#me &youtoo

Our Emotional Participation in the World
English Translation
0:00
0:00
Audio Test:
Essay
Published On:

January 24, 2018

Featuring:
Ellen Fein
Sherrie Schneider
Categories of Inquiry:
Tags
Issue:
Issue 17 / 2017:
|
January 2018
Die Postmoderne und darüber hinaus
Explore this Issue

Please become a member to access evolve Magazine articles.

Beziehung jenseits des Schlachtfelds der Geschlechter

Es ist ein Teil unserer postmodernen Kultur, den Status Quo männlicher Privilegien herauszufordern. Trotz aller Fortschritte, die Frauen in den letzten 50 Jahren erreicht haben, war wirkliche Gleichberechtigung selten. Die #metoo-Bewegung hat diesen Kampf für Gleichberechtigung nun neu definiert. Fragen zum Verhältnis von Frauen, Männern, Sex und Macht haben wie noch nie Gehör gefunden. Können wir diesen Moment der Besinnung für ein neues, anderes post-postmodernes Verhältnis zwischen Männern und Frauen nutzen?

Die #metoo-Bewegung erfasst gerade die Welt. Ich bin traurig, wie sehr Frauen und Männer momentan miteinander kämpfen. Dass den Frauen ihre Vorwürfe an mächtige Männer inzwischen geglaubt werden, ist mehr noch als die Forderung nach gleicher Bezahlung ein spürbares Zeichen von Gleichberechtigung. Das ist in der Tat ein Grund zur Freude. Denn seit Aristoteles galten in der westlichen Kultur Frauen als Lügnerinnen. Wir erleben also einen tief greifenden Wandel. Aber dieser Wandel geschieht, ohne dass es einen relativ unvoreingenommenen Prozess der Wahrheitsfindung oder eine Möglichkeit für die Männer gäbe, auch ihre Perspektive zu vertreten. Und das ist in seinem Motiv genauso autoritär wie jedes sogenannte Patriarchat – in der Vergangenheit oder heute. Wenn die Autorität in unserer Kultur einfach von den Männern zu den Frauen wandert, wird keine echte Veränderung möglich sein. Das wird erst möglich, wenn sich grundlegende Strukturen unseres Bewusstseins verändern.

Wir sind heute in einem besonderen postmodern geprägten Moment unserer Geschichte. Progressive postmoderne Menschen, insbesondere Frauen, sind heute immer mehr in der Lage, die kulturellen Normen zu verändern, um Frauen zu stärken und sexuelle Vielfalt zu ermöglichen. Veraltete Erwartungen und Wünsche – wie die Erwartung, dass der Mann beim Date die Initiative übernimmt oder dass Frauen in der Beziehung für die Gefühle zuständig sind – werden auf den Kopf gestellt, allerdings ohne eine Vision, wie eine lebendige, nicht ironische Verbindung zwischen gleichwertigen Partnern in ihrer Sexualität aussehen könnte. Olga Khazan, die für das US-amerikanische Magazin »The Atlantic« schreibt, sagt dazu: »Die letzten Monate erwecken den Anschein, dass die Menschheit das »Handbuch« für sexuelle Partnerschaften verloren hätte und nun alles von Neuem lernen müsste.«

Wenn wir die Autorität in unserer Kultur nur von den Männern an die Frauen übergeben, wird keine wirkliche Veränderung möglich sein.

Deshalb könnte jetzt ein guter Zeitpunkt sein, um zu fragen, was eigentlich in dieses »Handbuch« gehört. Wie können wir unsere fundamentalen kulturellen Prägungen verändern? Als Erstes würde ich vorschlagen, dass wir die alten Prägungen freilegen. Das ist natürlich nicht leicht. Nur dann können wir darüber neu nachdenken, wie wir als Frauen und Männer zusammenleben wollen und was unsere Rollen in einer neuen Kultur sein könnten.

Das alte »Handbuch«

Das letzte »Handbuch« für das Verhalten in sexuellen Partnerschaften – die auch Ehe genannt wurden – wurde im 18. Jahrhundert geschrieben. Damals war die »Liebesheirat« eine große Innovation – die revolutionäre (und beunruhigende) Idee, dass Frauen und Männer ihre Partner nach gegenseitiger Anziehung und Liebe wählen. Und nicht nach ökonomischen oder praktischen Beweggründen, über die andere entschieden.

