Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
July 19, 2018
Wien steht in vielen Rankings zu den Städten mit der höchsten Lebensqualität an oberster Stelle. Wir sprachen mit der Wiener Evolutionsbiologin und Autorin von »Homo Urbanus« Elisabeth Oberzaucher darüber, was wir aus dem Beispiel Wien lernen können.
evolve: Die Stadt ist eine evolutionäre Erfolgsgeschichte, durch die Stadt wurde die Verdichtung von Kommunikation und Kreativität möglich. Sie kann aber auch eine Umgebung sein, die uns überfordert, Stadt bedeutet einerseits Freiheit, andererseits auch Stress. Wie sehen Sie diese verschiedenen Gesichter der Stadt?
Elisabeth Oberzaucher: Der Homo sapiens wurde eine erfolgreiche Spezies, weil wir keine Spezialisten sind; wir können nichts besonders gut, wir sind Generalisten. Das Einzige, worin wir besonders kompetent sind, ist das Denken. Als Generalisten können wir mit vielen unterschiedlichen Lebensräumen zurechtkommen, deswegen ist es uns gelungen, den gesamten Erdball zu besiedeln.
Städte sind entstanden, um ökonomischen Interessen zu dienen, sie sind die treibende Kraft der Urbanisierung. Das größte Entwicklungspotenzial heute sehe ich darin, nicht allein den ökonomischen Beweggründen zu folgen, sondern die Menschen wieder in den Mittelpunkt der Städte zu rücken. Zum Beispiel in der Mobilität, indem man ein attraktives öffentliches Verkehrsnetz ausbaut und es durch Parkgebühren oder eine City-Maut unattraktiv macht, den Individualverkehr innerstädtisch zu nutzen. Insgesamt wird das individuell besessene Auto im urbanen Raum zunehmend zu einem Auslaufmodell. Das ist eine Entwicklung, in die ich große Hoffnung setze, weil mit weniger Autos im städtischen Raum Flächen frei werden, die man für soziale Zwecke nutzen kann. Denn das soziale Miteinander ist immer die größte Herausforderung in der Stadt. Es braucht Raum für unterschiedliche Interessen, für individuellen Rückzug und für Begegnung.
Das soziale Miteinander ist immer die größte Herausforderung in der Stadt.
e: Sehen Sie einen Wertewandel im Städtebau? Der Städtebau in Wien, in der Stadt, in der Sie leben und in der ich auch viele Jahre gelebt habe, ist charakteristisch für eine Ausnahmeerscheinung des Städtebaus. Der soziale Städtebau des alten Wien in den 1920er Jahren kam aus einer Wertehaltung, die nicht primär ökonomisch definiert war, sondern bei der auch soziale Kriterien eine Rolle spielten.
EO: Wien ist tatsächlich eine Ausnahme, bis heute. Der Städtebau in Wien mit einer über 100-jährigen Tradition schafft keine Sozialghettos für Arme, denn beim Sozialbau ziehen die Menschen ein, wenn sie ein geringes Einkommen haben und bleiben dann später in den Gemeindebauten wohnen, weil sie Lebensqualität bieten. Dadurch gibt es eine natürliche Durchmischung aller Bildungs- und Einkommensschichten. Und Menschen, die nebeneinander wohnen, tun sich schwerer damit, einander zu hassen. Das Besondere an Wien ist, dass die Stadt die größte Mietherrin ist. Die Stadt hat sukzessive Gemeindebauten gebaut, die quer durch die ganze Stadt an den schönsten Plätzen liegen. Die Gemeinde Wien besitzt über 50 Prozent des Wiener Wohnraums. Das ist weltweit eine einmalige Situation und erlaubt der Gemeinde, für die soziale Gerechtigkeit ein starkes politisches Commitment zu entwickeln, nicht nur für eine Legislaturperiode – wir reden im Falle Wiens von über 100 Jahren. Das ist ein wertvolles Erbe, dem man auch über den Wohnungsbau hinaus treu sein kann. Beispielsweise wird am Wiener Westbahnhof ein Ikea gebaut. Die Stadt Wien hat durch massive Auflagen bestimmt, wie viel von diesem Gebäude für die Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden muss. Im Prinzip ist die gesamte Dachfläche öffentlich, wo ein ein Park entstehen soll.
