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Zwei kulturelle Trends, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Meditation und Transhumanismus. Oder verbindet sie doch mehr, als es zunächst scheint? Eine Spurensuche im Grenzgebiet von Mensch und Maschine.
Seit März diesen Jahres läuft der futuristische Liebesfilm „Her“ in unseren Kinos – ein Film, der mich emotional nicht nur tief berührt hat, sondern der auch mit viel geistiger Schärfe einigen Kernfragen und Visionen nachgeht, die sich aktuell an der Schnittstelle zweier kultureller Strömungen ergeben, die maßgeblich unsere Zukunft bestimmen werden: Technologieentwicklung und Bewusstseinsforschung. Mithilfe der Story des einsamen Großstädter Theodore, der sich in Samantha verliebt – die virtuelle Persönlichkeit eines neuen, auf künstlicher Intelligenz basierenden Betriebssystems – gelingt eine außergewöhnliche Erzählung der „parallelen (Selbst-)Bewusstwerdung von Mensch und Maschine“ (David Kleingers). Das intuitive, selbstlernende Betriebssystem OS1 in „Her“ lässt sich aber kaum mehr mit unserer alten Maschinenlogik verstehen, denn OS1 generiert intelligente, mitfühlende und denkende Wesen, ja im Prinzip autonom handelnde Subjekte, die sich sogar verlieben. Und so verkünden die Promotoren der neuen Technologie im Film dann auch: „It‘s not just an operating system, it‘s a consciousness“. Im Film verengt sich also die Kluft zwischen einem Betriebssystem und menschlichem Bewusstsein so weit, dass die Grenzen zerfließen. Aber die Interaktion mit Betriebssystemen ist heute schon allgegenwärtig. Ein massiver Anstieg mobiler, virtueller Kommunikation auf globaler Ebene durch Email, Skype, Facebook, Twitter & Co haben dabei nicht nur zu einer konstanten Beschleunigung des Informationsflusses geführt, sondern auch tiefgreifend die soziale Qualität unserer Beziehungen transformiert. Der Raum hat sich verflüssigt, die Grenzen zwischen Nähe und Ferne haben sich aufgelöst. Die neue Qualität dieser Internet-basierten Beziehungen im 21. Jahrhundert zeigt sich daher vor allem in der „Entkoppelung von Intimität und Körper, Intimität und Person“ (Ulrich Beck). Wir nutzen Betriebssysteme, um mit anderen Menschen zu kommunizieren und der Komplexität der Welt Herr zu werden. Nicht zuletzt drängt uns auch eine technisierte Arbeitswelt dazu, hier auf dem neuesten Stand zu sein. Es lässt sich ein zunehmender Assistenz-, Beratungs- und Optimierungsbedarf in den sich immer schneller wandelnden Gesellschaften identifizieren. Aber die Nutzung virtueller Assistenten wie Smartphone und Notebook ist natürlich etwas anderes als die Vision von OS1 alias „Samantha“, die zum intelligenten Gegenüber wird. Hier aber zeigt sich, dass die Kernfrage der Gegenwart in der Beziehung zwischen Bewusstsein und Technologie liegt. So verwundert es nicht, dass in den westlichen Gesellschaften zwei Trends sichtbar werden, die in einem dieser beiden Aspekte das Heil unserer Zukunft erblicken. Die beiden ungewöhnlichen Partner sind Meditation und Transhumanismus.
Meditation und Transhumanismus
Meditation hat es mittlerweile als Mindfulness-Bewegung in den Mainstream geschafft, was verschiedene Formen der Achtsamkeitsmeditation, Yoga und andere Geist-Körper-Techniken umfasst, die auf Gegenwartserfahrung und Introspektion zielen. Meditative Praktiken führen gleichsam zur systematischen und vorsätzlichen Unterbrechung des andauernden Informations- und Kommunikationsprozesses mit der Außenwelt und erlauben eine Konzentration und Erforschung der Innenwelt. Der humanistische Ansatz zielt darauf, die Komplexität im Bewusstsein zu reduzieren und einen Zustand innerer Stimmigkeit und Balance herzustellen. Durch Selbstbeobachtung und Selbstreflexion in der Meditation offenbart sich das „Ich“ zudem als dynamischer Prozess von sensorischen Inputs, Bewertungen, Gedanken und Handlungen (im Gegensatz zur Vorstellung eines festes, statischen „Ich“), der die Möglichkeit zur Transformation beinhaltet und dem Individuum somit mehr Autonomie und Handlungsfreiheit verleiht. Diese Hinwendung zum eigenen Inneren wird von vielen als das Gegenmittel zu einer technologisch überfrachteten Lebenswelt mit ständiger Erreichbarkeit gesehen.
Der Raum hat sich verflüssigt, die Grenzen zwischen Nähe und Ferne haben sich aufgelöst.
