Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
July 19, 2018
Im Jahr 2013 erhielt Wim Wenders eine Anfrage vom Vatikan, eine Dokumentation über den amtierenden Papst zu drehen. Ihm wurde völlige künstlerische Freiheit zugesagt, der Film wurde unabhängig produziert. Wenders selbst nennt »Ein Mann seines Wortes« einen »Aufruf zu einer moralischen Revolution«. Eine Filmbesprechung.
Wir sind der Zeit unterworfen. Unverschuldet endlich. Schuldhaft verstrickt in Ausbeutung, Kriege, Armut. Elegischer Geigenklang auf der bedrückten Stimme Wenders’ – fast schon fühlt man sich hineingeworfen in die heraufdämmernde Apokalypse. Mit diesem überaus deutschen Intro schubst uns Wim Wenders in die Frage: Wie sollen wir leben?
Das fragte sich schon Franz von Assisi, der in einem Erweckungserlebnis die Stimme Jesu hörte: »Geh und erneuere mein Haus!« Nun ist sein Namensvetter das Kirchenoberhaupt, und diese Überleitung ist so wenig subtil wie sie gewollt ist: Ein neuer Franziskus sei da wohl unterwegs, dem das Herz für die Armen und für die geschundene Erde brennt. Interessant wird das erst, als Franziskus selbst diese Überhöhung bricht. In intimem Blickkontakt mit dem Zuschauer beschreibt er den Heiligen aus Assisi: Ein Hörender sei er gewesen, ein Mensch der weniger sprach als lauschte. Diese Haltung will Bergoglio rehabilitieren, in einer Welt, die »vor allem eine taube Welt« geworden ist.
Die Kapitel des Films arbeiten pflichtbewusst die Reisen des Papstes ab: zu den hungernden Kindern im zentralafrikanischen Bengui, zu den Geflüchteten auf Lesbos, ins amerikanische Abgeordnetenhaus oder zur Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Der Mann seines Wortes dringt dabei nicht nur durch klare Ansprachen ins Innerste der Zuschauer vor, sondern gerade dann, wenn ihm die Worte versiegen. Etwa im philippinischen Tacloban, als die Opfer des Taifuns lange schweigend mit ihm weinen.
Franziskus beschwört die benötigte Metanoia nicht mittels Innerlichkeit oder theologischer Welterklärung herauf, sondern mit dem, was man gesunden Menschenverstand und Empathie nennt. »Grenzen zu schließen bringt gar nichts«, »Wir alle müssen ärmer werden«, »Niemals sollten wir andere bekehren wollen«, »Wir dürfen uns nicht an das Leid der Anderen gewöhnen«.
Das hat unmittelbare Glaubwürdigkeit, Kraft, Widerständigkeit, Herzlichkeit und bisweilen sogar Poesie. So laut das »Zero Tolerance« des Papstes zu Waffenlieferungen, Profitgier oder Kindesmissbrauch ist, so leise klingt seine jesuanische Lebenskunde: Einander zuhören. Begreifen, dass der Schmerz des Anderen auch der eigene Schmerz ist. Einander anlächeln, weil das die »Blume des Herzens« öffnet. Die Sehnsucht nach Glück ernstnehmen, die so oft zur Sucht wird, weil die Glücksangebote des Marktes nicht sättigen. Verzeihen. Sich mit dem Tod versöhnen.
Die Hoffnung des Papstes ist eine, die das Rettende in und zwischen den Menschen verortet.
Zu oft wird Wenders' Bedürfnis spürbar, eine Heilsfigur heraufzubeschwören. Es demaskiert seine eigene Hoffnung, als er sie einer Ordensfrau in den Mund legt: »Franziskus ist der Hirte der ganzen Welt«. Die Hoffnung des Papstes aber ist eine, die nicht auf den Retter wartet, sondern das Rettende in und zwischen den Menschen verortet: als Begegnungsfähigkeit, als Dialog, als Entwicklung. »Wir alle sind dazu berufen, Kultur zu schaffen«, eine »Evolution« zu durchschreiten. Anstatt »in der Gegenwart zu vegetieren«, müssen wir den Sog der Zukunft erlauben. »Il domani!«, das Morgen, sagt er mit Nachdruck, und erteilt damit jeder Spiritualität eine Absage, die sich auf der sicheren Seite weiß oder am gegenwärtigen Moment ihren Bypass der Leidvermeidung legt. Wenn Franziskus mit leuchtenden Augen zu Differenz, Spannung und Kreativität ermutigt, entfaltet das mitreißende Aufbruchsstimmung – anders als die Stummfilmpassagen, mit denen Wenders einen verstörend manierierten Franz von Assisi als Blaupause über Bergoglios Biografie legt.
Im freien Willen, der so fragil wie korrumpierbar ist, liege der einzige Weg zur Liebe, sagt Franziskus, und vertraut dabei Menschen, die, reich an Wissen und Möglichkeiten, den Willen zum Guten als wirkmächtige Gestaltungskraft in sich wiederentdecken. Um so mehr muss man Wenders vorwerfen, mit seiner pathetischen Überwältigungsästhetik den freien Willen des Zuschauers niederzuringen. Wenders teilt die Zuversicht des Papstes nicht, er traut dem Zuschauer nicht einmal zu, die Einfachheit der päpstlichen Botschaft als Stärke zu begreifen.
Ist dieser Dokumentarfilm, in dem Wenders bewusst auf kritische Töne verzichtet, ein Werbefilm für eine bessere Welt? Für eine besser werdende Kirche? Er ist allemal ein beeindruckendes Portrait eines Geistlichen, der eine Vision gelebter Geschwisterlichkeit hat und der Verführbarkeit des Menschen weniger zu glauben gewillt ist als seiner Gutheit. Elegant entzieht sich Franziskus der auch in spirituellen Kreisen üblichen Verwertungslogik: Die Welt ist, was wir geben, und wir müssen geben, was wir wollen.