Vertrauen lernen

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Kolumne
Published On:

January 24, 2022

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Ausgabe 33 / 2022
|
January 2022
Wir leben zwischen den Zeiten
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Innere Antworten auf die Krise


In dieser krisenhaften Zeit sind wir alle gefordert, uns innerlich darauf einzustellen, wie wir zuversichtlich und realistisch handeln und zu einem möglichen und nötigen Wandel beitragen können. Aber wie finden wir zu solch einer seelischen Stärke? Wir haben fünf Menschen, die sich mit innerer Entwicklung beschäftigen, gefragt:

Welche inneren Qualitäten wünschen Sie für sich selbst in dieser Zivilisationskrise, die wir gerade gemeinsam durchleben; in dieser »Zeit zwischen den Zeiten«?

Bonnitta Roy ist integrale Prozessphilosophin und Beraterin, sie lehrt an der The POP-UP School.

Ich glaube, dass wir aufgerufen sind, uns stärker zu verkörpern, die natürliche Welt zu achten und uns mit dem Lebensprozess zu verbinden. Die speziellen Qualitäten, die ich mir wünsche, sind geerdet, bewusst und präsent zu sein.

Geerdet: Bin ich empfindsam genug für meinen Gefühlszustand, seine Rhythmen, Impulse, Schwingungen und Veränderungen? Bin ich offen dafür, alte Empfindungen loszulassen und neue Empfindungen zuzulassen – im Vertrauen darauf, dass die Rhythmen meines Körpers seine Intelligenz zum Ausdruck bringen? Bin ich empfänglich für Überraschungen, präsent für das, was tatsächlich geschieht – im Gegensatz zu dem, was ich mir wünsche – und empfänglich für den emergenten Fluss der Realität?

Bewusst: Bin ich wahrnehmungsfähig? Sind meine Wahrnehmungsfähigkeiten aktiviert? Kann ich gut zuhören, riechen, fühlen und mich bewegen und diesen Sinnen ohne Ablenkung oder Konzentrationsverlust Beachtung schenken?

Bin ich ausgeglichen? Kann ich in eine praktikable Situation zurückkehren und Möglichkeiten erkennen, die mir helfen, mich kontinuierlich auf die gewünschten Ergebnisse zuzubewegen? Kann ich die jeweils benötigte Fähigkeit schnell erlernen?

Erlebe ich Klarheit (Sinnesschärfe)? Erlebe ich einen wachen Sinn der Wahrnehmungsklarheit oder befinde ich mich in einem Wahrnehmungsnebel? Erkenne ich, wenn ich das Umfeld wahrnehme, mehrere Entscheidungspunkte für richtiges Handeln?

Präsent: Fühle ich Empathie für den anderen? Kann ich mich in die Erfahrung des anderen hineinversetzen und mich in seine Situation hineinfühlen?

Fühle ich mich eingebettet in die größeren Systeme, die trans-subjektiv und trans-personal sind? Spüre ich genügend Handlungsspielraum oder fühlt sich die Situation beengend an?

Habe ich ein Gefühl des Interbeing? Kann ich die Vorstellung von »meinem Körper« in den größeren Kontext der natürlichen Welt und die Realität des menschlichen Seins als Teil der universellen Lebenskraft einordnen?

Dr. Theo Dawson, Entwicklungspsychologin, Bildungsexpertin und Leiterin der Beratungsfirma Lectica.


Seit 1996 haben sich meine Kollegen und ich der Aufgabe gewidmet, die Entwicklung der öffentlichen Bildung zu unterstützen. In all diesen Jahren hat mich mein Glaube an das menschliche Potenzial und die Überzeugung getragen, dass wir mit der richtigen Bildung dafür sorgen können, dass die Mehrheit der Weltbürger Fürsorge füreinander entwickelt und über die notwendigen Fähigkeiten verfügt, um vernünftige Entscheidungen zu globalen Fragen zu treffen.

Leider haben einige Jahre der Rückschläge hier in den USA (und auf der ganzen Welt) meinen Glauben an das menschliche Potenzial ein wenig erschüttert. Das ist nicht gut! Das letzte, was ein Kreuzritter braucht, ist ein Vertrauensverlust.

Glücklicherweise haben wir im Rahmen unserer Arbeit bei Lectica einige bewährte Praktiken entwickelt, die den Glauben stärken können. Hier sind einige, die ich dieses Jahr anwende:

Erstens: Um die psychischen Auswirkungen von negativen Nachrichten oder Ereignissen auszugleichen, bringe ich meinen Geist ins Gleichgewicht, indem ich alle guten Dinge genau festhalte und feiere. Im Moment strebe ich 5 bis 10 solcher Aufmerksamkeitsmomente pro Tag an (an schlechten Tagen mehr). Zweitens: Wenn es zu Rückschlägen kommt, betrachte ich sie schnell als Lernchancen und lasse meiner Neugier freien Lauf. Drittens, und das ist vielleicht das Wichtigste, übe ich mich in radikaler Vergebung, wenn alles andere versagt, was bedeutet, dass ich die allgegenwärtige menschliche Fehlbarkeit akzeptiere – vor allem meine eigene.

