Transformative Geschichten
Die Filmserie »Shifting Landscapes«
January 30, 2020
Karen O’Brien beschäftigt sich als Soziologin mit unseren möglichen Antworten auf den Klimawandel, der für sie vor allem eine Beziehungskrise ist. Um mit dieser multidimensionalen Herausforderung angemessen umzugehen, müssen wir die verschiedenen Bereiche der Transformation beachten und das Wesen des Wandels tiefer verstehen.
evolve: Wo siehst du als Wissenschaftlerin, die sich jahrzehntelang mit dem Klimawandel auseinandergesetzt hat, den besten Ausgangspunkt für die notwendigen Veränderungen?
Karen O’Brien: Es ist wichtig, die Debatte darüber, was der Klimawandel für die Gesellschaft bedeutet, zu erweitern und zu vertiefen. Allzu oft konzentrieren wir uns bei diesem Thema auf die Treibhausgasemissionen. Dabei ist der Klimawandel viel eher ein Beziehungsproblem. Eigentlich geht es darum, wie wir mit uns selbst, miteinander, mit der Natur und mit der Zukunft in Beziehung stehen. Diese Beziehung umfasst auch die Systeme, in denen wir leben. Wenn wir alles auf unseren eigenen ökologischen Fußabdruck oder die Emissionen reduzieren, vergessen wir die historischen Zusammenhänge und die vielen Interessen, die hinter unserem Umgang mit Energie, Flächenverbrauch und Konsum stehen. Wenn wir den Klimawandel aus dieser Perspektive der Beziehungen betrachten, sehen wir Millionen von Lösungen. Wenn wir jeden einzelnen Menschen als eine Lösung sehen, wird ein Systemwandel weitaus wahrscheinlicher, als wir oft denken.
e: Du beschreibst eine praktische, politische und persönliche Ebene der Transformation. Und du weist auch darauf hin, dass sich die öffentliche Diskussion hauptsächlich auf die praktische Ebene konzentriert. Wie hängen diese drei Bereiche zusammen?
KoB: Diese drei Bereiche der Transformation deuten auf eine ganzheitliche Sichtweise des Klimawandels und der Nachhaltigkeit. Transformationen umfassen alle drei dieser wechselwirkenden Bereiche – wir achten aber nur selten auf alle drei Bereiche und die entsprechenden Verbindungen. Beim Klimawandel richtet sich die Aufmerksamkeit meistens auf den praktischen Bereich, auf verhaltensmäßige oder technische Veränderungen. Diese greifbaren Lösungen beziehen sich oft direkt auf die Ziele, die wir aufgestellt haben, seien es die Verminderung der CO2-Emissionen, weniger Fleischkonsum, mehr Solaranlagen usw. Leider konnten solche praktische Veränderungen nicht schnell oder intensiv genug umgesetzt werden. Wir sind weit davon entfernt, die Emission der Treibhausgase so zu verringern, wie es das Pariser Klimaschutzabkommen festschreibt.
Deshalb ist der politische Bereich so wichtig. Damit sind die Systeme und Strukturen gemeint, die Transformationen im praktischen Bereich gegenwärtig behindern oder unterstützen. Dazu gehören die sozialen und kulturellen Normen, die Regelungen und Bestimmungen, die Institutionen oder die Infrastruktur, die unsere Gesellschaften organisieren. Auf der politischen Ebene geraten wir in Konflikte, weil Menschen und Gruppen unterschiedliche Vorstellungen über diese Rahmenbedingungen haben. Das kann zu neuen sozialen Bewegungen führen, wie wir es mit Extinction Rebellion und Fridays for Future erleben. Aber es kann auch Polarisierung und Lähmung hervorbringen, was beim Klimawandel seit Jahrzehnten der Fall ist.
Für erfolgreiche Transformationen in den politischen und praktischen Bereichen müssen wir dem persönlichen Bereich mehr Aufmerksamkeit schenken, also unseren Überzeugungen, Werten, Weltsichten und Denkmustern. Der persönliche Bereich beeinflusst, wie wir die Systeme im politischen Bereich sehen, damit in Beziehung stehen und sie organisieren. Zudem bestimmt der persönliche Bereich, welchen Zielen und Ergebnissen wir im praktischen Bereich die Priorität geben. Eine neue Beziehung zur Welt kann eine tiefgreifende Wirkung auf unseren Umgang mit Problemen und Lösungen haben.
Es besteht die Gefahr, dass die Betonung des persönlichen Bereichs instrumentalisiert wird. Einige Leute schlussfolgern, dass wir die Einstellungen, Werte und Weltsichten der Menschen ändern müssen. Aber dieser Ansatz funktioniert oft nicht, weil darin die Menschen zu Objekten werden, die man ändern muss. Das mögen die meisten Menschen nicht. Ein wirkungsvollerer Ansatz könnte sein, die Menschen als die Subjekte der Veränderung im Wandel ihres eigenen Lebens zu sehen. Wir können uns darauf konzentrieren, wie wir mit uns selbst und anderen in Beziehung sind. Durch die Verbindung aus und mit unseren tiefsten gemeinsamen Werten könnten wir eine Welt gestalten, in der alle Lebewesen sich entfalten können. Obwohl wir in allen drei Bereichen der Transformation arbeiten müssen, liegt im persönlichen Bereich ein großer Teil des ungenutzten Potenzials für einen Systemwandel.
