Bedingungsloses Grundeinkommen als Kulturimpuls
Enno Schmidt gründete mit Daniel Häni die Initiative Grundeinkommen, um es in der Schweiz über das Mittel der Volksabstimmung konkret umzusetzen. Aber für Schmidt ist das Grundeinkommen nicht nur eine praktische Idee zur Umgestaltung unseres Wirtschafts- und Arbeitssystems, sondern ein Impuls, der die Grundannahmen unserer Kultur transformieren kann.
evolve: Woher kam der Impuls zur Gründung der Initiative Grundeinkommen?
Enno Schmidt: Der kam aus Gesprächen zwischen mir und Daniel Häni. Daniel ist Geschäftsführer im unternehmen mitte, dem ehemaligen Hauptsitz der Schweizerischen Volksbank mitten in Basel, jetzt mit Ateliers, Büroplätzen, Veranstaltungsräumen, Praxen und dem größten Kaffeehaus der Schweiz. Wir stellten zur beiderseitigen Überraschung fest, dass wir in den Fragen, was eigentlich ein Unternehmen ist, was Kunst heute ist, sehr übereinstimmten. Darum kam der Gedanke, etwas zusammen zu machen. Dass Menschen Geld brauchen, um tätig zu werden, das war uns beiden das Wichtigste. Nicht Bezahlung, die absorbiert, sondern ein Einkommen. Also gründeten wir die Initiative Grundeinkommen in der Schweiz. Als Künstler habe ich auch in Unternehmen gearbeitet, weil ich denke, dass die Kunst heute in den Unternehmen ist. Die Kultur wird ja dort gebildet, wo die Menschen sind und wo wir Dinge erzeugen und die geschaffene Umwelt entsteht, in der und mit der wir leben.
Für mich ist das Grundeinkommen weniger ein Mittel gegen Not und Armut, sondern ein Impuls, den Menschen die Möglichkeit zu geben, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Und zwar allen. Es ist ja schlicht unproduktiv und uneffektiv, wie viel an Eigenart, Intelligenz und biografischer Besonderheit, Tiefe und Bedarfsbezogenheit vergeudet und gekappt wird durch das Dogma des bezahlten Arbeitsplatzes. Die Bezahl-Arbeit vergeudet viel Kreativität und Verantwortung. Initiative kann man sowieso nicht bezahlen. Die Wahrnehmung geht am Menschen vorbei und erkennt nur Funktionen. So ist es auch bei den Sozialleistungen, wo das Wort »sozial« etwas Hässliches bekommt, obwohl das Soziale eigentlich etwas Wunderbares ist. Es ist eigentlich das Vertrauen ineinander.
Jenseits der Ökonomisierung
e: Die Idee des Grundeinkommens geht davon aus, dass der vorhandene Reichtum, der heute in Sozialhilfe, Arbeitslosengeld und ähnliche Zahlungen fließt, anders strukturiert wird, um einen neuen gesellschaftlichen Impuls zu setzen. Einerseits um die Verwaltungsbürokratie zu entlasten und andererseits, um eine Grundsicherung zu schaffen, die, zumindest Ihren Kalkulationen nach, nicht mehr kostet als unser Sozialsystem heute. Zudem würden Freiräume geschaffen, sodass sich die Menschen aus Freiheit in die Gesellschaft einbringen könnten. So verstehe ich auch Ihren künstlerischen Impuls. Was ist für Sie der wichtigste Aspekt am Grundeinkommen?
