Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
July 14, 2015
Kann es das geben? Eine poetische, gleichsam eine »fröhliche« Wissenschaft? Spätestens seit der Romantik gab es in der Wissenschaftsgeschichte immer wieder Parallelbewegungen und Versuche, mit einer ganzheitlichen Wissenschaft zu experimentieren. Novalis hat Fragmente dazu in seinen »Vermischten Bemerkungen« hinterlassen, Goethe es im Feld nicht nur der Farbenlehre, sondern auch der allgemeinen Naturkunde gewagt. Schelling versuchte, eine erkenntnis-theoretische Begründung für eine spiritualistische Naturwissenschaft niederzulegen und bis heute – so beispielsweise in Beuys’ erweitertem Kunstbegriff – gab es immer wieder Ansätze und Neuauflagen zu diesem Programm.
Der Berliner Biologe und Philosoph Andreas Weber, 2007 bekannt geworden durch den Titel »Alles fühlt: Mensch, Natur und die Revolution der Lebenswissenschaften«, unternimmt in seinem neuen Buch den Versuch einer »erotischen Ökologie«. Sein Ansinnen, eine alternative, poetische Biologie zu begründen, die nicht durch die Kälte und Distanz des Labors geprägt ist, sondern sich bewusst an einem poetisch-empathischen Miterleben des Naturkreislaufs entspinnt, muss ganz im Sinne dieser Tradition gesehen werden, wenn sie auch nicht – wie viele ihrer Vorläufer – spiritualistisch geprägt ist, sondern in der Tradition materialistischer Evolutionstheorien, beispielsweise des amerikanischen Biologen Stuart Kauffman, steht.
Webers Naturliebe offenbart sich in seinen Versuchen, ökologische Zusammenhänge in einer poetischen Sprache zu beschreiben. So, wenn er beispielsweise das italienische Rondone (Mauersegler) und Rondine (Schwalbe) mit deren rundenden, biegsamen, in rasendem Flug gezogenen Kreisen zusammenbringt und so nicht nur eine Brücke zwischen Bezeichnung und Bezeichnetem schlägt, sondern gleichzeitig auch noch einmal die Schönheit des Schwalbenfluges vor dem inneren Auge und Gleichgewichtssinn entstehen lässt. Es ist dieser sinnlich-»übersinnliche« Blick auf den Rhythmus der Schöpfung und des Daseins, der Webers Untersuchung auszeichnet und tatsächlich so etwas wie eine fröhliche Wissenschaft beschreibt, die ihren Forschungsgegenstand nicht mehr nur mit kühlem analytischem Blick erforscht, sondern ihn mit ganz anderen, empathischen und intuitiven Forschungsmethoden begleitet. Weber schreibt: »Ich kann selbst nicht fliegen. Was ich beschreibe, folgt aus meinem Versuch, die Ekstase der Mauersegler mit meinem Körper zu verstehen.« (S. 20)
¬ »DER MATERIELLEN WELT WOHNT DIE TENDENZ INNE, SICH AM ABGRUND DES SCHEITERNS BESTÄNDIG ZU NEUEN, KREATIVEN GESTALTEN ZU ORGANISIEREN.« ¬
Nicht nur am Beispiel des Fluges des Mauerseglers, sondern auch an einem scheinbar toten Geschehen wie dem jahrtausendealten Graben der Bäche, Flüsse und Ströme durch das Erdreich und das Gestein, beschreibt Weber die Liebeskraft des Universums, die alle Phänomene verbindet und durchdringt. Sein Pantheismus ist dabei aber nicht religiös, sondern evolutionsbiologisch geprägt. Im Vergleich beispielsweise zu Goethe, Schelling oder Novalis, die hier ganz spinozistisch in den Naturphänomenen eine alle Phänomene einende und vereinigende universelle Schöpferkraft erleben, die in der – auch menschlichen – Kunst und Kunstfertigkeit geradezu ihren Höhepunkt erreicht, ist Webers Ansatz materialistisch: »Der materiellen Welt wohnt die Tendenz inne, sich am Abgrund des Scheiterns beständig zu neuen, kreativen Gestalten zu organisieren. Sie könnte in den Wärmetod sinken, stattdessen aber erfindet sie stets mehr Komplikationen und verspielte Arabesken: Energie verklumpt zu Atomen, Atome finden sich zu Molekülen, Moleküle sammeln sich zu Reaktionskreisläufen, und diese kapseln sich als lebende Zellen gegen jene Umwelt ab, die sie hervorgebracht hat.« (S. 34)
