Was ist »metamoderne« Spiritualität? Für mich beginnt sie mit einer Sensibilität, die spürt: »Ich weiß, dass alles angezweifelt werden kann. Ich weiß, dass alles dekonstruiert, infrage gestellt und kritisiert werden kann. Ich weiß, dass Wahrheit schwer fassbar und kontextabhängig – bestenfalls vorläufig – und Bedeutung flüchtig und vergänglich ist. Offen für Perspektiven. Offen für Ungewissheit – nie sicher, nie feststehend. Ich weiß das, und ich habe es erlebt – ich habe das Schwindelgefühl gespürt, wenn mir eine feste Weltanschauung (nach der anderen) unter den Füßen weggezogen wurde. Aber ... Ich suche weiter den Sinn.
Für mich beginnt eine metamoderne Spiritualität dann, wenn die Pfeiler eingestürzt sind und die großen Bauwerke von Mythos und Religion zerschmettert vor unseren Füßen liegen: ein Trümmerfeld, übersät mit einstigen Wahrheiten und ehemals zwingenden Fiktionen. Das sind die Landschaften, die von den Gespenstern der Sinnlosigkeit und des Nihilismus heimgesucht werden, das stimmt. Aber auch diese kannst du mit ihrem Sirenengesang hinter dir lassen, weil du weißt: Sie haben nur den Tod zu bieten. Nein, es gibt einen Sinn ...
Aber wo? »Öffne endlich deine Augen und schau / Die Trostlosigkeit der Wirklichkeit«, spottet die Stimme der Desillusionierung in Richard Wilburs Gedicht »In Moorditch« – worauf der Dichter antwortet: »Das kann nicht die Welt sein«, sagte ich. »Sie wird es auch nicht sein, / Bis der Farbstift des Herzens sie schmückt und ausfüllt.« Das ist eine besondere Art von Malerei – eine, die sich der Aufgabe verschreibt, die Welt willentlich zu verzaubern. Sinn wird nicht einfach gegeben, er wird entwickelt, aus den Umständen heraus angestrebt, aus dem inneren Samenkorn, das nun würdig ist, »Seele« genannt zu werden.
Damit erhält die Metamoderne einen Leitstern und einen Kompass: »An die Arbeit!« Die Mythen und Bedeutungen der Traditionen waren nur Konstruktionen? Mach dich auf und konstruiere neu! Du suchst inmitten einer Sinnkrise, die uns überrollt, einen Sinn für dein Leben? Dann mache dein Leben zu einem Leben der Sinnstiftung! Welch dringlicheres und wichtigeres Ziel könntest du dir wünschen, als eine Hebamme für neue Weltperspektiven zu sein und die Göttlichkeit in ihrer Emergenz zu unterstützen? Sich zum Dienst zu melden, um die Kathedrale unserer aufkeimenden Bestimmung zu errichten?
¬ DIE ZEIT IST REIF FÜR DEN WIEDERAUFBAU. ¬
Denn genau dorthin führt diese Sensibilität, glaube ich. Jenseits der Dekonstruktion der Wirklichkeit breiten sich neu geebnete Felder der Möglichkeiten vor uns aus. Die Zeit ist reif für den Wiederaufbau.
An dieser Stelle kehrt der Mythos zurück – nicht als eine Reihe von Behauptungen, die es zu bekräftigen gilt, sondern als eine Aufgabe, eine Arbeit, ein Opus, ein Werk. Hier taucht Gott wieder auf – nicht als Objekt deiner Anbetung, sondern als dein Dienst. Gott ist die Aufgabe; die Erbauung ist ein Ziel. Das emergierende Göttliche ist die Kirche, an der wir arbeiten – die Sinn-Erweiterung, die Metamorphose der Bedeutung. Das ist das Werk, an dem wir arbeiten: die Farbe des Geistes zu verströmen, um das Werk zu schmücken und zu erfüllen.
Und wenn wir genau hinsehen, werden wir feststellen, dass wir bei diesem großen Unterfangen nicht allein sind. Wir werden nicht nur von einer bunt zusammengewürfelten Schar Hoffnungsvoller unterstützt – Erneuerern wie wir, die sich aus dem dringlichen, existenziellen Moment heraus auf den Weg machen –, sondern auch von der langen Prozession unserer Vorfahren, die die Sinnstiftung in allen Phasen unserer Geschichte ebenso gut gestaltet haben. Wir schließen uns der Vorhut eines uralten Ritus an – um das Göttliche zu wandeln. Um es in Bewegung zu bringen. Um neues Leben zu gebären. Um den Geist an der Grenze des Seins im Gesang erklingen zu lassen und neues Licht zu bringen.
Wir übernehmen die Fackel von ihnen und stellen uns an unseren Platz. Auch wir erheben uns, um dem Unbekannten Göttlichen unsere kleine Tempelnische zu errichten. Sehende für das Große Unsichtbare. Propheten für Seine Stummheit. Die dem Heiligen Ganzen Selbst helfen, sich aus der menschgewordenen Welt zu erheben – ein ewig entstehender König der wiederversammelten Teile. Lobpreis.
Und so nimmt das, was seinen Anfang in den Trümmern fand, neue Formen an. Die Dämmerung der Götzenbilder bricht über den Ikonen eines unendlich wiederauferstehenden Gottes herein. Und die ganze Trostlosigkeit der Wirklichkeit, die uns befallen und verängstigt hat, lernt eine Färbung kennen, die in ihrem Bemühen, Vollkommenheit zu zeichnen, für immer versagt.
... Vielleicht.
Alles kann infrage gestellt werden, nichts ist festgeschrieben. Sollte sich nichts davon bewahrheiten, dann ...
gibt es noch immer einen SINN.