Wir kennen alle diese Geschichte: Das kluge, fleißige Arbeitermädchen gewinnt das Herz des Hausherren und er heiratet sie. Die ersten Versionen dieser Geschichte wurden als »Anleitungslektüre« bezeichnet, weil sie den jungen Frauen im 16. bis 18. Jahrhundert zeigten, wie sie sich richtig verhalten und hoffentlich einen Mann der höheren Klassen anziehen können. Die Dynamiken dieser Geschichte leben noch in uns. Bis heute erfahren wir uns als Frauen – zumindest noch die Frauen der 68er Generation – als liebenswert, wenn es uns gelingt, einen Mann jenseits der eigenen sozialen Stellung anzuziehen. Geliebt zu werden bedeutet immer noch, dass wir einem Mann so wichtig werden, dass er uns ein Leben in materiellem Überfluss ermöglicht, das wir zuvor nicht erreichen konnten. Wenn das nicht geschieht, entsteht ein tiefes Gefühl der Unzufriedenheit, der Traurigkeit oder Depression.

Diese Geschichte umhüllte die bisherige wirtschaftliche oder praktische Übereinkunft mit dem Zuckerguss der romantischen Liebe. Sie hing von Bedingungen ab, die heute nicht mehr angemessen sind, aber die Wünsche, die dieser Geschichte zugrunde liegen, halten uns oft fest im Griff. Als Erstes musste die Frau »tugendhaft« sein, was bedeutete, Jungfrau zu sein. Zweitens hing sie vollkommenen vom Mann ab. Drittens stellte der Mann seinen Heiratsantrag, wenn sexuelle Lust zu Respekt und Liebe wurde. Diese Transformation der Begierden hängt davon ab, dass der Mann die Frau begehrt und die Frau dem widersteht und ihre Sexualität entweder unterdrückt oder ihn damit reizt. Aber vor allem hängt die romantische Liebesbeziehung davon ab, dass man die wirtschaftliche Gegenleistung versteckt, die Frauen für Sex, Fürsorge und Kindererziehung bekamen. Frauen verwechseln Gefühle der Liebe oft mit der Erfahrung von Abhängigkeit. Männer verwechseln das Gefühl der Liebe oft mit der Erfahrung, gebraucht zu sein.

Obwohl wir im 21. Jahrhundert leben, ist dieses »Handbuch« aus dem 18. Jahrhundert in unseren erotischen Reaktionen immer noch gültig. Wir denken, dass wir ein neues Leben führen, aber wir sehen oft die grundlegenden Gefühlsmuster nicht, denen wir folgen. Deshalb sind wir gespalten zwischen unseren Ideen von Gleichheit und unserem alten »Handbuch«. Am Ende sind wir unzufrieden und misstrauen einander.

Das intime Schlachtfeld

Ironie ist der Ton der Postmoderne – Ironie und Zynismus. Unser Kopf glaubt nicht an die romantische Liebesgeschichte mit dem kitschigen Happy End. Aber wie nähern wir uns dann einander an – und wofür? Seit den späten 1990er Jahren zeigten sich neue Handbücher wie etwa »Die Kunst, den Mann fürs Leben zu finden« von Ellen Fein und Sherrie Schneider. Ihr erklärtes Ziel war, den Frauen zu helfen, einen Ehemann zu finden, indem sie sich unerreichbar geben sollten, um den primitiven Jagdinstinkt des Mannes wachzurufen. Heute führen einige Forscher auf solche Bücher den Beginn der »Pick-up-Artists« zurück, die Männern erklären, wie sie die Verteidigungsmechanismen der Frauen überwinden können, um sie ins Bett zu bekommen. Die offensichtliche instrumentelle Ausnutzung eines anderen Menschen, die diese »Handbücher« zeigen, stärkten Misstrauen und Zynismus. So entstand ein intimes Schlachtfeld zwischen Frauen und Männern.