ES: Sie haben wichtige Punkte benannt, die ich alle anders sehe. Das bedingungslose Grundeinkommen meint allein den Menschen. Der steht im Zusammenhang mit allem und von dem geht alles aus. Es geht nicht darum, Sozialleistungen einzusparen, Reichtum umzuverteilen. Das können Folgen sein, werden es sein, aber das ist nicht der Ausgangspunkt. Das Grundeinkommen ist eben nicht eine Lösung für dieses oder jenes Problem, wo man schon wieder gemütlich auf dem Hintern sitzen bleiben kann und an Funktionen und alte Gerechtigkeitsvorlieben und Nöte denkt. Das Grundeinkommen reißt einen eigentlich hoch, endlich selbst zu denken und selbst hinzuschauen, wo wir heute stehen, und den Menschen wahrzunehmen. Das Grundeinkommen kommt nicht, weil es rechnerisch aufgeht, weil es für »die Armen« ist und »den Reichen« etwas wegnimmt. Das sind Kategorien, die ein bedingungsloses Einkommen für alle undenkbar machen. Ich glaube, was vielen so aufstößt am Bedingungslosen, ist, dass endlich der Riss im Kreis offen gehalten wird; man lebt in einem geschlossenen Kreis von Vorstellungen, Funktionen und Maßstäben und dieser Riss, diese offene Stelle ist der Mensch. Der Mensch ist eine Größe für sich selbst, nicht eine passende Form, nicht nur eine Variable in Funktion und Rentabilität. Die Ökonomisierung all der Lebensbereiche, wo sie überhaupt nicht hingehört und alles zerstört, ist ja nur möglich, weil es kein Menschenbild gibt, sondern weil der Mensch als biologisch physikalische Konstellation verstanden wird.
e: Wie kann das Grundeinkommen diesen Riss aufreißen, diese Offenheit eröffnen, in der wir den Menschen wirklich sehen?
ES: Ich denke, der Gedanke des bedingungslosen Grundeinkommens führt da hin. Machen muss man es selber. Mit oder ohne Grundeinkommen. Ich will die Idee auch nicht überstrapazieren, als sei sie allein heilbringend und auch wieder nur ein Mittel zum Zweck. Das wäre auch eine Funktionalisierung. Dann ist die Sache tot. Dann dient sie Vorlieben. So reagieren auch manche Gegner darauf. Sie riechen Vorlieben. Und es erschreckt sie das Nicht-Funktionale, hinter dem das unbekannte Wesen Mensch als schwarzes Loch erscheint. Dann kommen die funktionalen Gegenargumente: Das kann man nicht finanzieren! Wer arbeitet dann noch? Das zieht Migranten an! Und so weiter.
¬ DIE BEZAHL-ARBEIT VERGEUDET VIEL KREATIVITÄT UND VERANTWORTUNG. ¬
Nehmen wir als Beispiel die Frage: »Wer arbeitet dann noch?« Ich habe mit vielen Unternehmern gesprochen. Da reduziert sich die Frage schnell auf die 15 % bis 30 % der Mitarbeiter, von denen sie annehmen, dass die hauptsächlich des Geldes wegen arbeiten. Das sind aber auch die schlechter bezahlten Arbeiter, die in der Firma nicht so viel gelten und wenig eingebunden sind. Wenn die aber unverzichtbar sind, dann könnte man sie doch auch mehr wertschätzen und besser bezahlen. Sie werden heute nicht wertgeschätzt, weil die Leute sich nicht geltend machen können. Das Grundeinkommen holt die Existenzgrundlage aus der Verhandelbarkeit am Markt heraus und gewährt sie als soziales Recht.
Oft höre ich, dass sich erst einmal die Gesellschaft ändern oder der Kapitalismus abgeschafft werden muss, oder dass erst eine große Bildungsoffensive gestartet werden müsste, damit die Menschen reif werden, mit einem bedingungslosen Grundeinkommen umzugehen. Aber das Grundeinkommen selbst ist die Bildungsoffensive. Die Gespräche über diese Idee sind die Aufklärungsoffensive, öffnen neue Perspektiven und beinhalten die Entwicklung neuer Kräfte.
