Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
July 19, 2018
Die zerstörerische Wirkung unserer Lebensweise in Städten und in der Natur ist überall spürbar. Aber was sind die Alternativen? Wie können Stadt und Land wieder zu Lebensräumen werden, die unser Menschsein fördern, Gemeinschaftssinn unterstützen und unsere Trennung von der Natur überwinden? Wir haben fünf Menschen, die sich auf unterschiedliche Weise mit der Entwicklung und Kultivierung von Stadt und Land befassen, gefragt:
Die Vision einer zukünftigen Welt und ihrer Lebensräume wird nur dann erfolgreich sein, wenn die Gesamtheit der menschlichen Erfahrung sich in diesen Visionen wiederfindet. Diesen Zugang müssen wir finden, als Kollektiv und auch individuell, weil sonst die Gefahr besteht, dass wir nur weitere Kopfgeburten produzieren mit den bekannten Folgen für uns alle. Wir müssen verstehen, dass wir mehr sind als unser Körper und Geist. Unsere zukünftige wie auch unsere jetzige Welt beruht auf Einheit und Verbundenheit. Wir müssen die »Krone der Schöpfung« zurückgeben und den inneren Raum erkunden, der alle Inspiration für diese neuen Lebensräume bereithält.
Das ist eine eher passive, weibliche Herangehensweise. Sie muss lokal agieren, regional. Sie muss sich auf das beziehen, was schon vorhanden ist, auf die Signatur, die allen gesunden Strukturen zugrunde liegt. Diese Signaturen müssen wir entschlüsseln, damit der Ausdruck dieser neuen Lebensräume sich mit allen Seins-Ebenen verbinden kann. Wir müssen Plätze schaffen, wo Erinnerung, Rememberance, möglich ist. Das ist ein gemeinsamer Prozess, an dem alle beteiligt sind. Von der beseelten Natur bis hin zum Menschen. Buddhas Aussage von Form und Leere gibt uns den Schlüssel in die Hand für eine tiefgründige Analyse unserer zukünftigen Lebensformen und -räume: »Form ist Leerheit, Leerheit ist Form.«
Friedhelm Hellenkamp, Zen-Gärtner und Gründer von - »Inspired by Nature«.
Wenn sich die Entwicklung der letzten Jahre linear fortsetzt, lebt die große Mehrheit der Menschen schon bald in Städten und urbanisierten Regionen. Wir halten uns vorwiegend in geschlossenen Räumen (Einkaufszentren, Autos, Fitness-Studios etc.) sowie in virtuellen Welten auf – und sind in komplexe technische Systeme eingebunden, die uns als kognitive und rational handelnde Spezies fordern.
Um dieses zunehmend einseitige Leben in der Stadt in Balance zu halten, braucht es künftig mehr Räume, in denen wir uns als körperlich-lebendige und seelische Wesen erfahren können. Das tägliche Erleben der Natur und ihrer Zyklen im urbanen Raum ist dafür essenziell: Reichtum an Flora und Fauna lässt uns den Wandel der Jahreszeiten und damit unser Eingebettet-Sein in ein größeres Ganzes sinnlich erleben – eine wichtige Voraussetzung für wirklichen Wandel. Es geht also um weit mehr als um Erholungsräume oder »grüne Kulissen« für unser Wohlempfinden.
Es wird also höchste Zeit, den alten Gegensatz von Stadt und Natur infrage zu stellen – und Stadt als Teil der Natur zu verstehen. Wie unsere Städte dann aussehen werden, können wir heute nur erahnen. Gebautes und Grün wären stärker miteinander verwoben. Es gäbe Orte der Stille und Kontemplation, vielleicht wieder dunkle Nächte und auf jeden Fall ein neues Verhältnis von Drinnen und Draußen: Wir werden die Stadtnatur als Ort der Arbeit, der Gemeinschaft und der selbstorganisierten Heilung entdecken.
Norbert Nähr, Vorstand heilende Stadt e. V. und Geschäftsführer von SUPERURBAN Kommunikation.
Ob ich als Künstlerin, Gärtnerin oder Wissenschaftlerin arbeite, immer beschäftigt mich die Frage nach der Grenze. Wir verstehen heute langsam, dass die Welt, die uns lange groß und weit schien, tatsächlich ein begrenzter Ort im Universum ist.
Es ist daher kein Zufall, dass der Garten als Ort und Denkmodell immer größere Bedeutung gewinnt. Wie die Erde ist der Garten ein abgeschlossener Ort, an dem wir lernen können, wie viele unterschiedliche Lebewesen auf relativ engem Raum zusammenleben. Pflanzen wie Menschen stellen sehr unterschiedliche Bedürfnisse an ihre Umgebung, welche die Gestalter von Gärten und Lebensräumen berücksichtigen müssen. Um die Lebensräume der Zukunft zu bevölkern, müssen wir alle uns unserer wirklichen Bedürfnisse viel bewusster werden.
