Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
July 19, 2018
Ekhart Hahn hat als Stadtplaner viele innovative Projekte der Stadtentwicklung konzipiert und begleitet, einschließlich eines Ökodorf-Projekts in Japan und des in Planung befindlichen Projekts Wünsdorf in der Nähe von Berlin. Für ihn liegt die Zukunft unserer Lebensräume in dezentralen Strukturen, die Stadt und Land, Bewusstseinswandel und menschliches Zusammenleben verbinden.
evolve: Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten viele Projekte der Stadtentwicklung geplant und begleitet. Welche Grundintention bewegt Sie in Ihrer Arbeit mit diesen Projektentwürfen?
Ekhart Hahn: Eigentlich geht es in allen Projekten darum, dass wir in einer Zeit leben, die auf der einen Seite von der Globalisierung gekennzeichnet ist, was Mobilität, Information, Kommunikation, Transfer von Know-How und Wissen betrifft. Auf der anderen Seite erleben wir eine Renaissance des Lokalen, die auch Heilungsmöglichkeiten für die Probleme und Wunden in der Beziehung zwischen Mensch und Natur, die seit der Industrialisierung entstanden sind, und in der Beziehung zwischen den Menschen, eröffnet. Diese lokale Dimension fördert auch den Kommunikations- und Partizipationsbedarf, stärkt also die Zivilgesellschaft auf der lokalen Ebene. Hier kommt auch vieles wieder zum Tragen, was die zehntausendjährige Geschichte des Urbanen betrifft.
Seit etwa zehntausend Jahren gibt es Stadt-Strukturen, die immer durch diese Dominanz des Lokalen bestimmt waren. Um überleben zu können, musste man in Harmonie mit der Natur leben und das spiegelte sich natürlich auch auf der spirituellen Ebene und in der Organisation der Gesellschaft wider. Hier musste eine Nachhaltigkeit, eine Harmonie bestehen. Mit der Industrialisierung glaubte man, darauf nicht mehr angewiesen zu sein. Mittlerweile stellen wir aber fest, dass dieses ausbeuterische Verhalten nicht zukunftsfähig ist. Heute leben wir in einer Zeit, in der es darum geht, dieselben Prinzipien, die Tausende Jahre gültig waren, in einer neuen Form, auf einem neuen Niveau von Wissenschaft und Technik zum Ausdruck zu bringen.
e: Allgemein gesagt, haben Städte sowohl eine natürliche, als auch eine kulturell-geschichtliche Umgebung. Jede Stadt und jeder Ort findet erst zu sich selber und damit auch zu seiner Rolle als Lebensform im Zusammenspiel mit der unmittelbaren ökologischen und mit der globalen, historischen Umgebung. Ist das ein Aspekt Ihrer Idee von Stadtentwicklung?
EH: In der zehntausendjährigen Geschichte urbaner Kulturen wurden die Standorte von menschlichen Lebensräumen und Städten sehr genau bestimmt. In allen Kulturen gibt es solche Traditionen wie das chinesische Feng Shui, in unserem Kulturkreis nennen wir es Geomantie. Feng Shui und Geomantie beschreiben Harmoniegesetze und harmonische Beziehungen zwischen dem Menschen und der Natur, zwischen den Lebensräumen und dem Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Diese Harmonie, die sich auch als Schönheit zeigt, spielt eine ganz zentrale Rolle. Die Frage nach der Schönheit eines Raumes, eines Gebäudes oder einer Stadt spielte in der Moderne eine untergeordnete Rolle. So erleben wir unsere Städte auch heute, und diese Städte wirken zurück auf die Menschen, die in diesen Städten wohnen. Man kann sagen, wir erleben eine starke Vernachlässigung von Sinnesqualitäten, wie beispielsweise die Qualität der Geräusche – es ist etwas ganz anderes, ob ich Motorenlärm oder Vogelzwitschern und Blätterrauschen höre. Dasselbe gilt für die Gerüche oder die sinnliche Ästhetik beim Sehen. In allen Bereichen, wo wir unsere Umwelt wahrnehmen, hat eine starke Verrohung stattgefunden, dadurch wird aber auch unsere Fähigkeit zum Erkennen von lebensfördernden und lebenszerstörenden Prozessen beeinträchtigt. Deshalb ist ein Gesetz des ökologischen Städtebaus dieses Prinzip von Schönheit und Harmonie, in dem die Dinge wieder in ein harmonisches und damit nachhaltiges Verhältnis zueinander gebracht werden. Das zieht sich von unseren Balkons über die Gebäude, über die Hausgärten bis hin zu Parks oder Quartiersentwicklungen.
e: Sie waren auch an einigen Quartiersprojekten in Berlin beteiligt, wie beispielsweise Anfang der 1980er Jahre am Moritzplatz. Wie zeigt sich ein solcher Ansatz bei einem Quartierskonzept in einer Großstadt wie Berlin?
