Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
April 17, 2019
Der neue Film der Regisseurin Doris Dörrie, die mit Filmen wie »Männer« und »Erleuchtung garantiert« zu einer festen Größe der deutschen Filmlandschaft wurde, ist ihr wohl bisher mutigstes, ambitioniertestes und verstörendstes Werk. Die praktizierende Buddhistin begibt sich darin in viele Grenzgebiete menschlicher Erfahrung – die Grenze zwischen Leben und Tod oder besser zwischen den Lebenden und Toten, die Grenze zwischen den Geschlechtern oder besser die Auflösung dieser klaren Trennung, die Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart oder besser zwischen den Generationen, die Grenze zwischen innen und außen oder besser zwischen innerseelischen Prozessen und sozialen Konflikten und die Grenze zwischen verschiedenen Kulturen oder besser deren Durchdringung.
»Kirschblüten und Dämonen« ist eine Fortsetzung des Films »Kirschblüten – Hanami« von 2008 und eine Weiterführung von Dörries Faszination von der japanischen Kultur. In ihrem Film bringt sie spirituelle Aspekte dieser Kultur mitten hinein in eine deutsche Geschichte der Identitätssuche. In »Kirschblüten – Hanami« begibt sich Rudi im Gedenken an seine verstorbene Frau Trudi auf eine Reise nach Japan, ein Wunsch, den sich Trudi nie erfüllte. Dort besucht er seinen Sohn Karl, der in Tokio als erfolgreicher Banker arbeitet, und begegnet der japanischen Butoh-Tänzerin Yu, mit der er sich zärtlich nahekommt. Als Rudi schließlich in Japan stirbt, hinterlässt er Yu seine gesamten Ersparnisse.
In »Kirschblüten und Dämonen« ist Karl zurück in Bayern und scheitert zusehends im Leben. Seine Beziehung geht auseinander und er flüchtet sich in den Alkohol, was ihn noch mehr von seiner Frau und Tochter trennt. Er wirkt wie getrieben von inneren Dämonen, die ihn im Alkoholrausch auch schon im Außen zu besuchen scheinen. In einer Zuspitzung ruft er nach Hilfe. Wenig später taucht Yu auf, die japanische Freundin seines Vaters. Auf merkwürdige Weise scheint sie mit seinen Dämonen der Verzweiflung, Selbstzerstörung aber auch mit seiner Empfindsamkeit vertraut zu sein. Beide begeben sich in der Folge auf eine besondere Form der »Dämonenjagd«, die für den Zuschauer immer wieder überraschende Wendungen bereithält. Dabei arbeitet Dörrie mit Rückblenden und Einstellungen zwischen Traum und Wirklichkeit, die einem beim Zuschauen immer mehr in einen Zwischenraum zwischen den Zeiten und Welten kommen lassen.
Der Film entwickelt eine existenzielle Wirkkraft, weil darin Grundthemen menschlichen Daseins angesprochen werden.
Der dynamische Kern des Films ist eine Weitung des Blicks auf sich selbst, die eigene Kultur und die Welt, die sich ereignen kann, wenn sich bekannt scheinendes im Lichte einer anderen kulturellen und spirituellen Perspektive neu öffnet. Die spirituelle Weisheit Japans mit einem Gespür für die Beziehungen zwischen Lebenden und Toten und die verborgenen Kräfte im menschlichen Wesen trifft auf eine bayerische Familiengeschichte zwischen der Enge ländlicher Traditionen und Konditionen, den Nachwirkungen der nationalsozialistischen Schuld und der postmodernen zwischenmenschlichen Entfremdung.
Die thematischen Verknüpfungen wirken dabei manchmal etwas konstruiert und gewollt. Wenn man sich aber diesem erzählerischen Sog hingibt, entfaltet der Film eine existenzielle Wirkkraft, weil darin Grundthemen menschlichen Daseins wie Identitätssuche, generationsübergreifende Traumen, Umgang mit dem Tod (und den Toten) und Konfrontation mit dem eigenen Schatten angesprochen werden – aber ohne Antworten zu geben.
Doris Dörrie ist vor allem mit ihren Komödien bekannt geworden, und obwohl »Kirschblüten und Dämonen« durchaus seine komischen Momente hat, ist es ein überraschend und erfrischend ernsthafter und experimentierfreudiger Film geworden. Dörrie begibt sich auf ein Terrain, das leicht ins Klischeehafte oder Pathetische abgleiten kann, und schöpft die Mittel des Films aus, manchmal bis nah an die Übertreibung. Aber sie findet dabei ihre eigene Sprache für das Unsagbare, Verborgene, für den Raum zwischen dem, was wir zu wissen glauben. Eine Sprache, der zu lauschen sich lohnt.