Im größeren Umfang ist auch die Donauinsel, eine 30 Kilometer lange Freizeitinsel mitten in der Stadt, ein Beispiel für ein Projekt, wo die Ökonomie nicht im Vordergrund stand. Abgesehen von ortsspezifischen Restaurants, Bars und ein paar Sportgeschäften gibt es auf der Donauinsel keine ökonomisch genutzten Flächen. Die Donauinsel gehört den Wienern und allen anderen, die dort hinkommen.
Mittlerweile ist die Stadt an ihre Grenzen gestoßen, daher gibt es neue Stadtentwicklungsgebiete, die auf Umnutzungen basieren. Ein Entwicklungsgebiet an der Peripherie ist die Seestadt Aspern. Der ehemalige Flughafen Aspern wurde als Stadtentwicklungsgebiet umgeplant. Man hat überlegt, welche technologischen Herausforderungen und infrastrukturellen Gegebenheiten man bedenken sollte. Als Erstes wurde eine U-Bahn dorthin gebaut; die Verkehrserschließung wurde umgesetzt, bevor diese Stadt gebaut und besiedelt wird. Häufig geschieht es andersherum, an der Peripherie entstehen Satellitenstädte, die verkehrstechnisch nicht angeschlossen sind, und man muss im Nachhinein mühsam Lösungen finden.
e: Inwiefern sind die Erfahrungen von Wien für die Stadt der Zukunft von Modellcharakter?
EO: Der soziale Wohnbau in Wien ist ein gelungenes Modell, Lebensraum zu schaffen, der nicht sofort mit einer ökonomischen Nutzung belegt ist. Ein Projekt, mit dem Wien in den letzten Jahren weltweit Schlagzeilen gemacht hat, ist die Mariahilfer Straße. Das ist eine große Einkaufsstraße; früher fuhr dort der Verkehr durch und an Advents-Samstagen war es eine Fußgängerzone. Auf Bestreben der Grünen wurde die Straße in eine Begegnungszone umgewandelt – das ist eine Form der Verkehrsberuhigung, in der Fußgänger Vortritt vor Fahrzeugen haben. Dieses Projekt war zunächst sehr umstritten. Die Autofahrer befürchteten Staus und komplizierte Umfahrungen, die Geschäftsinhaber fürchteten weniger Umsatz. Aber nach der Umsetzung sind diese Klagen verstummt. Die Autofahrer haben gelernt, andere Routen zu finden, und die Geschäftsinhaber merken, dass die Straße um einiges attraktiver geworden ist, weil sie als Lebensraum genutzt wird. Sie machen nun ein besseres Geschäft. Und die Menschen, die diesen Lebensraum als Einkaufsort nutzen, finden es fantastisch.
Eine weitere wegweisende Initiative heißt GrünStattGrau, dabei geht es um die Förderung von Fassaden- und Dachbegrünungen. Das ist ein wichtiger Schritt für die Stadt der Zukunft, weil Pflanzen aus unterschiedlichen Gründen eine positive Wirkung auf uns Menschen haben. Natürlich auch mit Hinblick auf den Klimawandel, der eine massive Herausforderung für die Städte darstellt. Die Dachbegrünung kann helfen, das Aufheizen der Fassaden in den Städten zu mindern, weil die Aufnahme von Wärmeenergie bei Pflanzen geringer ist, als bei den gebauten Strukturen, und die Verdunstungskette, die durch Pflanzen stattfindet, aktiv kühlt. Pflanzen sind im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung auch deshalb wichtig, weil die plötzlichen, massiven Niederschläge unsere Abflusssysteme überfordern. Die innerstädtischen Überschwemmungsphänomene werden immer häufiger und immer schwerwiegender. Städtische Begrünung kann dadurch einen Beitrag leisten, dass sie einen Verzögerungseffekt auslöst.
Auf den Punkt gebracht würde ich sagen, dass die Zukunft der Städte nur dann eine funktionierende sein kann, wenn menschliche Bedürfnisse und Verhaltenstendenzen in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellt werden. Nur so können die ökologischen und sozialen Herausforderungen nachhaltig gemeistert werden.
Das Gespräch führte Thomas Steininger.