Die Vorstellung »Ich bin nicht wichtig« ist nicht sehr bestärkend, wenn man auf den Klimawandel antworten will.
e: Im Zusammenhang mit diesem ungenutzten Potenzial im persönlichen Bereich unterstützen Sie 30-tägige Experimente mit Veränderung, die Sie als cCHALLENGE bezeichnen. Sie haben die Teilnehmer*innen gebeten, jeweils eine Verhaltensweise auszuwählen, die sie 30 Tage lang ändern wollen, zum Beispiel nur noch mit dem Fahrrad fahren, kein Fleisch mehr essen, weniger Plastik verwenden oder meditieren. Das hört sich nach einer sehr einfachen Übung an, aber Sie beschrieben eine starke Wirkung. Worin liegt sie?
KoB: Wenn ich über »Transformation«, den »Systemwandel« oder die Komplexität des Klimawandels spreche, klingt das für viele Menschen oft sehr abstrakt. Es kann für die Menschen entmutigend sein, wenn sie daran denken, was sich alles schnell verändern muss, damit wir die UN-Nachhaltigkeitsziele erreichen. Einige Menschen kommen zu dem Schluss, dass wir nichts tun können, dass die Situation hoffnungslos ist. Die Vorstellung »Ich bin nicht wichtig« ist nicht sehr bestärkend, wenn man auf den Klimawandel antworten will.
Bei der 30-tägigen cCHALLENGE experimentieren wir mit bewusstem Wandel und reflektieren über unsere Beziehung zu den drei Bereichen der Transformation. Wenn ich eine Verhaltensweise ändere, beispielsweise mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre, kann ich zuerst die praktische Ebene betrachten, indem ich meine Gewohnheiten und die Logistik untersuche. Kann ich bei Regen oder Schnee fahren? Funktioniert mein Fahrrad? Habe ich einen Helm? Wie lange brauche ich für den Weg? Zudem kann ich die politischen Dimensionen untersuchen, indem ich die kulturellen und systemischen Aspekte verstehe, die mein neues Verhalten unterstützen oder behindern. Gibt es Fahrradwege in meiner Stadt? Gibt es Duschen am Arbeitsplatz? Wie reagiert meine Familie? Als Letztes kann ich meine eigenen Glaubenssätze und Überzeugungen über Veränderung untersuchen. Welche einschränkenden Glaubensmuster habe ich über das Fahrradfahren zur Arbeit? Welche Annahmen habe ich bezüglich der Reaktionen anderer? In solchen Experimenten mit Veränderung erleben wir oft Aha-Momente und wir könnten überrascht sein von der Wirkung unseres Handelns und unserer Gespräche auf andere. Oft bemerken wir, dass wir Systeme beeinflussen können. Durch solche Experimente mit dem Wandel stärken wir unser Gefühl individueller Wirkmacht für einen kollektiven Wandel.
e: Du unterscheidest auch zwischen einem adaptiven und einem transformativen Wandel. Worin liegt der Unterschied?
KoB: In der Literatur zum Klimawandel meint Anpassung die Reaktionen auf die Auswirkungen des Klimawandels. Aber der Klimawandel ist mehr als ein technisches Problem, bei dem es nur um die Anpassungen an die entsprechenden Auswirkungen geht. Es ist eine adaptive Herausforderung, in der wir unser Verhältnis zu Veränderung transformieren können. Transformation bedeutet tiefgreifende Veränderungen in den Formen, den Strukturen und der Sinnfindung und das hat einen Einfluss darauf, wie wir die Lösungen sehen. Für mich besteht die größte Anpassung darin, die Idee anzunehmen, dass wir selbst das Klimasystem verändern. Anpassung als Transformation bedeutet, dass wir unser Potenzial sehen, die Zukunft hier und jetzt zu beeinflussen.
e: Wenn ich dich so direkt fragen darf: Wenn jemand zu dir kommt und sagt: »Okay, wenn die Wissenschaft recht hat, bleiben uns noch zehn oder zwanzig Jahre. Was können wir denn wirklich noch tun?« – und ich bin mir der Tatsache bewusst, dass das in gewissem Sinne eine unfaire Frage ist –, was wäre deine Antwort darauf?
Unsere Denkweisen sind wirksame Hebelpunkte für den Systemwandel.
KoB: Ich finde die Frage großartig und ich halte sie für absolut fair. Meine Antwort wäre, dass wir unsere Überzeugungen und Annahmen über Veränderung hinterfragen und Denkweisen erforschen sollten, die ein Gefühl der kollektiven Wirkmächtigkeit aktivieren. Unsere Denkweisen sind wirksame Hebelpunkte für den Systemwandel, und eine reduktionistische, materialistische und deterministische Denkweise ist nicht angemessen, um auf die Herausforderung des Klimawandels antworten zu können.
Für mich liegt ein enormes Potenzial in der Idee des »Quantum Social Change«. Dies ist eine Sichtweise von Veränderung, in der wir erkennen, dass jeder Einzelne von uns wichtiger ist, als wir denken. Wenn wir uns selbst als verbunden wahrnehmen und als einen integralen Teil des Systems der Erde begreifen: Wie würden wir sein und was würden wir tun, um eine nachhaltige und gesunde Welt zu schaffen? Würden wir Werten den Vorzug geben, die das Wohl des Ganzen im Blick haben, statt nur die Fragmente oder Teile? Wenn wir uns als ein Quantensystem verstehen würden: Wie würden wir unsere Beziehung miteinander und mit der Natur vor dem Hintergrund des Klimawandels verändern? Würden wir uns selbst als die Lösung sehen? Der beste Weg, diese Fragen zu beantworten, liegt in Experimenten mit bewusstem Wandel, kreativer Veränderung und Zusammenarbeit – basierend auf universellen Werten. Wenn Millionen Menschen so handeln würden, dann könnten wir Transformationen hin zur Nachhaltigkeit früher erleben, als wir denken.