Gaia, Cyborgs und wir

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Buch/Filmbesprechung
Published On:

April 16, 2020

Featuring:
James Lovelock
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Issue:
Ausgabe 26 / 2020
|
April 2020
Menschliche Reife
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Eine Besprechung des Buches »Novozän« von James Lovelock

James Lovelock wurde als Urheber der Gaia-Hypothese bekannt und hat nun sein Alterswerk veröffentlicht: »Novozän. Das kommende Zeitalter der Hyperintelligenz«. Es ist sehr beeindruckend, dass Lovelock dieses Buch im Alter von 99 Jahren geschrieben hat. Und es wirkt wie eine Art Abschiedsbrief, der sich aber nicht an die Menschheit als fühlende Lebensform richtet (die nach Ansicht des Autors durch hyperintelligente, sich rapide selbst verbessernde Cyborgs ersetzt werden wird), sondern an das eigene Leben des Autors als Individuum in dieser Welt, als diese spezifische Person, die diese spezifische kohlenstoffbasierte Verkörperung bewohnt.

Ich kann nur ahnen, wie unausweichlich Lovelocks geschärftes Bewusstsein seiner eigenen Sterblichkeit die apokalyptische Botschaft seines jüngsten (und, wie es im Vorwort heißt, wohl auch letzten) Buches geprägt hat. »Seid nicht allzu traurig, liebe Menschen«, sagt der Autor, »unsere Geschichte war beeindruckend, aber wir sind dazu bestimmt, von den kybernetischen Organismen, die wir selbst geschaffen haben und die in jeglicher Hinsicht fortgeschrittener sein werden als wir, überflügelt zu werden.«

Im Wesentlichen zeigt »Novozän« Lovelock als systemischen Denker, er schreibt in erster Linie aus der Perspektive der dritten Person, besonders über kollektive biosphärische Zusammenhänge. Lovelock stellt fest, dass unser Denken in seiner Komplexität über die formale, lineare Logik hinausgehen muss, um die Idee von Gaia zu verstehen. Es ist nur möglich durch ein direktes Verstehen eines multidimensionalen, nichtlinearen Ganzen.

BEWUSSTES WAHRNEHMEN IST EIN RAUM VON LEBENDIGKEIT UND VIBRIERENDER ANWESENHEIT.

Diese Denkweise ist mit dem vergleichbar, was Entwicklungsforscher als Postformales Denken bezeichnen, das von Ken Wilber Schau-Logik genannt wird. Lovelock scheint jedoch solche Arbeiten zur Entwicklungstheorie gar nicht zu kennen, und so bezeichnet er diese von ihm eingeführte visionäre Kapazität als intuitive, nichtlineare Einsicht statt als neue Bewusstseinsstufe.

Der Autor versucht sich an einer Zukunftsschau, manche Kritiker seines Buches äußern allerdings die Meinung, seine Szenarien erinnerten an mittelmäßige Science-Fiction. Lovelock behauptet, dass mit der Erfindung der Dampfmaschine das Anthropozän begonnen habe, in dem die Menschheit gelernt hat, Sonnenenergie aus fossilen Stoffen zu gewinnen, und ihre Technik über den ganzen Planeten ausgebreitet hat. Aber nun stehen wir an der Schwelle eines neuen Zeitalters, das Lovelock probehalber als Novozän bezeichnet. Dabei handelt es sich um ein Zeitalter der hyperintelligenten Maschinen.

Lovelock setzt voraus, dass diese Maschinen aufgrund ihrer Hyperintelligenz die Menschheit nicht auslöschen werden, einfach deshalb, weil Maschinen und Menschen zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Umweltkrise kooperieren müssen, um es unserem gemeinsamen Gaia-System zu ermöglichen, innerhalb einer erträglichen Temperaturspanne zu bleiben. Das ist notwendig für das Überleben von kohlenstoffbasierten Lebensformen (also uns) und nicht-kohlenstoffbasierten Lebensformen (also den Cyborgs). Die Maschinen werden uns als Verbündete brauchen.

Das Hauptproblem in Lovelocks Denken – wie auch der meisten anderen Autoren, die über eine posthumanistische Zukunft nicht-kohlenstoffbasierter, fühlender Cyborgs fantasieren – liegt darin, dass er Bewusstsein eher im Konzept von Intelligenz fasst als im Bereich der Wahrnehmung, der Tiefe der Innerlichkeit. So verfehlt er komplett die ganze Bewusstseinsfülle, die uns heute schon potenziell zugänglich ist (und ist so auch nicht in der Lage, andere, subtilere Möglichkeiten von Evolution zu erkennen).

Ich will damit sagen, dass bewusstes Wahrnehmen eher ein Raum von Lebendigkeit und vibrierender Anwesenheit ist – allem anderen vorangehend, auch solchen Dingen wie Rechenleistung. Bewusstes Wahrnehmen ist wohl eine dem Kosmos inhärente Dimension. Dieses bewusste Wahrnehmen verbindet sich immer neu zu einer Vielzahl von Zuständen und Strukturen und bietet uns – und höchstwahrscheinlich anderen fühlenden Wesen – eine Multidimensionalität von erlebtem Bewusstsein. Genau dieses erlebte Bewusstsein existiert nicht in Cyborgs oder künstlicher Intelligenz und wird darin höchstwahrscheinlich nie existieren. Jegliche Konzeptualisierung, die den Reichtum von Bewusstheit und bewusster Wahrnehmung nicht versteht, ist nichts als flacher, kurzsichtiger Reduktionismus.

Author:
Eugene Pustoshkin
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