Über den Film »Everyday Rebellion«
Arabischer Frühling, die von New York in andere Teile der Welt übergeschwappte Occupy-Bewegung, die spanischen Indignados oder die Femen-Aktivistinnen der Ukraine – heute scheint es kaum einen Ort auf der Welt zu geben, an dem die bestehenden Systeme nicht mit Reibung konfrontiert werden, teils in Form lautstarker öffentlicher Proteste, teils durch Aktionen mit eher subtilen Formen des Widerstands. Mit ihrem Film »Everyday Rebellion« versuchen die Brüder Arash und Arman Riahi, diese »Kunst des Wandels« sichtbar zu machen. Ihre Eltern waren mit ihnen in den 1980er Jahren aus politischen Gründen aus dem Iran nach Österreich geflohen. Als 2009 im Iran sich mit der »Grünen Bewegung« öffentlicher Widerstand gegen die angebliche Wiederwahl Ahmadinedschads zu formieren begann, beschlossen die beiden Filmemacher, sich des Themas anzunehmen.
Schon bald zeigte sich, dass es dabei um mehr geht als nur die politische Situation eines Landes. Bei ihrer Recherche wurde den Riahi-Brüdern bewusst, dass sich das Aufbegehren der Bevölkerung von Protesten früherer Generationen wesentlich unterscheidet. Statt einem charismatischen Führer zu folgen, der als Gesicht des Widerstands die Menschenmassen um sich schart und den Kampf anführt, formierten sich im Iran – und in vielen weiteren Ländern wie Syrien, Ägypten oder auch Europa – aus der Mitte der Gesellschaft Bewegungen, die sich netzwerkartig organisieren und ausbreiten. Und die mit friedlichen Mitteln am Status quo zu rütteln beginnen.
»Everyday Rebellion« lässt den Betrachter auf berührende Weise daran teilhaben, wie sich das Gewebe dieser neuen Protestformen entfaltet und Menschen, die der Wunsch nach dem Besseren eint, zusammenbringt. So unterschiedlich, wie die politischen Rahmenbedingungen der jeweiligen Länder, so verschieden sind auch die Möglichkeiten, wie sich das Nicht-Einverstanden-Sein artikulieren kann. Eine Szene aus dem Occupy-Lager verdeutlicht, wie bedeutsam die innere Dimension des Protests ist. Als den New Yorkern die Benutzung von Megafonen und Verstärkeranlagen bei ihren Treffen verboten worden war, erfanden sie den »mic-check«: Die Versammelten wiederholen laut die Sätze der Sprechenden und verbreiten sie so selbst in großen Menschenansammlungen. Die Dichte und Kraft, die entsteht, wenn Hunderte Menschen sich auf diese Weise miteinander und mit einer höheren Mission verbinden, wird im Film zutiefst spürbar.
Wie anders dagegen zeigt sich das Aufbäumen der Bevölkerungen gegen unterdrückende Regime. An Orten, an denen es lebensgefährlich sein kann, sich den herrschenden Kräften von Angesicht zu Angesicht entgegenzustellen, nimmt der Widerstand bisweilen Formen subtiler Poesie an. So zeigt eine iranische Aktivistin, dass Untergrundbewegungen ihre Botschaften auf Geldscheine schreiben, um sie unerkannt mit anderen zu teilen. In Damaskus verzieren die Gegner Assads Hunderte von Tischtennisbällen mit politischen Graffitis und lassen sie vor Regierungsgebäuden über die Straßen hüpfen. Spielerische Momente wie dieser, in denen so offensichtlich wird, wie begrenzt Herrschaftssysteme sind, die allein auf Macht und Gewalt basieren, lassen erahnen, dass eine Zeitenwende in der Luft liegt – selbst wenn es noch viele Jahre dauern mag, bis die Welt tatsächlich eine andere ist.
¬ ES WIRD AUGENSCHEINLICH, WIE VIEL KRAFT, MUT UND AUSDAUER ES BRAUCHT, BIS DIE SAMEN DES WANDELS ZU ÜBERLEBENSFÄHIGEN PFLANZEN WERDEN. ¬
Größtenteils im Jahr 2012 gedreht, wirkt die zarte Euphorie, die »Everyday Rebellion« ausstrahlt, im Herbst 2015, dem Erscheinungstermin der DVD, beinahe ein wenig, als hätte die Zeit sie überholt, denn mancherorts haben sich die Verhältnisse inzwischen sogar verschlechtert. Wenn ein Aktivist wie Srdan Popovic, der mit der Otpor-Bewegung in Serbien zum Sturz des Milosevic-Regimes beitrug, auf die Zeit-dimension zu sprechen kommt, wird augenscheinlich, wie viel Kraft, Mut und Ausdauer es braucht, bis die Samen des Wandels zu überlebensfähigen Pflanzen werden, bis genügend Menschen damit beginnen, tatsächlich in die bessere Welt, die sie sich wünschen, hineinzuleben. Und genau das ist vielleicht eine der zentralsten Botschaften des Films: Es ist möglich.