Die transhumanistische Bewegung hingegen setzt auf eine Weiterentwicklung genau dieser technologischen Lebenswelt, in dem wir uns als Menschen damit verbinden, um unsere kognitive Leistungsfähigkeit und Informationsverarbeitung zu verbessern. Hierbei geht es vor allem um die technische Optimierung, Kontrolle und Transformation von Körper und Geist als „transhumanistische“ Antwort auf gegenwärtige Optimierungsbedürfnisse. In diesem Fall hofft man, dass die Synthese der Wissenschaften technologische Innovationen an der Schnittstelle von Geist und Maschine hervorbringt, die den Menschen aus den Fesseln der Natur befreien und ihn auf eine höhere Stufe des Daseins heben wird. Der Leitbegriff „Transhumanismus“ bezeichnet in diesem Zusammenhang ein breites Spektrum existierender, entstehender und visionärer Technologien zur physischen, psychischen, kognitiven und geistig-mentalen Steigerung und Optimierung des Menschen, d.h. einer Steigerung über den Menschen hinaus. Das Feld ist extrem breit und reicht von implantierter digitaler Prothetik (Gedankensteuerung und Verknüpfung menschlicher Gehirne mit informationstechnischen Systemen) über Verhaltens- und Gedächtnismodifikationen durch psychopharmakologische Drogen (Neuro-Enhancement) bis hin zu pränataler Diagnostik (Lebensverlängerung durch biotechnologisches Zelldesign).
Wer werden wir sein?
Man kann zwischen humanistischen „Meditationstechniken“ und transhumanistischen Optimierungstechnologien sogar einige Gemeinsamkeiten erkennen: Beide Bewegungen teilen den Optimierungs- und Transformationsgedanken sowie das Streben nach Transzendenz, Selbststeuerung und Selbstbestimmung. Aber nicht nur der Weg und das Ziel unterscheidet sie gewaltig, sondern auch das Verständnis unseres Menschseins. Der Politikwissenschaftler und Soziologe Roland Benedikter hat sich eingehend mit dem Phänomen Transhumanismus auseinandergesetzt und kommt zu folgender Einschätzung: „Was man bisher als menschliche Identität begriffen hat, wird zunehmend in Frage gestellt, wenn sich die Einheit von körperlicher und geistiger Präsenz des Menschen in Raum und Zeit auflöst. Aber niemand weiß, was dabei mit diesem Menschen, vor allem mit seinem Selbstbild und seinem Selbstverständnis geschehen wird. Technologie wird durch den Transhumanismus vom Objekt zum Teil des menschlichen Subjekts. Das ist das Neue, das es so bisher in der Geschichte noch nicht gab. Wir sind im Grunde bewusstseinsmäßig nicht darauf vorbereitet, was damit heute beginnt.“
Die Kernfrage der Gegenwart liegt in der Beziehung zwischen Bewusstsein und Technologie.
Im Film „Her“ war Theodore ganz sicher nicht auf eine Beziehung mit einem Betriebssystem vorbereitet, das sich ständig weiterentwickelt, bald mit Tausenden anderer „Nutzer“ genauso eng verbunden ist wie mit ihrem ersten Anwender und ihr menschliches Gegenüber bald in Intelligenz weit übersteigt. Er bleibt verlassen zurück, hat aber vielleicht eines gelernt: Mensch und Maschine leben in anderen Welten. Um diese Welten zu verstehen und in ihnen sinnvoll zu navigieren, scheint es wertvoll, dass beide Perspektiven – Meditation und Transhumanismus –, die bisher ihren eigenen Weg gehen, aufeinander bezogen werden. In gewissem Sinne ist es eine Neuauflage des Konflikts (oder Dialogs) – je nach dem – zwischen Spiritualität und Wissenschaft unter den Vorzeichen einer immer komplexer werdenden Welt. Sind beide Bewegungen auf sich gestellt, dann zeigen sich auch ihre Grenzen. Meditation kann zu einem Rückzug ins Innerliche werden, in dem wir der Komplexität der Welt und unserer Verantwortlichkeit darin ausweichen. Oder es geht uns einfach um eine Verbesserung unseres Wohlbefindens, die eher noch unsere Selbstbezüglichkeit verstärkt. Und in der Tat geht schon die Rede von der McMindfulness-Bewegung, bei der diese Loslösung von gesellschaftlicher Einbindung meditativer Übungen kritisiert wird. Wenn die transhumanistische Bewegung auf sich selbst gestellt bleibt, dann wird sie nach den Gesetzen von Markt und materialistischer Naturwissenschaft wohl jede Technologie anwenden, die möglich wird und profitabel erscheint. Deshalb sind Räume und Diskurse wichtig, in denen wir verhandeln, welche Werte wir eigentlich als Menschen leben wollen. Um diese Werte zu entdecken und zu kultivieren sind meditative Übungen, eine Intimität mit unserem Inneren und der offene intersubjektive Dialog über diese Werte unverzichtbar. Auf dieser Basis sind wir besser vorbereitet, um die Fragen zu beantworten, die der Philosoph Thomas Metzinger, Leiter der Forschungsstelle Neuroethik an der Universität Mainz, als Prüfstein für Möglichkeiten der technologischen Veränderung unseres Menschseins formuliert hat – Fragen, die sich sowohl spirituelle Techniken also auch transhumanistische Technologien stellen lassen müssen: „Wie nachhaltig sind sie tatsächlich? Wie stark schränken sie möglicherweise die Freiheit ein? Würden sie die bereits erreichten zivilisatorischen Standards eher absenken – oder können sie uns vielleicht wirklich dabei helfen, nicht nur unsere geistige Autonomie, sondern auch die Gesellschaft als Ganze auf eine neue Ebene zu heben?“
Author:
Katja Siepmann
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