EH: In den 1970er und 1980er Jahren habe ich die Theorie- und Handlungskonzeption zum Ökologischen Städtebau entwickelt. Dabei geht es einerseits um eine nachhaltige Neuordnung der Beziehung zwischen Stadt und Land, vor allem aber um eine neue ökologische Quartiersentwickelung. Zu beiden Themen habe ich in dieser Zeit auch erste praktische Modellprojekte durchgeführt. Zu letzteren gehörte das von Ihnen genannte Quartiersprojekt am Moritzplatz. Schon damals hatte ich im Rahmen meiner Forschungen die These aufgestellt, dass der ökologische Stadtumbau zunehmend zu dezentralen und zellularen Strukturen führen werde und die Quartiere mit den betroffenen Menschen hierbei eine Schlüsselrolle spielen werden. Leitsatz war: »Das erste ökologische Gesetz sind die Bewohner« – sie sind der Maßstab für die Neuordnung der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt im Ökologischen Städtebau. Für unsere heutigen Städte habe ich damals den Begriff der Tanker-Gesellschaft geprägt, und ich sehe eine Entwicklung hin zu einer neuen Segelschiff-Gesellschaft. Auch dort spielt die Crew, die Menschen, eine Schlüsselrolle und so wird es in Zukunft auch wieder in den Städten sein. Unsere heutigen Städte sind fossile Städte, d. h. die Energie wird aus fossilen Quellen gewonnen. Öl und Erdgas werden aus dem Nahen Osten oder irgendwo aus der Welt mit großen Tankern hierher gebracht, wohingegen früher die Städte darauf angewiesen waren, nachhaltige erneuerbare lokale Energien zu verwenden.
Ich denke, die Zukunft der Städte werden die Quartiere sein.
Heute befinden wir uns im Übergang zu einem neuen Solar-Zeitalter. Wir brauchen in Zukunft weder die Tanker noch die fossilen Rohstoffe, weil wir überall dezentral in den Städten unsere Energie direkt erzeugen können, über Photovoltaik oder Erdwärme. Dasselbe trifft beim Wasser zu. Wir haben riesige Wasser- und Klärwerke, die in den Städten unsere Wasser- und Abwasser-Kreisläufe bestimmen. Wir können das aber viel kleinteiliger gestalten. Wir können das Regenwasser benutzen, Wasser-Recycling betreiben und sehr viel dezentral auf Quartiersebene lösen. Dieser Trend zeigt sich auch bei den urbanen Gärten, bei denen wir dezentral mit den Pflanzen, mit der Erde, mit der Natur arbeiten, um in der Stadt Nahrungsmittel zu produzieren.
All diese Kreisläufe, die mit der Industrialisierung zentralisiert wurden, die Mensch und Natur einander entfremdet haben, und die Ressourcen, die wir für unser Leben brauchen, werden auf der Quartiersebene ganz neu in Beziehung zueinander gesetzt. Auch viele der Ideen einer neuen Mobilität, wie eine Stadt der kurzen Wege, Fahrrad- und Fußgängerzonen beziehen sich auf die Ebene der Quartiere.
Hinzu kommt, dass die soziale Dimension lokal eine ganz neue Bedeutung gewinnt. In diesem Zusammenhang gibt es auch einen Trend hin zu einer neuen lokalen Ökonomie. Diese dezentralen Systeme werden ganz anders betrieben und bewirtschaftet, als die zentralen Systeme von heute. Das ermöglicht neue Wertschöpfung und sinnstiftende Arbeit in den Quartieren.
Ich idealisiere das natürlich etwas, um deutlich zu machen, in welche Richtung es geht. Aber überall in der Welt beobachten wir diese Trends und sehen Projekte, die solche Wege ganz konsequent verfolgen, das sind Pilotprojekte, Modelle, Experimentierfelder, die sehr weit gehen. Aber wir können es auch in Berlin sehen, in der neuen »Kiez-Kultur«, mit kleinen Läden und lokalen Produkten.
e: Sie arbeiten als Berater auch mit dem Projekt »As-One-Community« in Japan zusammen. Was sind Ihre Erfahrungen in dieser Arbeit?