Rainer v. Leoprechting, Mit-Gründer von Fraendi.org, lebt in der Gemeinschaft Obenaus in der Südsteiermark.

1. Flüssiges Denken: Das ist die Fähigkeit, sich der Welt mit seinem Geist zu stellen. Der innere Geist geht so mit den Einflüssen und Beobachtungen der Welt in eins, dass das Denken genauso in Bewegung ist wie die Welt. Betrachter und Beobachtetes sind im Einklang. Das setzt voraus, dass wir in vielen Formen denken, die zusammen die Welt in uns repräsentieren.

2. Gespür für das Kommende: Was nicht ist, ist doch schon da. Das in sich und uns ankommen zu lassen, wirksam werden zu lassen für unsere Handlungen. Nicht nur ein bloßes Ahnen, auch die Vorausschau des Unausweichlichen. Und die Offenheit, im Fluss des Lebens zu schwimmen, ohne sich nur treiben zu lassen.

3. Mut zum Dazwischen Gehen: Die Position zwischen den Stühlen angenehm zu empfinden. Das Richtige in den Zwischentönen zu erlauschen. Dem eine Stimme geben: Es lebe die Vernunft!

Lea Dohm ist Dipl.-Psychologin und Psychotherapeutin sowie Mit-Initiatorin der Psychologists for Future.

Wenn Sie mich persönlich ansprechen, sind es gar nicht so sehr »innere Qualitäten«, die ich mir aktuell wünschen würde. Stattdessen würde ich mir mehr Zeit für mein Klima-Engagement wünschen, um mich nicht in einer ständigen Zerreißprobe zwischen Care-Arbeit, Lohnarbeit und Ehrenamt aufreiben zu müssen. Mein Klima-Engagement gibt mir Kraft und Zuversicht, ich treffe dort Freund*innen und finde Inspirationen und Ideen für zukünftige Projekte. All dies braucht etwas Zeit, aber ich halte es in diesen Krisenzeiten für gesellschaftlich unvergleichlich wichtig und übrigens auch persönlich wohltuend.

Ich bin auch überzeugt, dass dieser Wunsch verallgemeinerbar ist: So viele Menschen, die ich kenne, würden sich mit Freude noch mehr für gute und wichtige Dinge einsetzen, wenn ihnen dafür die zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten zur Verfügung stünden. Ich wünsche uns allen daher ein bedingungsloses Grundeinkommen, eine mutige Umorientierung hin zu auch psychisch nachhaltigem Arbeiten und das Leben in Gemeinschaften, in denen wir tägliche Arbeiten wie Kinderbetreuung, Kochen oder Putzen gerecht untereinander aufteilen können.


Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald,Unternehmens- und Politikberater, Stiftungsexperte, Publizist und Autor.

Leben wir nicht immer zwischen den Zeiten: zwischen gestern und morgen, zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Gewesenem und dem Noch-nicht? Diese Einsicht lasse ich zu. Sie hat etwas Befreiendes. Sie nimmt den Druck und die Unsicherheit aus der jetzt, wenn wir ehrlich sind, nicht zu klärenden Frage: Was will, erwartet die Zukunft am langen Ende von mir, von uns?

Ungewissheit auszuhalten, Zweifel anzunehmen macht mich frei, Klarheit und Entschiedenheit in meine jetzigen Lebensverhältnisse zu bringen. So fokussiere ich deshalb auf das Hier und Jetzt, auf diesen einen Tag, auf diese eine Begegnung, diesen einen Zoom. Was kann ich nun anders, besser machen? Womit kann ich jetzt aufhören? Wie kann ich heute meinen ökologischen Rucksack erleichtern?

Auf dieses »Mich-in Fragen-stellen« finde ich im wachen Dialog mit den mir begegnenden Menschen, Tieren, Pflanzen, Landschaften meist konkrete Antworten! Das Innehalten in den Fragen lässt mich ein inspirierendes Zwischen wahrnehmen, aus dem eine Lebendigkeit entspringt, die, manches Mal sogar überraschend spielerisch, Lösungen entbindet, die sinnvoll wirken.

Zwischen Hoffnung, angesichts der Keime und Inseln gelebter Verantwortung in Politik, Wirtschaft und Kultur einerseits und Verzweiflung, angesichts der Rückfälle in einen Glauben an den technologischen Fix der vielfältigen Krisen anderseits, hält mich das tiefere Fragen im Gleichgewicht.

Author:
Theo Dawson
Author:
Bonnitta Roy
Author:
Rainer von Leoprechting
Author:
Lea Dohm
Author:
Prof. Franz-Theo Gottwald
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