Und das hat für mich mit Kunst zu tun. In der Kunst geht es meistens darum, das ganz Naheliegende wahrzunehmen. Wir suchen immer irgendwo in der Ferne, in Spekulationen über andere. Die Wirklichkeit ist aber das Nächstliegende. So ist es auch mit der Idee des Grundeinkommens. Ich kann es erleben in dem, was es bei mir auslöst. Ich erlebe mich in dem, was ich damit mache. Das Naheliegende ist oft eine Herausforderung und holt einen aus der Bequemlichkeit. Das Naheliegende ist nicht das Bekannte.
Konfrontation mit dem Möglichen
e: Für Sie hat das Grundeinkommen also eigentlich eine doppelte Kraft. Einerseits die Kraft, die das Grundeinkommen als solches freisetzt, aber andererseits die Kraft, die das Grundeinkommen bereits als Idee freisetzt?
ES: Jetzt ist die Zeit, in der es ja noch nicht als ausgezahlter Betrag da ist, sondern als Gedanke und Auseinandersetzung. Das ist nicht weniger real als wenn es auch Geld ist. Es ist sogar in mancherlei Weise jetzt realer, als wenn es zur Gewohnheit geworden ist. Es geht nicht in erster Linie ums Geld. Es geht nicht um eine Reform der Sozialleistungen, sondern um einen Kulturimpuls. Das bedingungslose Grundeinkommen steht in einer Reihe mit Ideen wie Demokratie, Menschenrechte oder Abschaffung der Sklaverei. Darum fragt es auch nach deren Konsequenz.
e: Diese Konfrontation empfinde ich auch, wenn ich mit Ihnen spreche, es konfrontiert mich in meinen bisherigen Denkformen. Unser gängiges Denken sagt, wir arbeiten zur Existenzsicherung. Aber in der Frage, »Wer bin ich, wenn meine Existenzgrundlagen materiell gesichert sind?«, bricht eine Dimension auf, wo ich auf eine ganz neue Weise gefragt bin, was ich eigentlich in diesem Leben tun und verwirklichen will. Das ist eine existenziell tief beunruhigende Frage.
ES: Ja, die Bedingungslosigkeit wirft einen auf sich selbst zurück. Das ist so ziemlich das Schlimmste, was einem passieren kann. Aber auch das Beste. Es ist ein Brennglas darauf, ob ich denn wirklich das Optimale tue, ein Brennglas auf die Selbstverantwortung. Unsere Biografien heute haben mehr Brüche als die der Generationen vor uns. Brüche sind auch Momente des Freiwerdens und des Anstoßens an ein Bewusstsein des Ich. Sich betroffen machen, Eigeninitiative, das sind Bewegungen der Menschwerdung. Wir besitzen heute so viel Wissen und durch die Technik nie da gewesene Möglichkeiten. Aber wir brauchen eine parallele Entwicklung im Bewusstsein, in seelischer Kraft und Verantwortung.
e: Können Sie etwas mehr erläutern, was es freizulegen gilt und worin diese Entwicklungsarbeit besteht?
ES: Viele Arbeiten werden von der Technik übernommen. Dadurch werden mehr Menschen frei für Arbeiten, die im Bezahlsystem unterbleiben, nach denen Bedarf besteht, die Empathie und Initiative brauchen. Wir alle wissen, dass ganze Tierarten aussterben, dass immer mehr Menschen an Hunger sterben, noch nie so viele Menschen versklavt waren wie heute, dass der Klimawandel in den nächsten paar Tausend Jahren eine permanente Herausforderung sein wird. Wir bringen uns nicht mehr in das Politische ein, weil wir es widerlich finden. Es ist jedoch notwendig, dass wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen.
e: Für Sie ist das Grundeinkommen also kein Zukunftsprojekt, sondern eine Idee, die mich geistig herausfordert, wenn ich mich darauf einlasse und mein Ich-Sein in Frage stelle.
ES: Ja, es ist jetzt. Mein Ich-Sein würde ich nicht in Frage stellen, aber das, was ich dafür halte. Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens spricht dich da an, wo du eigentlich selber wirklich bist. Und da ist man dann überrascht oder empfindet das als Provokation.