Die #metoo-Kampagne hat ein Licht darauf geworfen, wie intim (und geheim) dieses Schlachtfeld bisher war. In einer Zeit, wo wir glaubten, eigentlich alles gesehen zu haben und nicht mehr so leicht schockiert zu werden, war ich nicht auf die Mischung von Machtmissbrauch und sexueller Perversion vorbereitet, die die Frauen (und einige Männer) nun öffentlich machen. Für die meisten Menschen, insbesondere die jüngere Generation, ist die Arbeit nicht vom persönlichen Leben getrennt. In der Zeit nach 1968 mit ihrer der sexuellen Befreiung, und den Frauen als Hälfte der Arbeitswelt, verwischten sich die Unterschiede zwischen Vorgesetzten, Kollegen, Freunden und Sexualpartnern. Das kann verwirrend sein. Junge Menschen brauchen hier Vorbilder. Und viele Männer in Machtpositionen haben das Vertrauen, das damit einhergeht, ein Vorbild zu sein, zutiefst betrogen.

Wenn wir einen Schritt zurücktreten, scheinen wir trotz der Fassade der sexuellen Freiheit – Filme voller Sex, leicht zugängliche Pornos, Werbung mit halbnackten Frauen, sexuell aufgeladene Modetrends – sexuell in keiner besonders guten Verfassung zu sein. Unsere Sexualität ist der Ort, wo sich unsere unreifen Wünsche, dunklen Zwänge und tiefsten Traumata zeigen. Wenn eine von drei Frauen sagt, dass sie beim letzten Geschlechtsverkehr Schmerzen empfunden hat, dann stimmt etwas nicht. Wenn die Gruppe mit dem höchsten Risiko für Porno-Sucht Jungen zwischen 12 und 17 sind, dann stimmt etwas nicht. Wenn drei Viertel der Mädchen im Teenageralter keine körperliche Erregung spüren oder 40 Prozent der Frauen beim Sex keinen Orgasmus haben, dann stimmt etwas nicht. Wenn ein Drittel der jungen Männer (zwischen 18 und 25) eine Form der sexuellen Dysfunktion haben (oft verbunden mit Depressionen), dann stimmt etwas nicht. Diese Beispiele sind vielleicht Hinweise auf andere Schlachtfelder, bei denen der Konflikt noch gar nicht benannt wurde. Die Postmoderne hat die Sexualität gefeiert – in der Hoffnung, unsere Lebendigkeit zu befreien –, sie hat sie aber dabei oft aus einem weiteren Kontext von menschlicher Nähe, Sinn und Verbundenheit gerissen, in dem allein sie aufblühen kann.

metoo führt zu einer neuen Debatte über Sexualität, Macht und Grenzen, die Männer und Frauen ohne Angst oder Scham füh ­ ren müssen. Nur so können wir herausfinden, wie wir als sexuelle Wesen in intimen Situationen mit Machtunterschieden umgehen können. Dazu brauchen wir Mut und ein offenes Herz. Und weil uns die romantische Liebesgeschichte nicht mehr als »Handbuch« dienen kann, müssen wir gemeinsam eine neue Vision für ein Le ­ ben in Nähe, Liebe und Kreativität finden.

Der Aufstieg des Weiblichen?

Beginnen wir mit einem Blick auf den Wandel, in dem wir uns befinden. Viele sehen ihn in Verbindung mit Frauen als Aufstieg des weiblichen Prinzips. In diesem neuen Zeitalter werden angeblich die Frauen und die weiblichen Werte wie Unterstützung, Fürsorge und Beziehung die Führung übernehmen. Das »alte Paradigma« gehört also den Männern und dem Männlichen. Damit ist in Wirklichkeit die Moderne gemeint, mit der Entwicklung von Rationalität, Wissenschaft, Technik und unserer heutigen Wirtschaft, die von Männern und ihren angeblichen Werten angetrieben wurde. In der Moderne waren Frauen Hausfrauen, Ehefrauen, Mütter und Konsumentinnen, die die Familie und die Gemeinschaft zusammenhielten. Die Werte der Frauen wurden deshalb von der Rolle der Fürsorgenden geformt. Die Macht lag bei den Männern. Sie brachten das männliche Prinzip zum Ausdruck, das oft kaum von Dominanz unterscheidbar ist. In dieser Sichtweise kommen das Männliche und die Männer ziemlich schlecht weg. Und Frauen werden als gut betrachtet – als bessere Menschen.

