Über den Film »Der weise Schmerz der Seele« von Zaya und Maurizio Benazzo
Zu Beginn der Corona-Pandemie, als die norditalienische Lombardei besonders schwer betroffen war und die Italiener auf ihren Balkonen Gesänge der Dankbarkeit und Hoffnung anstimmten, verbreitete sich weltweit der kollektive Instinkt, die Schwächsten der Schwachen zu schützen. Innerhalb von sechs Monaten begann die Stimmung zu kippen. Hinter verschlossenen Türen entwickelten sich Gewalt und Alkoholmissbrauch zu ebenso großen Gefahren wie das Virus selbst. Wut und Depression entstanden aus der Unsicherheit und der Zerrissenheit so vieler Leben. Als die Angst schließlich paranoide Züge annahm und in zunehmend wilde Verschwörungsgeschichten umschlug, wurde mir bewusst, wie verletzlich die Fassade der Normalität war. Die Dämonen unserer Traumata kamen zum Vorschein.
Was ist Trauma? In progressiven spirituellen Kreisen wird dieser Begriff sehr häufig verwendet. »Trauma ist nicht das, was dir passiert«, sagt Dr. Gabor Maté, die Leitfigur in dem Film »Der weise Schmerz der Seele«. »Trauma ist das, was in dir als Folge dessen geschieht, was dir passiert ist.« Das ist eine wichtige Unterscheidung und für die Botschaft dieses Films von zentraler Bedeutung.
Wenn Maté im Film mit obdachlosen Süchtigen, einem Krebspatienten, dessen Frau oder vor Publikum spricht, wird die entscheidende Bedeutung dieser Unterscheidung allmählich klar. Was mit einem Kind geschieht, liegt nicht in dessen Einflussbereich. Für viel zu viele Kinder aus allen Schichten ist die Kindheit eine Ge-schichte von Vernachlässigung, Verlassenheit und Missbrauch. Anhand einer Reihe verschiedener Personen zeigt Maté auf, wie klug solche schwer traumatisierten Menschen im Umgang mit ihrem überwältigenden emotionalen Schmerz und der Leere sind. Drogensucht, Obdachlosigkeit, Gewalt und andere quälende Formen der Selbstzerstörung sind Wege, um der Scham und dem Schmerz zu entkommen, die das Leben unerträglich machen. Dies zu erkennen, ist der Beginn jeder Heilung. Und das ist auch das zweite Anliegen, auf das Maté aufmerksam machen möchte: Traumata können geheilt werden.
¬ TRAUMATA KÖNNEN GEHEILT WERDEN ¬
Der Film bietet die Vision einer Kultur, in der das Phänomen Trauma verstanden wird und Menschen, die als Kinder großes Leid erfahren haben, sich nicht mehr verstecken müssen und dann den einzigen Ausweg darin sehen, ihren Schmerz zu betäuben oder in Wut auszubrechen. Eine beeindruckende Szene des Films stammt aus einem Hochsicherheitsgefängnis in den USA: Über 64 Prozent der Gefängnisinsassen haben in ihrer Kindheit Gewalterfahrungen gemacht. Eine der provokantesten Aussagen von Dr. Maté ist, dass unser Gefühl dafür, was normal ist, durch Traumata geprägt wird. Können wir unsere Kultur vom Trauma befreien und es durch Mitgefühl und Verständnis ersetzen?
Die Organisation SAND – Science and Nonduality – hat den Film nicht nur produziert, sondern das Thema inzwischen auch zu ihrem Projekt erklärt. Deshalb haben Zaya und Maurizio Benazzo, die Mitbegründer dieser Community, aufgehört, Konferenzen für den Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Bewusstsein zu veranstalten, um daran mitwirken zu können, die Vision von Maté Wirklichkeit werden zu lassen. Ich betrachte dieses Engagement als Fortsetzung ihrer Bewusstseinsarbeit, die nun dem menschlichen Leiden und der Heilung gewidmet ist.
Einerseits sind moderne Arzneimittel eine großartige Errungenschaft und ein Geschenk, aber oft ignorieren wir im Umgang damit die Beziehung zwischen Körper und Seele. Das SAND-Projekt lädt uns dazu ein, unsere Menschlichkeit, unser Bedürfnis nach Fürsorge und die Wirkkraft des menschlichen Bewusstseins zur Heilung unseres Geistes und unseres Körpers zurückzugewinnen. Wir sind verletzliche Wesen, aber wenn wir die Fürsorge füreinander und die sanfte Wärme des menschlichen Bewusstseins als das anerkennen, was jede und jeder von uns verdient, gewinnen wir an Würde und Kraft zurück. Und wenn Initiativen wie die von SAND und Dr. Maté mit diesem Projekt erfolgreich sind, wird der nächste globale Stressfaktor uns Menschen vielleicht die Gelegenheit bieten zusammenzukommen, statt uns zu spalten.