Der Blick des Beuys

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Buch/Filmbesprechung
Published On:

July 17, 2017

Featuring:
Joseph Beuys
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Issue 15 / 2017:
|
July 2017
Mensch & Maschine
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Über den Film »Beuys« von Andres Veiel

Joseph Beuys lässt uns nicht los. Wie ein Symbol des Unmöglichen scheint er mit seinem obligatorischen Hut auf dem Kopf durch die Kunst und Kultur der letzten Jahrzehnte zu geistern. Für die einen ein Spinner, ein Möchtegernschamane, der unverständliche Kunst machte und sie philosophisch-esoterisch überhöhte; für die anderen einer der großen Visionäre, der es nicht scheute, Kunst und Kreativität als Lebensform aller Menschen zu deklarieren und damit die Gesellschaft bis in Politik und Bildung zu verändern – oder besser: auf den Kopf zu stellen. Beuys polarisiert, provoziert. Auch heute.

Der Regisseur Andres Veiel wagt nun einen neuerlichen Annäherungsversuch an den Menschen und Künstler Beuys. Dazu steht ihm eine Vielzahl von Archivaufnahmen zur Verfügung – von Performances, Diskussionsrunden, Gesprächen, mit seinen Studenten, im politischen Engagement bei den Grünen. Damit hat Veiel weniger einen Film über Beuys gedreht, als einen mit ihm, oder gar von ihm. Es ist vielleicht das größte Geschenk dieses Films, dass er sich kaum zwischen Beuys und den Betrachter stellt. Wir erleben ihn in Aktion, werden von ihm angesprochen und vor allem angesehen.

Der Blick des Beuys, seine Augen, die immer wieder in Nahaufnahme von der Kinoleinwand blicken, war für mich mit das Eindringlichste an diesem Film. Mit Tränen in den Augen, wenn er bei einer Performance weit in die Ferne schaut, wie in den Horizont der Zukunft hinein. Entschlossen, ungeduldig und auch wütend, wenn er bei einer Diskussion sein Anliegen verteidigt. Konzentriert und entrückt zugleich, wenn er an seinen Skulpturen arbeitet oder in eine Performance vertieft ist. Mit ansteckendem Lachen, wenn er meint, wer wolle denn schon eine Revolution ohne Lachen. Tief traurig, als er einsehen muss, dass er als Kunstprofessor in Düsseldorf entlassen wurde, weil er die Autoritäten dieses Mal zu sehr provoziert hat. Hellwach, wenn er einem Dialogpartner zuhört. Und schmerzhaft enttäuscht, als er nicht wie erwartet beim Parteitag der Grünen als Kandidat für den Bundestag aufgestellt wird. Der Bewegung, in die er so viel Hoffnung setzte, war er zu unbequem geworden.

Der Film versteht es, diese Direktheit immer wieder neu herzustellen. Gut, dass die Interviews mit Zeitzeugen und Wegbegleitern im Hintergrund bleiben. So wird spürbar, welche eine Kraft in dem Künstler wirkte. Sein Ausspruch, »Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung« oder »Man muss sich bis zu Asche verbrennen, sonst hat es gar keinen Zweck«, erweisen sich nicht als Polemik. Beuys hat sie eingelöst, das macht der Film deutlich. Und vielleicht liegt da­rin seine Faszination bis heute. Er hatte den Mut und die Unverfrorenheit, an eine Utopie zu glauben und sich ganz für sie aufzuopfern, bis an den Rand der Erschöpfung – und darüber hinaus. Auch diesen verletzlichen, unter körperlicher Einschränkung leidenden Beuys zeigt der Film. Auch diesen Blick sehen wir und spüren diese Mischung aus unbändigem Gestaltungswillen und menschlicher Verletzlichkeit.

¬ Es ist vielleicht das größte Geschenk dieses Films, dass er sich kaum zwischen Beuys und den Betrachter stellt. ¬

Der Film berührt auch die Biografie von Beuys, aber nicht einfach chronologisch, sondern in den Film verschachtelt, was ihn den Werken des Künstlers verwandt werden lässt. Den Weg des Verstehens muss man sich selbst bahnen, er wird nicht vorgegeben.

Eine Schwachstelle des Films ist vielleicht, dass er die tiefen, auch spirituellen Motive in Beuys‘ Werk nur berührt. Ebenso werden seine doch schon sehr konkreten und herausfordernden gesellschaftlichen Visionen, die sich auch an Rudolf Steiners Anthroposophie orientierten, nur oberflächlich berührt. Auch seine Gedanken zur Wirtschaft, zum Geld, zur Evolution, zur Natur werden nur angedeutet. (Dem spirituellen Aspekt im Werk des Künstlers hat Rüdiger Sünner in seinem Buch und Film »Zeige deine Wunde« ausführlich Raum gegeben.)

Im Fokus dieses Films steht der Mensch Beuys, in all seiner Widersprüchlichkeit und Brüchigkeit. Und in dieser Begegnung geschieht eine Art Kraftübertragung. Mir und meiner Begleiterin ging es jedenfalls so. Wie intensiv lebe ich eigentlich? Wie groß wage ich zu denken und zu fühlen? Wie oft provoziere ich auf der Suche nach dem Wahren? Der Mensch und der Film »Beuys« hat die Kraft, diese Fragen auch heute in uns zu stellen und ist so etwas wie ein Plädoyer gegen Kleinmütigkeit, gegen Bequemlichkeit und für ein Leben mit erhobenem Blick, immer auf das unmöglich Mögliche gerichtet.

Author:
Mike Kauschke
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