Gelb ist die Farbe der Ewigkeit

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Buch/Filmbesprechung
Published On:

July 18, 2019

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Ausgabe 23 / 2019:
|
July 2019
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Eine Besprechung des Filmes »Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit« von Julian Schnabel

Seit langer Zeit gibt es wieder ein Meisterwerk im Kino zu bestaunen: den Film des amerikanischen Künstlers Julian Schnabel über den Maler Vincent van Gogh mit dem einzigartigen Willem Dafoe in der Hauptrolle. Ich war sehr gespannt, ob es dieses Werk schafft, einen anderen großartigen Film über das Malergenie zu übertreffen: Maurice Pialats »Van Gogh« von 1991. Am Ende überzeugte mich der Minimalismus von Schnabel mehr. Fast nur mit der Handkamera gedreht, spürt der Film der manisch-kreativen Unruhe nach, mit der van Gogh die ihn umgebende Natur einzufangen versucht, die ihn schließlich in eine psychiatrische Klinik und zu einem frühen tragischen Tod führt. Doch es ist keine »Verrücktheit« im herkömmlichen Sinne, wie seine Zeitgenossen glaubten und wie es der Künstlermythos weitergesponnen hat.

Van Gogh, der ursprünglich einmal Pfarrer werden wollte, war ein tief spiritueller Mensch, überwältigt von dem, was er hinter den Dingen spürte. Er malte keine Sonnenblumen, Baumwurzeln oder Sternenhimmel, sondern die wirbelnde Energie dahinter, die aus einem Mysterium hervorströmt, dessen überfließende Qualität den Maler an seine mentalen Grenzen brachte. Van Gogh war nicht verrückt, sondern mit einer Hypersensibilität ausgestattet, die kein normales Leben gestattete. So zog er in einer Art Dauereuphorie durch die glühenden Felder und Wiesen Südfrankreichs und versuchte, das in ihnen lodernde geistige Feuer in Wirbeln und Spiralen einzufangen. Sein Freund Gauguin macht ihn einmal darauf aufmerksam, dass er die Farbe in dicken Schichten »wie Lehm« auf die Leinwand haut, als ob ein normaler Strich nicht ausreicht, um die überströmende Energie des Universums auszudrücken. Aber die Bevölkerung verstand nicht, dass hier ein moderner Gottsucher am Werk war, der nicht in der Kirche betete, sondern unter freiem Himmel inmitten eines üppigen Formenreichtums und einer prachtvollen Vegetation. Was Hildegard von Bingen im 12. Jahrhundert die »heilige Grünkraft« nannte, spürte auch van Gogh, aber er nahm nicht nur ihre lichten und sanften Qualitäten wahr, sondern auch das Chaotisch-Dämonische darin, was für ihn dazugehörte. »Gott ist Natur und Natur ist Schönheit«, lautete das pantheistische Glaubensbekenntnis des Malers, in dem ein moderner Begriff des »Schönen« enthalten ist, der auch das Abgründige mitumfasst.

Manchmal schweift die Handkamera ruhelos durch gelbe Felder und stellt Unschärfen her, die aus festumgrenzten Farbfeldern schwimmende Lichtinseln machen: Hier sind bereits ästhetische Einstellungen der »abstrakten Malerei« vorweggenommen, die erst 50 Jahre später von Wassily Kandinksy in seinem Essay »Über das Geistige in der Kunst« formuliert wurden. Bereits van Gogh sah Farben und Formen als gegenstandlose Energien an, die aus grenzenlosen Räumen kommen, aus einer Ewigkeit, die für ihn wohl aus der Farbe Gelb bestand.

VAN GOGH WAR NICHT VERRÜCKT, SONDERN MIT EINER HYPERSENSIBILITÄT AUSGESTATTET, DIE KEIN NORMALES LEBEN GESTATTETE.

Sparsam komponierte Musik untermalt zahlreiche Szenen ohne Dialog, in denen man den Maler nur in den betörend schönen Landschaften Südfrankreichs herumstreifen sieht. Schnabel zeigt neben den einfachen Landschaftsbildern auch lange ruhige Dialoge, in denen tiefgründige Fragen zu Themen wie Kunst und Religion verhandelt werden. So gibt es eine Art Verhör van Goghs durch einen Geistlichen (großartig: Mads Mikkelsen), der die psychiatrische Anstalt leitet, in der der Maler mit Kaltwasserkuren behandelt wird. Der Priester soll prüfen, ob er den von Visionen geplagten Künstler wieder entlassen kann. In diesem Gespräch zeigt sich plötzlich, dass der »kranke« und »gottverlassene« Maler mehr über bestimmte Stellen in der Bibel weiß als der Geistliche, was diesen berührt und zur Entlassung van Goghs motiviert.

Unter mysteriösen Umständen kommt der Maler schließlich mit nur 37 Jahren ums Leben, bis heute ist nicht ganz klar, ob es Mord oder Selbstmord war. Der geniale Willem Dafoe spielt diesen Außenseiter der Kunstgeschichte zeit- und alterslos, als berührendes und fragiles menschliches Wesen, das an seiner ekstatischen Gottessuche und manischen Wahrheitsliebe zerbrach. Um alle Zwischentöne von Dafoes einzigartigem Spiel mitzubekommen, muss man den Film unbedingt in der Originalfassung mit Untertiteln sehen.

Author:
Ruediger Suenner
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