Wir im All

Our Emotional Participation in the World
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Buch/Filmbesprechung
Published On:

July 14, 2015

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Ausgabe 07 / 2015
|
July 2015
Die Zukunft in uns
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Vor einigen Wochen habe ich immer mit freudiger Erwartung meinen Facebook-Account geöffnet, um neue Bilder von unserer Erde zu sehen. Der deutsche Astronaut Alexander Gerst postete während seiner Zeit im All täglich diese atemberaubenden Fotos unseres Planeten. In seinen Kommentaren zu den Fotos war oft auch das Gefühl der Ergriffenheit und Ehrfurcht spürbar, die Gerst empfand – und mit ihm teilten Millionen von Menschen diese Augenblicke, in denen uns verdeutlicht wurde, wie kostbar die Erde ist, die wir oft für so selbstverständlich nehmen. Was wäre, wenn wir immer in dieser Empfindung und Erfahrung leben würden? Wenn wir unsere persönlichen Entscheidungen daraus treffen würden? Und wenn wir daraus unsere politischen und wirtschaftlichen Systeme gestalten würden?

Diese Fragen stellt der Film »Planetary«. Ihn als Dokumentarfilm zu bezeichnen, trifft es nicht wirklich. Er ist eher eine Art filmische Meditation, die sich mit nichts weniger beschäftigt als dem Sinn unseres Hierseins. Im Film werden NASA-Aufnahmen der Erde aus dem All und Filmpassagen von Orten unberührter natürlicher Schönheit und den Großstädten der Welt mit Interviews mit ökologischen Denkern, Philosophen, Aktivisten und spirituellen Lehrern verbunden. Unterlegt von sphärischer Musik, folgt man einer inneren Reise, die die Macher des Films, der Regisseur Guy Reid und der Produzent Steve Watts Kennedy, nach den Vier Edlen Wahrheiten des Buddhismus strukturiert haben.

Der Film beginnt mit Aufnahmen der Erde aus dem Weltraum und den Stimmen der Astronauten Ron Garan und Mae Jemison, die über ihre Erfahrungen im All berichten. Jemison, die erste afroamerikanische Astronautin, sagt: »Das Wunderbare, das mir beim Aufenthalt im All geschehen ist, war das Gefühl, zum ganzen Universum zu gehören.« Mit diesem Einstieg lässt der Film die Gefühle aufkommen, die ihn die ganze Zeit über tragen, eine Ehrfurcht vor dem Wunder unseres Lebens auf dieser Erde, in diesem Universum.

¬ »DAS WUNDERBARE, DAS MIR BEIM AUFENTHALT IM ALL GESCHEHEN IST, WAR DAS GEFÜHL, ZUM GANZEN UNIVERSUM ZU GEHÖREN.« ¬
Mae Jemison

Aber schon in den Reflexionen der Astro-nauten stellt sich der Widerspruch zwischen dieser Erfahrung der Verbundenheit mit der Erde und unserer Lebensweise ein, die eben diese Erde zu zerstören droht. Hier widmet sich der Film der Ersten Edlen Wahrheit des Buddhismus, dem Leiden, der Zerstörung der Natur und unserer Entfremdung von der Grundlage unseres Lebens. Zur Ursache dieser ökologischen Krise sagt der Philosoph David Loy: »Wir sind nicht nur in einer ökologischen Krise, … sondern in einer Krise unserer Geschichten – das heißt, wir verstehen nicht, wer wir sind, und unsere Beziehung zur Erde ist fehlerhaft.« Als Grund der Umweltzerstörung wird unsere Trennung von der Erde und ihren Lebensprozessen beschrieben. Demnach liegt auch die Heilung im Erkennen unserer Verbundenheit mit dem Leben, mit allen Wesen, mit der Menschheit, mit dem Kosmos. Ein Aspekt dieser Verbundenheit ist die Erkenntnis unserer evolutionären Geschichte, die der buddhistische Lehrer Wes Nisker so beschreibt: »Die Geschichten der Evolution ist die Autobiografie jedes Menschen.« Der Film stellt klar, dass diese Erfahrung der Verbundenheit nicht einfach nur kognitiv erkannt werden kann, sondern durch eine innere Wandlung für uns zu einer Realität werden muss. An dieser Stelle kommen spirituelle Lehrer wie Joan Halifax oder der 17. Gyalwa Karmapa zu Wort, die die Bedeutung einer meditativen Praxis für die Entwicklung eines neuen, verbundenen Seins und Handelns betonen. Es geht für sie im Grunde darum, die Illusion eines getrennten Selbst zu durchschauen und in die Weisheit zu erwachen, dass wir schon immer Teil des Lebens sind. Diese Wahrheit wird im Film auch von mehreren Lehrern indigener Völker bestärkt. Der Film endet schließlich mit dem Empfinden von Ehrfurcht, mit dem er begonnen hat. Die Tiefenökologin Joana Macy sagt zum Ende des Films: »Was unseren Herz-Geist sofort berührt, … ist der Kuss des Universums. Es braucht nicht lange, diese Schönheit zu spüren. …Und im Erkennen dieser Schönheit und Einzigartigkeit spürst du dieses tiefe Glück. Du hast keine Zeit mehr, da-rüber nachzudenken, wie es ausgehen wird. Du weißt nur, dass du ihr bis zum letzten Atemzug dienen wirst.«

»Planetary«, der bisher leider nur im englischen Original erhältlich ist, kann dieses Gefühl der Ehrfurcht nicht nur beschreiben, sondern auch wachrufen. Es sind weitere Editionen für das pädagogische Umfeld oder ökologisch Interessierte geplant. Eigentlich kann man sich nur wünschen, dass so viele Menschen wie möglich diesen Film sehen. Er hält die Spannung zwischen der Ernsthaftigkeit unserer Lage und den Stimmen der Hoffnung, und versetzt einen als Zuschauer in eine betroffene und staunen-de Stimmung, in der man neu über das eigene und das größere Leben nachdenkt.

Author:
Mike Kauschke
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