Mit der Wahl Donald Trumps zum amerikanischen Präsidenten gab es ein böses Erwachen all jener, die davon überzeugt waren, dass ein Narziss, der mit rassistischen und sexistischen Äußerungen nur so um sich schmiss, niemals Präsident eines der mächtigsten Länder dieser Welt werden könne. Dass dies möglich ist, zeigte der 9. November 2016. Wer aber schon vor der Wahl mit offenen Augen durch die Welt lief, dürfte von diesem Ereignis nicht ganz so überrascht worden sein. Das Zeitalter des Populismus wurde nicht erst mit Donald Trump eingeläutet: Chavez, Berlusconi, Orbán, Erdogan, Putin, die Liste ließe sich erweitern.
Ich möchte an dieser Stelle jedoch von einem anderen unangenehmen Erwachen reden. Einem, das ich mindestens für so schmerzvoll erachte, wie die Erkenntnis, dass nicht alle Menschen Gleichberechtigung und Gleichheit vor dem Gesetz für ein erstrebenswertes Gut halten. Oder dass nicht alle davon überzeugt sind, dass Klimaschutz und Energiewende Themen sind, die für den Fortbestand des Lebens auf diesem Planeten von Bedeutung sind.
Das böse Erwachen, das ich meine, ist eines, bei dem wir erkennen müssen, dass wir uns über vieles anscheinend argumentativ gar nicht mehr verständigen können. Anstatt uns aufeinander zuzubewegen, verhärten sich die Fronten auf beiden Seiten. Zwar sind wir in Deutschland von einer Entwicklung, wie sie in Amerika bereits stattgefunden hat, immer noch ein gutes Stück entfernt, doch driften auch bei uns die Lager immer weiter auseinander. Wir reden von Diskurs, aber mit wem führen wir diesen? Doch in der Regel mit denen, die unsere Anschauungen und Überzeugungen teilen.
¬ Worüber verständigen wir uns, wenn sich unsere Welten gar nicht mehr berühren? ¬
Wie ist aber ein Gespräch mit einem Menschen möglich, der dieses Gespräch gar nicht möchte, weil er glaubt, alles Notwendige bereits zu wissen? Worüber rede ich, wenn Fakten nicht mehr interessieren? Und leider ist das Faktendesinteresse nicht nur im Lager von Populisten anzutreffen, sondern es ist ein lagerübergreifendes Phänomen. Auf welcher Basis findet so ein Gespräch statt, wenn es überhaupt noch stattfindet? Manche meinen auf einer empathischen Ebene. Ok, doch was tue ich, wenn ich mit einem Menschen ins Gespräch komme und mich sogar in seine Denkweise hineinversetzen kann, wenn ich verstehe, wieso er etwas tut oder für wichtig erachtet, von dem ich jedoch überzeugt bin, dass es für die Umwelt oder die Gesellschaft destruktiv ist? Was bedeutet das für die Praxis, wenn wir keinen Konsens finden?
Und worüber verständigen wir uns, wenn sich unsere Welten gar nicht mehr berühren, und zwar nicht nur, weil wir im realen Leben immer weniger Berührungspunkte haben, sondern auch, weil unsere geistigen Horizonte weit auseinanderliegen? Die Verständigung in so einem Fall ist, meiner Ansicht nach, nicht mehr möglich. Das ist das Szenario eines »worst case«, der leider in den USA eingetreten zu sein scheint. In Deutschland gibt es bestimmte Milieus, die dem ähneln. Auch dort wird ein Diskurs über kurz oder lang nicht mehr möglich sein.
Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass nicht immer mehr Menschen in wirklich geschlossene Milieus abwandern. Dafür müssten wir die Lebensrealität der Anderen, gerade wenn sie von unserer eigenen entfernt ist, wahrnehmen. Welche Probleme, Nöte, Ängste, Erwartungen und Hoffnungen prägen die Lebensrealität dieser Menschen? Dies bedeutet nicht, dass wir Sexismus oder Diskriminierung von Menschen zulassen, aber es heißt auch, die eigene Diskurskultur anzuschauen. Vielleicht wäre es jetzt einmal an der Zeit, dass wir uns damit auseinandersetzen, was Menschen an Traditionen und Gewohnheiten festhalten lässt, die wir heute für nicht mehr passend halten, die aber bis vor nicht allzu langer Zeit gültig waren. Ich glaube, erst wenn wir dies verstehen, können wir adäquat handeln, um das Abdriften ganzer Gruppierungen zu verhindern.