Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
July 17, 2017
In ihrer Arbeit als Menschenrechtsaktivistin bemerkte Rama Mani, dass wir oft nur die äußere Seite von Konflikten betrachten. Sie beschloss, einen Weg zu finden, der auch die kulturellen, sozialen und spirituellen Dimensionen einbezog und gründete 2013 das »Theatreof Transformation«, um mittels Performance und Storytelling die Geschichten von Menschen zu teilen, die einen Weg aus dem Leiden herausgefunden haben, indem sie sich und die Gesellschaft transformieren. Ihre Kollegen und sie bringen diese Geschichten zu Konferenzen und in Institute und Projekte auf der ganzen Welt, z. B. Palästina, Brasilien, Kongo, Türkei, Indien und dem Libanon.
evolve: Wo begann dein Weg, der dich zum »Theatreof Transformation« geführt hat?
Rama Mani: Ich bin in Indien aufgewachsen und war mir der Ungerechtigkeit um mich herum zutiefst bewusst, gleichzeitig wusste ich aus meiner Kultur, dass Menschen die Fähigkeit haben, menschlichere Systeme zu schaffen. Als Kind war ich außerordentlich kreativ, aber ich dachte, Kunst würde nicht ernst genommen, weshalb ich einen politischen Weg einschlug. Mit 18 Jahren bekam ich ein Stipendium für die USA und studierte Politikwissenschaften und französische Literatur. Ich interessierte mich leidenschaftlich für politischen Wandel, aber ich verlor meine Weichheit und Kreativität. Ich beschloss, an der University of Cambridge über die Wiederherstellung von Gerechtigkeit nach Krieg und Völkermord zu promovieren. Kurz vor dem Abschluss wurde mir plötzlich bewusst: »Ich habe nach äußerlichen Ursachen gesucht, aber Konfliktlösung beginnt in dir selbst.« Das veränderte mein Denken über Konfliktlösung radikal.
e: Wie geschah dieser Wandel?
RM: Zuvor interessierten mich nur äußere Ergebnisse, innerliche Prozesse waren mir nicht so wichtig. Dann stieß ich zufällig auf ein Buch über Buddhismus, in dem beschrieben wurde, wie man Mitgefühl kultivieren kann. Es inspirierte mich, die Bedeutung der kulturellen und persönlichen Dimensionen in der Konfliktlösung in meine Doktorarbeit einzubeziehen. Bei meinem ersten Arbeitsplatz nach meiner Doktorarbeit war ich Konfliktberaterin bei Oxfam GB, ich lebte in Äthiopien und beschäftigte mich mit den vielen Konflikten am Horn von Afrika. Ich spürte eine große Diskrepanz zwischen den normalen Menschen vor Ort und den Entscheidungsträgern bei der EU und der UNO und fragte mich, was mir in all dem fehlte. Mitten in einer Friedensmission hatte ich unter meinem Moskitonetz in Somalia eine Offenbarung: »Verdammt, es geht um Kunst.« Mit Kreativität können Konflikte transformiert werden. Kreativität verbindet und kann Straftäter ebenso erreichen wie Opfer, Unbeteiligte und Entscheidungsträger.
e: Wie nutzt du Kunst, um Konflikte zu transformieren?
RM: Wenn man Geschichten der Transformation durch die Mittel des Theaters darstellt, kann man die rechte, kreative Hirnhälfte von Politikern und Entscheidungsträgern erreichen. Es öffnet ihre Herzen. Sie sind nicht länger nur Zuschauer, sondern werden zum Zeugen. Dadurch kann man die Einzigartigkeit jedes Menschen zeigen und gleichzeitig wird die Illusion der Trennung zerstört. Die tiefe Einheit, die uns alle verbindet, wird wahrnehmbar. Jede Geschichte ist anders, weil jeder Mensch anders ist, und doch scheint es gemeinsame Muster und Prozesse der Transformation zu geben, die wir durchschreiten. Ich beschreibe vier Schritte: »Witnessing Reality«, »AwakeningPossibilities«, »Envisioning Change« und »Enacting Transformation«. Die Methode, die ich dabei nutze, entstand aus meiner Körperintelligenz, als ich all diese Geschichten und Erfahrungen durchlebte. Beeinflusst wird sie auch aus meinen beruflichen Erfahrungen bei der Konfliktlösung und Friedensarbeit. Wenn ich innerhalb von 20 – 30 Minuten 15 Geschichten aus den realen Leben teile, können Politiker, Entscheidungsträger und alle anderen Zuschauer zu der Erkenntnis kommen: »Wenn all diese Stimmen in ihr sind, dann sind sie auch in mir, und das heißt, es gibt kein ›wir und die anderen‹.« Meine Performance ist kein Theater im traditionellen Sinn; es geht darum, den Geist der Menschlichkeit zu spüren. Oft nehmen wir an, wir bräuchten viele Dinge, um eine bessere Welt zu schaffen, aber wir alle können zusammenkommen und mit unserer Menschlichkeit, unserer Kreativität, unseren Werten und unserem Mitgefühl eine lebenswerte Situation für uns alle schaffen. Dieser Planet ist unser Zuhause, er ist das einzige Zuhause, das wir haben. Wir können der Dystopie freien Lauf lassen oder wir können unsere Erde bewusst in Besitz nehmen und erkennen, dass wir hierher gehören und ein »Ourtopia« schaffen, unsere selbst gestaltete Utopie, an der wir alle mitwirken.