EH: Die Ökodorf-Bewegung in Japan begann in den 1950er Jahren. Nach und nach entstand in den 1970er Jahren ein Netzwerk aus 34 über das gesamte Land verteilten und eng miteinander kooperierenden Ökodörfern. 2005 lernte ich diese Ökodörfer das erste Mal kennen und hatte in den folgenden neun Jahren die Gelegenheit, viele dieser Dorfgemeinschaften kennenzulernen. Das Besondere dieser Ökodörfer ist das »gemeinsame Blühen«. Das heißt, dass Menschen, Tiere und Natur zu einer neuen Gemeinschaft zusammenfinden, wo sie gemeinsam blühen. Gute Eier und gutes Fleisch gibt es nur von Hühnern, die glücklich sind. Nur glückliche Hühner produzieren guten Kompost und nur guter Kompost ergibt eine gute Ernte, die eine besondere Qualität erreicht und Unwettern trotzt. Damit fühlen sich die Tiere, die Pflanzen, der Boden und auch die Menschen wohl.
Diese Gemeinschaften kamen zu dem Prinzip, sich von Geld und Arbeit freizumachen, um für das Glück und die Zufriedenheit der Menschen optimale Bedingungen herzustellen. Die soziale Sicherheit muss unabhängig von der Erwerbsarbeit möglich sein. Sie gründeten eine Gemeinschaftsökonomie in und zwischen den Dörfern, die ohne Geld funktioniert; die Geldwirtschaft besteht nur nach außen. Es geht ihnen ökonomisch gut, weil ihre hochwertigen Produkte überall in Japan bekannt sind. Die Gemeinschaften gehen noch einen Schritt weiter, indem sie alles teilen und es kaum Privateigentum gibt. Das ist einmalig, das konsequent und vor allem über einen Zeitraum von fast 50 Jahren erfolgreich zu praktizieren. In diesen Dörfern leben ca. 3.000 Menschen. Zusätzlich gibt es einen Kreis von etwa 30.000 Sympathisanten, die sich als eine Art unterstützender Verein organisiert haben.
Im Jahr 2010 löste sich eine Gruppe aus diesen Dorfgemeinschaften und startete ein urbanes Experiment in der Stadt Suzuka. Die ca. 100 Mitglieder stammen alle aus den Ökodörfern und bringen die langjährige Erfahrung dieser Gemeinschaft mit. Das größte Experiment sind sie damit eingegangen, diese Erfahrungen in die Stadt zu tragen und sich zumindest teilweise mit der lokalen Bevölkerung zu vernetzen und in diversen Experimenten zu erproben: Wie sieht eine nachhaltige Gesellschaft der Zukunft aus? Ich habe das Glück, mit ihnen in engem Kontakt zu sein und jährlich eingeladen zu werden, um den Fortschritt des Experiments zu begleiten. Das betrifft die soziale, die ökologische und die ökonomische Dimension. Natürlich stellen sie nach wie vor den Menschen in den Vordergrund. Das ist anders als in der Ökologiebewegung bei uns, die beginnt meist eher technisch und auf der materiellen Ebene der Natur. Wenn die Menschen mit sich selbst und untereinander in Frieden sind, können sie mit der Natur in Frieden sein; also das Prinzip des gemeinsamen Blühens steht auch hier im urbanen Experiment im Vordergrund. So bauten sie eine solche Gemeinschaft in einem Stadtquartier in Suzuka auf, die kein Geld untereinander hat und alles miteinander teilt. Der Unterschied ist, dass die ca. 52 Familien nicht gemeinschaftlich wohnen, sondern überall im Quartier verteilt sind. Sie führen die eigene Ökonomie und haben eigene Betriebe mit ausreichend Arbeitsplätzen nicht nur für die eigenen Mitglieder, sondern zusätzlich für externe Mitarbeiter geschaffen.
Ein Gesetz des ökologischen Städtebaus ist das Prinzip von Schönheit und Harmonie.