Das Problem dabei ist, dass wir damit zu unserem alten »Handbuch« zurückkehren. Die Hauptakteure in diesem Drama – das Männliche und das Weibliche – kommen direkt aus der romantischen Liebesgeschichte. Das Bild der Frau als gut, rein und frei von Egoismus ist zwar eine gefährliche Fiktion, beschreibt aber die unschuldige und fleißige Heldin dieser Geschichte. Das kraftvolle Männliche ist dann der romantische Held, der oft rational ist und körperlich und sozial die Macht besitzt. Mann und Frau, das Männliche und das Weibliche, umfassen je die Hälfte unseres Menschseins: Das Männliche umfasst Zielstrebigkeit, Unabhängigkeit, Rationalität, Kreativität, Impulsivität, Stärke und Aktion, währenddessen das Weibliche Empfänglichkeit, Abhängigkeit, Emotionalität, Verbundenheit, Passivität, Sanftheit und Fürsorge umfasst. All diese Eigenschaften können in positivem oder negativem Licht betrachtet werden.

Die Postmoderne hat die Sexualität gefeiert, sie aber dabei oft aus dem größeren Kontext von menschlicher Nähe, Sinn und Verbundenheit gerissen.

Das tiefere Problem aber ist, dass wir durch die Annahme der Gegensätzlichkeit als das Wesen unserer männlichen und weiblichen Identitäten und durch die Vorstellung, dass das Männliche und das Weibliche Gegensätze sind, letztendlich einen Herrschenden und einen Beherrschten schaffen. In den letzten Jahrhunderten wurden meist die männlichen Qualitäten als »besser« gesehen. Erst seit Kurzem, nach der Zerstörung, die die moderne Welt auf unserem Planeten angerichtet hat, werden Frauen und die Qualitäten der Frauen von manchen als »überlegen« angesehen. Diese Überlegenheit und Dominanz bilden den Kern des Problems. Das ist vielleicht der Grund, warum im Zuge der #metoo-Debatte bisher keine Prozesse ermöglicht wurden, die beiden Seiten eine faire Behandlung garantieren. Deshalb sieht die momentan aufziehende »neue Vorherrschaft« der alten männlichen Macht sehr ähnlich.

Jenseits der Postmoderne

Die Frauenbewegung der 1960er Jahre hatte begonnen, das alte »Handbuch« zu zerreißen und führte uns in eine neue, postmoderne Ära der Freiheit. Heute gibt uns eine neue Bewegung unter Frauen eine neue Möglichkeit, dieses Projekt einen Schritt weiterzubringen. Können wir es nutzen, um über die Punkte hinauszugehen, an denen die Postmoderne feststeckt?

Das alte »Handbuch« für sexuelle Partnerschaft passt nicht mehr in unsere Zeit. Aber statt in Ironie und Zynismus zu versinken, die nur Feindschaft kreieren, können wir die Aufgabe übernehmen, Vorbilder für eine neue Kultur zu sein. Unsere Aufgabe besteht heute darin, zusammen menschlicher zu werden: jene Qualitäten des Menschseins zu entwickeln, die bisher nicht unsere Stärke waren. Wollen wir – und sollten wir – nicht alle, unabhängig vom Geschlecht, stark und verletzlich, unabhängig, aktiv und empfänglich, rational und emotional sein? Vielleicht können wir mit diesem Anspruch in gegenseitigem Respekt zusammenkommen, um die schwierigen Fragen von Macht und Sexualität am ­Arbeitsplatz zu verhandeln.

Wagen wir das Experiment: Was könnte jenseits der Lust-­Liebe-Bindung der Liebesbeziehung das vereinigende Band zwischen Frauen und Männern (oder welcher sexuellen Orientierung auch immer) sein? Können wir ko-kreative Partnerschaften gestalten, um einander, unsere Kinder und unsere transformative Arbeit zu unterstützen? Können wir in Netzwerken und Gemeinschaften zusammenleben, die lebendig und belebend sind, und die nachhaltig sind aber auch noch viel mehr? Unser altes »Handbuch« der romantischen Liebe enthielt eine soziale und wirtschaftliche Ordnung. Es wird einige Zeit brauchen, bis wir eine neue Ordnung aufgebaut und entwickelt haben. Aber wir können damit beginnen, uns zunächst selbst neu zu erfinden – als Menschen, die auch männlich oder weiblich sind.

Author:
Dr. Elizabeth Debold
Share this article: