Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
January 24, 2018
Der US-amerikanische Fernsehsender CBS hat vor Kurzem die 50 Jahre alte Serie »Star Trek« wiederbelebt, als TV-Serie »Star Trek: Discovery«. Eines der kennzeichnenden Merkmale von Star Trek war immer die unmittelbare philosophische und soziale Relevanz in Bezug zur Gegenwart. Das ist natürlich das Kennzeichen guter Science-Fiction: Wir können die wichtigsten und kontroversen Herausforderungen der Zeit in neuem Licht betrachten, indem wir sie in ein Szenario in der fernen Zukunft projizieren.
Das ist auch eine der Stärken von »Star Trek: Discovery«. Nach Jahrzehnten mit dystopischen Blockbustern, die unsere kollektive Vorstellungskraft überfluteten, bietet Star Trek ein willkommenes Antidot zu unserer gegenwärtigen Unterhaltungskultur, die sich in apokalyptischen Visionen ergeht. Diese albtraumhaften Visionen eines unvermeidlichen gesellschaftlichen Zusammenbruchs, der erst in allerletzter Minute von einem der modernen Superheldengötter verhindert wird – unerreichbare Projektionen unseres idealisierten Selbst. Aber in Star Trek gibt es keine Superhelden, lediglich einfache Menschen (und Kelpianer und Bajoraner und …), die nur ihre eigenen Fähigkeiten, ethischen Überzeugungen, Erfindergeist und Teamwork haben, um die Welt zu retten.
Das Leben imitiert die Kunst, und an Star Trek liebe ich besonders, in welchem Ausmaß die heutigen technologischen und gesellschaftlichen Trends ihren Ursprung in dieser Serie haben. Oft beziehe ich mich hierbei auf vier Trends unserer biologischen, psychologischen und gesellschaftlichen Evolution, die man in der Serie leicht wiederfinden kann:
Post-Mangel: Star Trek hat uns eine der ersten Visionen einer Welt jenseits des Mangels gegeben. Das ist heute ein besonders wichtiger Einfluss, während wir uns als Zivilisation technologisch bis zu einem Punkt entwickelt haben, an dem wir zum ersten Mal Strategien einer Welt der Fülle bedenken können, die uns über den Kapitalismus in der bisherigen Form hinausbringen kann.
Post-Humanismus: In der Serie wurden auch zwei sehr unterschiedliche Szenarien unserer post-menschlichen Zukunft entworfen. Die eine in Form von Data, der künstlichen Lebensform, die davon träumt, eines Tages ein echter Junge zu sein – und dessen Suche nach seiner eigenen Menschlichkeit die Quelle ebendieser Menschlichkeit wird. Und Borg, der archetypische Albtraum einer technologischen Entmenschlichung und eines fanatischen Kollektivismus auf Kosten der Individualität.
Post-Ironie: Star Trek ist vor allem eine unglaublich ernst gemeinte und idealistische Serie, die sich den vielen Ebenen der Ironie und des unbeteiligten Zynismus entzieht. Sie geht erfrischend ungeniert mit der eigenen Sentimentalität um und erlaubt den Protagonisten zu hoffen, Ziele anzustreben, Fürsorge zu zeigen und über die Coolness einer postmodernen Haltung hinauszugehen.
Post-Metaphysik: Es ist bekannt, dass der Schöpfer der Star-Trek-Serie Gene Roddenberry Bezüge zu einem Gott außen vor lassen wollte. Dahinter steckte die Idee, dass die Menschheit in dieser fernen Zukunft gelernt hat, ein mythisches Schwarz-weiß-Denken in Kategorien von »Wir gegen die anderen« überwunden hat, wodurch Vernunft und menschliche Moral die kalte Dunkelheit, die die Zivilisationen voneinander trennt, erhellen kann.
Aber die Seele von Star Trek sind nicht die Fantasien über ein Utopia, sondern der moralische Kern der Serie: eine postkonventionelle Ethik, die der Entwicklungspsychologe Lawrence Kohlberg als Orientierung an einem universalen ethischen Prinzip umschrieb.
Es gibt eine Szene im neuen Star Trek, wo die talentierte und arrogante erste Offizierin Michael Burnham eine unmögliche Entscheidung treffen muss – entweder sich selbst, ihre Karriere und ihren Kapitän zu betrügen oder die Vernichtung ihrer besten Freunde und Crewmitglieder durch einen wesentlich stärkeren Feind zu riskieren.