Meine Performance ist kein Theater im traditionellen Sinn; es geht darum, den Geist der Menschlichkeit zu spüren.
e: Kannst du ein Beispiel für eine Geschichte nennen, die du bei deinen Performances erzählst?
RM: Ich kann die Geschichte aus der Somali-Region in Kenia erzählen, wie die Frauen dort ihre Kultur und Regierungsmechanismen als Antwort auf Konflikt veränderten. Zu der Zeit war ich an der Vorbereitung einer großen Konferenz in Afrika beteiligt, bei der es darum ging, den Waffenhandel zu beenden. Ich fragte die Frauen in den Dörfern, was ich den Politikern in ihrem Namen sagen sollte. Sie antworteten: »Sage ihnen, sie sollen aufhören, ihre Waffen bei uns abzuladen. Wir können unsere Männer selbst kontrollieren.« Diese hauptsächlich älteren Frauen saßen alle um mich herum unter einem Baum und sagten mir: »Hör zu, wir sagen unseren Männern, wir werden streiken – auf unseren Feldern, auf dem Markt, in der Küche und selbst im Schlafzimmer –, falls sie weiterhin in den Krieg ziehen.« Ich bemerkte, welche Macht sie über die Männer in ihrer Gesellschaft hatten. Also lud ich sie ein, mit mir zur Konferenz zu kommen. Und in ihrer Sprache, übersetzt in viele andere Sprachen, richteten sie sich an die afrikanischen Abgesandten. Die Wirkung war erstaunlich, weil es die Menschen wirklich berühren konnte. Sogar 25 Jahre später erzähle ich diese Geschichte und sie berührt die Menschen und sie erleben die Kraft der Transformation. Damals begann ich damit, viele dieser Geschichten aus der ganzen Welt zu sammeln und aufzuschreiben. Wenn wir solche persönlichen Geschichten miterleben, können unsere eigenen Möglichkeiten der Transformation geweckt werden.
e: Was kann das Theatreof Transformation deiner Meinung nach zur Konfliktlösung beitragen?
RM: In der Friedensarbeit gehen wir oft nicht tief genug, weil wir die unsichtbaren Ebenen nicht sehen, die kulturellen, ökologischen und metaphysischen oder spirituellen Aspekte, bei denen es um den letztendlichen Sinn des Lebens geht. Wenn man einen Krieg wie in Syrien oder einen Völkermord wie in Ruanda erlebt hat, wie kann man inmitten von soviel Töten einen Sinn im Leben finden?
In der Geschichte aus Kenia bemerkten die Frauen, wenn das so weitergeht, gibt es nichts mehr, für das es sich zu leben lohnt. Sie setzten sich zusammen und fanden eine scheinbar unmögliche Möglichkeit mit einer konkreten Vision und einem Handlungsplan: Sie wollten als Frauen an der Entscheidungsfindung beteiligt werden, den Frieden verhandeln und Waffen von ihrem Land verbannen. Sie waren bereit, den Preis zu zahlen, um ihre Vision der Transformation umzusetzen: Sie würden ihre Männer im Alltag und selbst im Schlafzimmer boykottieren, bis sie aufhörten, in den Krieg zu ziehen. Aber bevor sie mit ihren Männern reden konnten, mussten sie eine Strategie finden, die Vision der Veränderung spüren und den Mut aufbringen, die kulturelle Tradition zu durchbrechen und etwas tun, was niemals zuvor getan wurde.
Es gibt so viele Geschichten von Menschen, die zu solchen Möglichkeiten aufwachen, und ich nutze das Theatreof Transformation, um dieses Erwachen zum Möglichen auch bei anderen Menschen zu unterstützen. Wenn wir Wandel verwirklichen wollen, können wir die Vision, die Werte und den innersten Beweggrund ausstrahlen, um diese Vision zu verwirklichen. Zum Erwecken der Transformation gehört aber auch die Erkenntnis, dass wir eine Vision nicht allein verwirklichen können, wir brauchen ein Netzwerk von Mitstreitern und Ressourcen, einen Kreis der Solidarität. Dann wissen wir, dass wir den Weg nicht allein gehen.
Das Gespräch führte Adrian Wagner.