Weber orientiert sich hier zustimmend an Kauffmans Konzept der autokatalytischen Ketten, einem Evolutionsmodell, demzufolge sich »aus einem Haufen ungeordneter Materie mit Notwendigkeit immer komplexere Gestalten herausbilden.« (S. 34) Hier hält Weber entgegen seiner eigenen Intentionen an einem Modell fest, das nicht wirklich die Entstehung von immer komplexer werdenden Strukturen aus einfachsten Einheiten erklären kann. Webers Idee einer universellen Liebe, die gegen diesen Tod permanent aufbegehrt, ist schön und poetisch. Aber sie lässt sich nicht aus einem materialistischen Prinzip begründen. Wenn Weber davon spricht, dass sich die materielle Welt immer neue Formen »erfindet« um dem Tod zu entgehen, dann ist das ebenso vage wie ungenau. Denn schon der Begriff der Erfindung setzt zumindest so etwas wie Frag-Würdigkeit oder Intentionalität voraus. Etwas Nicht-Intentionales aber bringt weder die Schönheit noch die Zweckmäßigkeit von Formen hervor. Es sei denn, der Zufall als Deus ex Machina betritt einmal wieder den Plan. Im Grunde ist Weber daher ein Platoniker, der nicht über den Schatten seiner naturwissenschaftlichen Bildung springen kann und daher bei einer Art »pantheistischem« Materialismus landet. Dies leuchtet in Sätzen wie »Ich weiß einen Bach … der mir immer vorkommt, wie das Modell aller Bäche: jenes Gewässer, das Gott in seiner geheimen Werkstatt aufbewahrt, in der Schublade mit der Aufschrift ›Bach‹« (S. 47) kurz auf, geht dann aber in Gedanken wie »Denn Leben: Das ist ja tote Materie, die plötzlich versessen darauf ist, sich selbst aktiv zu vermehren und zu immer unwahrscheinlicheren Gebilden aufzubauen« (S. 74) auch ebenso schnell wieder unter.
Bei Psychologen wie James Hilman, der die Entstehung der Bilder im Wärmestrom des Herzens ansiedelte oder Künstlern wie Joseph Beuys, der vom lebendigen bildhaften Denken und der beseelten »Liebe zur Sache« als der Urform jeder Kreativität sprach, könnte Weber sehen, dass unsere innere kreative Ton- und Bilderwelt viel mehr mit der natürlichen Kreativität verschwistert ist, als es den Anschein haben mag. Hier liegt der eigentliche Schlüssel zur Offenbarung einer schöpferischen natura naturans, die sich in der Imagination als dem eigentlichen kreativen Kraftfeld wiederfindet und der Weber zwar nicht in seinen wissenschaftstheoretischen Prämissen, aber in seiner Naturliebe und seiner poetischen Fähigkeit nahezukommen versteht.
Webers Buch, so diskussionswürdig seine Prämissen als »Axiome eines erotischen Weltbildes« (S. 37) auch sein mögen, ist dennoch ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu neuen wissenschaftlichen Forschungsmethoden, die das aktive, teilnehmende Individuum als Teil des Forschungsprozesses verstehen und durch neue Formen der Empathie und künstlerischen Intuition einen integraleren Zugang zu den Phänomenen bahnen, als es die traditionelle Wissenschaft erlaubt.
Daher kann man das Buch ebenso dem naturliebenden Romantiker und Literaturfreund wie dem aktiven Naturwissenschaftler oder Wissenschaftstheoretiker empfehlen, die alle Gewinn aus der Lektüre ziehen werden. Dem einen, weil er nicht nur ein schönes Buch liest, sondern auch auf eine spielerische Weise an das herangeführt wird, was in der Biologie heute als »state of the art« gilt, dem anderen, indem er erfährt, dass andere Zugänge zu den Naturphänomenen möglich sind, die ihm in einem andern Sinne ermöglichen, ein »fröhlicher« Wissenschaftler zu sein.