Vom Kissen weg – mitten ins Leben

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Published On:

January 31, 2019

Featuring:
Bernie Glassman Roshi
Hakuyu Taizan Maezumi
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Issue:
Ausgabe 21 / 2019:
|
January 2019
Die Zukunft der Religion
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Roshi Bernie Glassmans Vermächtnis eines engagierten Buddhismus

Ich begegnete Zen-Meister Bernie Glassman, als dieser schon über 40 Jahre seines Lebens dem Zen gewidmet hatte. Seine Anfänge waren durch sehr viel klassische Zen-Praxis geprägt. Später gab er seine Energie gezielt in soziale Projekte, weil er spürte, dass Meditation allein den Herausforderungen der Zeit nicht mehr gerecht wird. Er gründete die Organisation der Zen-Peacemakers mit einem Orden und Übungsfeldern für Laien und etablierte ein weltweites Netz für ethisch ausgerichtete, sozial engagierte Menschen. In der Spätphase seines Wirkens besuchte er mit seinem Clown-Lehrer Moshe Cohen auch Flüchtlingscamps, um Freude an Orte der Traurigkeit zu bringen. Zudem entstanden unter seiner Obhut Bearing-Witness-Retreats, die an Plätzen von Genoziden Zeugnis ablegten vom Geschehenen. Das soziale Engagement, das in seiner zweiten Lebenshälfte zunehmend seinen Zen-Weg prägte, machte ihn zum Vorreiter eines engagierten Buddhismus, dessen Beispiel bis heute viele Menschen inspiriert. Insbesondere in den Anfangstagen schlug ihm für seine unkonventionellen Projekte auch einige Kritik entgegen.

Bernie Glassman wurde am 18. Januar 1939 in Brooklyn, New York, geboren. Er studierte Luftfahrt (Aviatik), arbeitete als Luftfahrtingenieur an Marssonden bei McDonnell- Douglas und erwarb nebenbei einen PhD in Mathematik. Schon in jungen Jahren begann er Zen zu praktizieren und fand in Hakuyu Taizan Maezumi, der Anfang 1960 aus Japan in die USA migrierte, seinen Lehrer. 1976 wurde Bernie zum Zen-Lehrer ernannt und gründete 1980 sein eigenes Zen-Center in Riverdale, mit Blick auf den Hudson River. Er war ein charismatischer Lehrer, seine Vorträge waren stets humorvoll und von scharfer Intelligenz.

Anfangs war sein Wirken stark durch die traditionelle Zen-Kultur geprägt. Für ernsthafte Zen-Praktizierende war es üblich, morgens früh Sitzmeditation zu üben, zur Arbeit zu gehen und am Abend wiederum im Zendo zu sitzen. Dies erwies sich als nicht sehr kompatibel für Laien mit Familienleben. Ehen wurden geschieden und Bernie bedauerte später selbst, dass er das Aufwachsen seiner Kinder verpasst hatte, weil er so oft abwesend war. Auch störte ihn, dass die Zen-Praktizierenden nur der gut situierten Klasse angehörten, was er ändern wollte, da für ihn spirituelle Praxis und politisches wie soziales Engagement zusammengehörten.

Bernie verließ das Center und zog in das heruntergekommene Yonkers in New York, wo Anfang der 1980er-Jahre fast nur die farbige Bevölkerung lebte. Hier herrschten extrem hohe Arbeitslosigkeit, Drogenhandel und Prostitution. Seine Gemeinschaft kaufte zerfallene Mehrfamilienhäuser und renovierte sie für Obdachlose. Er gründete die Greyston Bäckerei, wo Menschen direkt von der Straße her angestellt wurden, um sie auszubilden und ihnen Jobs zu verschaffen. Ein ungeheuerlicher Vorstoß für die damalige Zeit. Die Greyston Bäckerei ist bis heute ein Vorzeigeprojekt spirituellen Aktivismus, dem ein Kinderhort und die Eröffnung eines AIDS-Spital folgten.

FÜR BERNIE GLASSMAN SELBST WAR ZEN DAS LEBEN. DAS GANZE LEBEN!

Mittlerweile einer der bekanntesten und provokantesten Zen-Meister des Westens, wurde Bernie von vielen kritisiert, die fanden, soziales Engagement und die Arbeit am Rand der Gesellschaft wären nicht Zen-Praxis. Für ihn selbst war Zen das Leben. Das ganze Leben! Zen sei jeder Atemzug, jede Handreichung. Zen solle zum Erwachen führen. Erwachen zu was? Zum Leben, zu dem, was ist. Die höchste Form des Erwachens sei dienen. Das lebte er uns vor.

1994 besuchte Bernie das Konzentrationslager Auschwitz. Dies berührte ihn tief und er gelobte zurückzukehren. Zwei Jahre später trat er mit 150 Menschen aus verschiedensten Nationen und Glaubensrichtungen erneut durch das Tor von Auschwitz, zum ersten Retreat, das Zeugnis ablegte von dieser düsteren Seite unserer Geschichte. Das Retreat in Auschwitz findet seither jährlich statt. Weitere folgten an Plätzen von Genoziden in South Dakota, in Bosnien, in Ruanda.

Für Bernie Glassman war Zen immer mehr als die Stille der Meditation. Hingabe bedeutete für ihn auch, soziale Verantwortung zu übernehmen. Damit wurde er vielen zum Vorbild und fand für die Tradition des Zen neue Ausdrucksformen in der heutigen, modernen Gesellschaft mit all ihren Herausforderungen. Er verstarb am 4. November 2018. Tags darauf begann in Auschwitz das 23. Zen-Peacemaker-Retreat.

Author:
Barbara Salaam Wegmueller
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