Die Weltbevölkerung wächst, nicht aber unser Planet. In Zukunft werden wir nicht ein eigenes Haus mit Räumen für unterschiedliche Tätigkeiten haben, sondern eher eine eigene Wohnung oder vielleicht nur ein eigenes Zimmer. Die Lebensräume der Zukunft werden daher flexibel sein. In meinem Atelier baue ich leichte Paravents, mit denen ich Räume situativ verändere. Ich schaffe mir morgens eine intime Meditationsnische, grenze im Laufe des Tages meinen Arbeitsbereich vom Schlafbereich ab und baue mir abends eine gemütliche Leseecke.
Menschen, die ihre Bedürfnisse kennen, Räume, die flexibel sind: Lebensräume wie Gärten – ich glaube, das wird sehr schön!
Insa Verbeck, Künstlerin, Sprachwissenschaftlerin, Gärtnerin und Yogalehrerin.
Im Lebensraum der Zukunft dürfen Veränderung, Wandel und Entwicklung sein. Er ist Evolutionsraumzeit. In ihm konkurrieren Kräfte des dynamischen Aufbaus, der kreativen Zerstörung und der balancierenden Erhaltung. Er ist Potenzialentfaltungsraum, Freiheitsraum, Ermöglichungsraum, zwischen Gestern und Morgen, ganz Gegenwart.
Schon jetzt gibt es solche Räume. Ich zähle interkulturelle und urbane Gärten dazu, wo sich Menschen im Medium des Gartens und Gartenbaus in einem neuen Miteinander von kulturell unterschiedlichen Anbaukonzepten erproben. Ich zähle Reparatur-Cafés oder Werkstätten dazu, wo dem industriell gesteuerten Verfall von Produkten gemeinschaftlich entgegengearbeitet wird. Auch die zahlreichen Ökodörfer, die mittlerweile ein weltumspannendes Netz bilden, bieten Chancen, einen neuen, bewussteren Raum des In-der-Welt-Seins und der pflegend-hegenden Beziehung zur Mitwelt zu erkunden.
Jeder Raum in Stadt und Land, in dem Lebendigkeit erfahren, gestaltet und gefeiert wird, wird zum Schmelztiegel dessen, was werden will. Immer dann, wenn dadurch zugleich gesellschaftliche Vereinbarungen für eine liebenswerte Zukunft erneuert werden, ist es ein tragfähiger und agiler Lebensraum der Zukunft!
Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald, Vorstand der Schweisfurth -Stiftung und Mitinitiator des Förderfeldes Stadt-Land-Tisch.
Die Lebensräume der Zukunft sehe ich vor allem auf dem Land. Ich sehe junge Menschen, die wieder aufs Land ziehen, den ländlichen Raum revitalisieren und gemeinsam neu definieren, wie das gute Leben auf dem Land gelingen kann. Junge Menschen, die wieder Verantwortung übernehmen für ein Stück Land, für eine Region, für eine Community. Die aus der Not eine Tugend machen: Wo es nicht genügend attraktive Infrastruktur gibt, bauen sie diese auf, entwickeln innovative Antworten auf lokale Herausforderungen und bilden damit eine lebendige Infrastruktur im ländlichen Raum, die weitere kreative Köpfe anlockt, die wiederum Verantwortung übernehmen und spannende Projekte initiieren, und damit eine Positivspirale in Gang setzen.
Wo es nicht genügend interessante Arbeitsplätze gibt, werden sie unternehmerisch tätig und kreieren damit nicht nur ihren eigenen Arbeitsplatz, sondern mehrere Arbeitsplätze, in denen Menschen sinnstiftende Arbeit erleben können. Wo die Städte dank steigender Mieten, Hektik und Lärm immer ungesündere Lebensstile hervorbringen, gehen sie dorthin, wo Wohnraum leistbar ist, wo Ruhe im Herzen einkehren kann und wo es genug Raum zur Entfaltung gibt. Landleben: Nicht als Aussteiger in einer Öko-Kommune, nicht als isolierte Kleinfamilie im Einfamilienhaus, sondern als lebendige Gemeinschaft, die sich in eine lokale Dorfstruktur einwebt, und gemeinsam erschafft, was es für das gute Leben auf dem Land braucht.
Franziska Kohler Coach, Seminarleiterin und Wissenschaftlerin, Initiatorin des Programms »Gründen im Grünen«.