Eine soziale Grundlage dieser Gemeinschaft, die ihr Eigentum teilt und keine Geldwirtschaft hat, ist eine Methode, die sich Kensan nennt. Es ist eine Art Schulung, eine Schulung des neuen Denkens. Kensan bedeutet Bohren; man bohrt so lange, bis man den Kern eines Problems oder Konflikts erfasst hat und er sich damit auflöst. Einmal lud mich die Community zu einem einwöchigen Kensan-Seminar ein. Ein Beispiel zu dem Thema Eigentum war, dass wir in dem Seminar aufgefordert wurden, unser Gepäck vor uns zu stellen, um die Frage zu beantworten »Wem gehört diese Tasche?«. Diese Frage wurde einen vollen Tag, zwölf Stunden gestellt. Das war eine große Herausforderung, weil wir eine Phase erreichten, wo wir ärgerlich wurden, weil wir meinten, wir hätten alles gesagt, was wir dazu denken. Aber nach diesen zwölf Stunden änderte sich das Verhältnis zum Eigentum und wem eine Unterhose oder ein Hemd gehört. Wir erlebten diese Auseinandersetzung einmal und unter Seminarbedingungen, in den Dorfgemeinschaften ist sie in vielfältiger Weise Bestandteil des täglichen Lebens. Diese Frage wird immer wieder gestellt und bildet die Basis für ein neues Denken gegenüber der eigenen Biografie, der Umwelt und anderen Menschen, Tieren, Pflanzen. In diesem Kensan-Seminar verstand ich, wie eine derartige Gemeinschaft über so lange Zeit erfolgreich funktionieren und sich weiter entwickeln kann. Im urbanen Kontext der As-One-Community in Suzuka wurde die Kensan Methode unter dem Begriff »Scienz« (Scientific Investigation of Essential Nature + Zero) weiterentwickelt und ist inzwischen Grundlage diverser ähnlicher Initiativen auch in anderen japanischen Städten.
e: Welche zukunftsweisenden Ideen im Sinne einer ökologischen Stadtentwicklung haben Sie in Japan noch erfahren?
EH: Seitdem ich im Jahre 1998 von der JSPS (Japanese Society for the Promotion of Science) für ein halbes Jahr nach Japan eingeladen wurde, bin ich fast jedes Jahr für einige Wochen in Japan, halte Vorträge und Seminare zum Thema des Ökologischen Städtebaus an verschiedenen Universitäten und vor Organisationen, die sich mit diesem Thema befassen. Auf diese Weise habe ich einen recht guten Überblick über die Entwicklung zu diesem Thema in Japan. Mein größtes Interesse gilt allerdings noch immer der traditionellen Japanischen Kultur. Ich halte sie für eine der ökologisch ausgereiftesten überhaupt – von der wir noch heute sehr viel lernen können. Sie spielt deshalb auch in meiner Lehre zum Ökologischen Städtebau eine wichtige Rolle. Japan war schon immer ein sehr dicht besiedeltes Land. Es gibt wenig besiedelbare Flächen und knappe Ressourcen. Mit beidem musste schon immer äußerst nachhaltig umgegangen werden, um das eigene Leben und das der nächsten Generationen zu sichern. Das beginnt mit der Art und Weise, wie sie Gebäude bauen, wie sie mit Tee umgehen und wie sie mit Blumen umgehen. In diesen Kreislauf gehört auch der Wald in Japan. Das Ökosystem des Waldes nennt sich Satoyama. Das ist eine uralte Tradition in Japan, weil der Wald mit seinen Früchten und Ökosystemen für die Dörfer und Städte wichtig ist. Das Satoyama-System des Waldes hat in der modernen Zeit wie viele andere ökologische Traditionen fast gänzlich seine Bedeutung verloren.
Die As-One-Gemeinschaft in Suzuka ist für mich deshalb so interessant, weil sie in vielerlei Hinsicht unter heutigen bzw. postindustriellen Bedingungen an diese Tradition anknüpft und sie neu durchdenkt. Das betrifft auch das Satoyama-System. So beziehen sie nicht nur eine neue Art urbaner Landwirtschaft mit der gesamten Nahrungskette in ihr Ökosystem ein, sondern weiten es auf die traditionelle Forstwirtschaft aus. Auch hier versucht die Gemeinschaft, den Gegensatz zwischen Stadt und Land zu überwinden, was meines Erachtens ein Bestandteil einer neuen, ganzheitlichen Stadt- und Landschaftsgestaltung sein wird.