu Beginn nahmen wir sie eher als überkritisch wahr und das Thema »Beitragen und Gemeinschaft« stieß bei ihr auf Widerstand. Die Arbeit in der Landwirtschaft und die Erfahrungen bei OTEPIC haben bei ihr den Wunsch gestärkt, Ökolandbau zu studieren und sich ganz dafür zu entscheiden, in Zukunft gesunde Lebensmittel zu produzieren, die dem Boden, dem Planeten und den nachfolgenden Generationen zum Wohl sein werden. Mir kommt es so vor, als habe sie ihren Widerstand in Freude verwandelt und durch die Inspiration während des Jahres, speziell auch in Kenia, zu einer echten Berufung gefunden.
e: Wie kommen die jungen Menschen zu euch?
AL: Es finden ausführliche Vorgespräche statt, denn es ist schon eine gewisse psychische Stabilität erforderlich. Oft ist es sehr berührend für die jungen Menschen, Gleichgesinnte zu finden, die bei aller Unterschiedlichkeit ähnliche Fragen beschäftigen. Nach einer Zeit formt sich aus der zufälligen Gruppe eine Gemeinschaft, in der sich die jungen Menschen gegenseitig unterstützen. Und auf der Grundlage dieser Unterstützung erfahren sie ihre Selbstwirksamkeit. Sie trauen sich, zu träumen, und auch etwas für die Umsetzung ihrer Träume zu tun. Und sie haben einen ersten Schritt dazu getan, das Paradox auszuhalten: An vielen Stellen in dieser Welt gibt es Leid und Unrecht, das mir wehtut. Gleichzeitig geht es mir so gut, dass ich etwas tun kann.
Das ist ein wichtiger Aspekt des initiatischen Prozesses. Die jungen Menschen finden ihre eigene Vision für die Entwicklung der Gesellschaft, ihren evolutionären Impuls, der durch sie wirkt. Wenn wir diesen Impuls ineinander anerkennen, entsteht unglaublich viel Kraft. Es ist ein Erkanntwerden im Innersten, durch das ich auch andere in ihrem Innersten erkennen kann.
Author:
evolve
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