Das ist eine klassische Situation, in der man nur verlieren kann. Die Kadetten der Sternenflotte nennen es »Kobayashi Maru« – ein simulierter Übergangsritus für viele, die an der Akademie ausgebildet werden. Aber Michael ist nicht auf die Akademie gegangen. Sie wurde in einer fremden Welt von Vulkaniern aufgezogen, nachdem ihre Eltern Jahrzehnte zuvor getötet worden waren. Sie hatte noch nie zuvor eine solch ausweglose Entscheidung fällen müssen, in der jede mögliche Wahl gleich fürchterlich ist und jeder Weg in die Dunkelheit führt. Sie weiß, was sie zu tun hat. Während ihrer Ausbildung auf Vulkan war sie eine der Besten. Sie weiß, wie sie ihre allzu menschlichen Gefühle und Ängste kontrollieren kann. Es gibt nur eine logische Entscheidung, auch wenn es die ist, die sie auf keinen Fall treffen wollte. So entscheidet sie sich.
Star Trek hat uns immer den Spiegel unserer eigenen sozialen Trägheit vorgehalten.
Und fällt die falsche Entscheidung. Sie trifft nicht nur die falsche Entscheidung, sondern die Konsequenzen sind auch viel gravierender, als sie es sich vorstellte. Es war ihr eigener, echter Kobayashi Maru und sie hat versagt.
Das ist klassischer Star-Trek-Stoff. Im Kern, unterhalb des unermüdlichen Optimismus, des kitschigen Idealismus und des versponnen Technik-Jargons geht es bei Star Trek um moralische Entscheidungen. Besonders die richtig schwierigen: wenn die wichtigsten Regeln gebrochen werden müssen, wenn unsere engsten Beziehungen verraten werden müssen, wenn unsere Integrität und Würde für das Wohl von vielen geopfert werden müssen.
Das ist eines der Dinge, die Star Trek am besten kann: moralische Entscheidungen und deren Konsequenzen von einer post-konventionnellen Ebene aus erforschen. Anders ausgedrückt geht es darum, eine sehr strikte »Oberste Direktive« oder moralische Grundausrichtung überzeugt zu vertreten – und dann genau zu wissen, wann der Zeitpunkt gekommen ist, sie zu brechen. Post-konventionelle Moral bedeutetet, die größte Tiefe für die größte Spanne zu ermöglichen – das größtmögliche Wohl für so viele Menschen wie möglich. Das ist vielleicht so etwas wie die ultimative Oberste Direktive.
Als die ursprüngliche Star-Trek-Serie 1966 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, befanden sich Amerika und viele andere Teile der Welt mitten in einer enormen kulturellen und sozialen Erschütterung. Die Technologie entwickelte sich in einer alarmierenden und unvorhergesehenen Geschwindigkeit, während das soziale Gefüge durch Bürgerrechtsbewegungen, politische Unruhen und globale Konflikte auseinandergerissen und wieder zusammengefügt wurde. Alles war besser als je zuvor und doch fühlte sich die Welt an, als ob sie auf der Schneide eines Bat’leth (das Schwert der Klingonen) ruhte.
Und da kam Star Trek genau im richtigen Moment, um den Spannungen der Ära entgegen zu wirken, indem es eine mitreißendere Vision vom größeren Potenzial der Menschheit zeigte, das den moralischen Bogen des Universums weit in die Zukunft von Raum und Zeit schlägt.
Nun ist Star Trek noch einmal zurückgekommen und schenkt uns ein neues Fenster in unsere mögliche Zukunft jenseits des dystopischen Cyberpunk-Fiebertraums, in dem wir uns zu befinden scheinen. Star Trek hat uns immer den Spiegel unserer eigenen sozialen Trägheit vorgehalten und mit »Discovery« ist es nicht anders. Darin werden die Möglichkeiten (und Konsequenzen) einer »unendlichen Vielfalt in immer neuen Verknüpfungen« erforscht – genau die Werte, die in unserem eigenen Spiegel-Universum angegriffen werden.
Diese Inkarnation von Star Trek ist in gewisser Weise ein wenig reifer als ihre Vorgänger. Man ist eher bereit, die charakterlichen Mängel der Protagonisten und die Konsequenzen ihres Versagens zu untersuchen. Möglicherweise ist es auch die allerschönste Serie, die ich je im Fernsehen gesehen habe, mit einem unglaublichen Design des Sets, wundervoll komplexen Kostümen und umwerfenden visuellen Effekten.
Am wichtigsten ist aber, dass das moralische Herz der Serie erhalten bleibt. Alles, was wir an Star Trek lieben – die unfassbare Technologie, die inspirierenden Visionen unserer nach-prekären Zukunft, die nie endende Suche nach anderen Lebensformen und neuen Zivilisationen, die unsere eigenen werden könnten – und in der Mitte das moralische Herz von Star Trek, ohne das alles andere im Dunkel versinkt. Genauso wie vor 50 Jahren lädt uns die Serie ein, unseren Zynismus beiseitezulegen und unserer Empathie und Logik zu vertrauen. Und uns selbst zu erlauben, unseren Blick zu weiten und unsere Träume auf ein galaktisches Niveau zu heben. Das ist ein neuer Star Trek für eine neue Generation, der genau zur rechten Zeit zurückgekehrt ist.