Diese Idee ist größer als wir
Wie können wir wirksam auf die ökologische Krise antworten? Eine wachsende Zahl von Menschen und Initiativen erklärt, dass dies erst möglich sein wird, wenn wir der Natur eine juristische Stimme geben.
January 16, 2017
Wie so viele regierte ich auf die Präsidentschaftswahlen in den USA mit einer Mischung aus Schock, Horror, Ungläubigkeit, Trauer und Verzweiflung. Am 9. November habe ich den ganzen Morgen geweint, und fünf Minuten bevor ich eine Vorlesung über Klimawandel, Kultur und Emotionen zu halten hatte, weinte ich immer noch. Ich habe die 90 Minuten durchgehalten. Es wirkte in der Tat therapeutisch, darüber zu sprechen, wie Weltanschauung, Werte und Überzeugungen das Verständnis des Klimawandels beeinflussen, und die bedeutende, aber wenig untersuchte Rolle der Emotionen dabei hervorzuheben. Das Thema ist höchst relevant im Hinblick auf den politischen Umbruch, den wir gegenwärtig erleben, besonders angesichts dessen, dass der Klimawandel letztlich eine der größten und gefährlichsten Langzeitkonsequenzen dieser Wahl sein könnte.
Wie so vielen ist mir die Idee der Transformation sehr wichtig, wie sie etwa im »Schmetterlingseffekt« beschrieben wird. Ich begeistere mich für die Vorstellung, mich frei zu machen von meinen Begrenzungen, meine Perspektive zu verändern und neue Möglichkeiten zu verwirklichen. Die Idee, dass der Schmetterling mit einem einzigen Flügelschlag die Welt verändern kann, fasziniert mich. Aber wenn es darauf ankommt, bin ich dann wirklich bereit, die Sicherheit, Stabilität und Bequemlichkeit des Altvertrauten aufzugeben? Nein, ich würde wahrscheinlich eher am Rand der Veränderung herumtänzeln und so tun, als wäre das Transformation, anstatt mich kopfüber ins Unbekannte zu stürzen.
Während ich die ganze Nacht lang den Ausgang der Wahl verfolgte und mitansehen musste, wie Florida »rot wird«, wurde mir klar, dass der Kopfsprung jetzt ansteht. Ich weinte. Wieso wählt ein Staat, der bei einem Ansteigen des Meeresspiegels untergehen wird, eine Partei, die einen »sofortigen Ausstieg aus der Finanzierung der UNO-Rahmenkonvention zum Klimawandel (UNFCCC)« fordert? Es kam mir vor, als hätten wir den kollektiven Selbstmord gewählt, nicht nur für die Menschen in Florida, sondern für uns alle.
In Zeiten der Krise können wir uns entweder verengen oder wachsen. Wir haben vielleicht das Gefühl, dass wir die Gleichen bleiben und uns in einem Akt der Bewahrung nur an dem, was wir schon glauben, festhalten. Aber diese Sicherheit ist oftmals eine Illusion, weil sich die Welt ständig verändert – und damit auch wir. Wenn wir angesichts der Veränderung mit Angst reagieren, verengen wir uns in ein begrenzteres Selbstgefühl. Dazu errichten wir oft verteidigende und schützende Grenzen gegen alles oder jeden, die nicht wie wir sind oder nicht unsere Ideen und Werte teilen. Wir umgeben uns mit »Gleichgesinnten«, um eine Welt zu schaffen, die leichter bewältigbar scheint. Leider wird diese Welt immer kleiner und begrenzter, wenn unsere Ängste zunehmen. Wir bemerken es kaum, denn wenn wir in »unserer« Welt leben und uns darin sicher fühlen, dann sehen wir oft die Welt der anderen nicht.
¬ In Zeiten der Krise können wir uns entweder verengen oder wachsen. ¬
Wir können uns aber auch entscheiden zu wachsen. Das wird möglich, wenn wir uns mit unseren begrenzenden Glaubenssätzen konfrontieren, unseren Ängsten begegnen, unsere Gewohnheitsmuster durchbrechen und es wagen, uns mit anderen Menschen, mit der Natur und uns selbst zu verbinden, statt uns davon zu trennen. Wir wachsen, indem wir erkennen, dass wir für etwas einstehen, aber wir wissen auch, dass es etwas anderes ist, für das Wohlergehen einiger Menschen einzustehen statt für das Wohlergehen aller. Wir wachsen, wenn wir erkennen, dass wir verantwortlich sind, dass wir die Fähigkeit besitzen, in einer reflektierten und reifen Weise zu antworten, und dass wir Liebe statt Hass und Mut statt Angst wählen können. Transformationen können regressiv oder progressiv sein, die Entscheidung liegt bei uns.
Meine automatische Reaktion auf das Wahlergebnis war Verengung. Am Anfang wollte ich mich nur unter der Bettdecke verkriechen und niemanden sehen. Dann versuchte ich herauszufinden, ob ich Staatsbürgerin von Norwegen werden kann, wo ich seit 20 Jahren lebe. Ich wollte nichts zu tun haben mit einem Land, das nicht alle Menschen, alle Lebensformen, die künftigen Generationen usw. respektiert. Erst nach einem Tag tiefer Verzweiflung bekam ich allmählich wieder den Blick frei und begann zu erkennen, dass dieses Ereignis genauso wie der Klimawandel unsere Anpassungsfähigkeit auf die Probe stellt und uns nötigt, uns mit uns selbst und unseren Annahmen über die Welt neu zu befassen. Es bedeutet, dass wir heute das leben müssen, woran wir glauben, es bedeutet aber auch die Bereitschaft, unsere tiefsten Überzeugungen davon, wer wir sind und was möglich ist, zu erforschen. Wir müssen das Wagnis eingehen, Verbindungen und Beziehungen aufzubauen anstelle von Mauern und Grenzen. Viel steht auf dem Spiel, die Risiken sind echt, und wenn wir die Anpassungsfähigkeit nicht aufbringen, werden wir alle scheitern. Ernsthafte Arbeit steht an in der praktischen, der politischen und der persönlichen Sphäre, und wir sind bereit.
Der erste kleine Hoffnungsschimmer kam von meiner 15-jährigen Tochter Annika, die mich sacht daran erinnerte, dass wir da hindurchkommen werden. Als ich die Wahlergebnisse der 18- bis 25-Jährigen anschaute, waren fast alle Staaten blau. Die Werte des Fortschritts sind vorhanden, der Wandel geschieht. Annika hatte für uns alle ein besonderes Frühstück gemacht, um uns ein bisschen aufzuheitern. An meinem Teebeutel hing ein Schildchen mit der Aufschrift: »Denk daran: Der andere bist du.« Ich lächelte. Das ist vermutlich das beste mir verfügbare Argument, die Transformation in Richtung Fortschritt anzustreben und angesichts des Wandels lieber zu wachsen als enger zu werden. An die Arbeit!