Schritte der Veränderung

Our Emotional Participation in the World
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Kolumne
Published On:

July 14, 2015

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Ausgabe 07 / 2015
|
July 2015
Die Zukunft in uns
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In welche Richtung sollte sich unsere Gesellschaft verändern?

Was sind die ersten Schritte auf dem Weg zu dieser gesellschaftlichen Transformation?

Wir spüren, dass sich in unserem Sein und Handeln in der Welt etwas ändern muss. Aber was? Wir haben Aktivisten und Vordenker gesellschaftlichen Wandels gefragt:

Scilla Elworthy, Friedensforscherin, Gründerin der Oxford Research Group, die sich für einen Dialog zwischen Politikern von Atommächten und deren Kritikern einsetzt.

Wir leben in einer Welt, die für die meisten ihrer Bewohner elend und beängstigend ist. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird breiter, und wir ruinieren unseren Planeten mit einer solchen Geschwindigkeit, dass sehr bald große Teile davon unbewohnbar sein werden. Die Welt ist in der Krise. Doch diese Krise ist eine riesige Chance. Eine andere Zukunft für die gesamte Menschheit ist möglich, wenn die Menschen aufwachen. Wenn eine kritische Masse der Menschen durch diesen Wandel geht, könnte eine ganz andere Gesellschaft entstehen: Wir könnten in einer Welt leben, die für alle funktioniert. Dies ist keine Utopie. Es geschieht. Es gibt Beispiele in der ganzen Welt, und eine weltweite Bewegung der Kreativität beginnt, von der Sie ein Teil sein können.

In einem halben Jahrhundert Entwicklungsarbeit in der ganzen Welt ist die wichtigste Lektion, die ich gelernt habe, dass innere Arbeit die Voraussetzung für äußere Wirksamkeit ist. Wenn wir klar kommunizieren, Konflikte transformieren, Inspiration wecken und in unseren Familien und an unserem Arbeitsplatz Vertrauen entwickeln wollen, besteht unsere erste Herausforderung darin, innere Kraft zu kultivieren.

Aufwachen beginnt mit dir und mir. Es bedeutet, dass wir durch Reflexion und Achtsamkeit uns selbst besser kennenlernen. Diese Werkzeuge ermöglichen es uns auch, wacher für andere und ihre Bedürfnisse zu werden, um von unseren eigenen Anliegen zum Mitgefühl für die Welt zu kommen – sie geben uns die Kraft und die Fähigkeit zu wissen, was wir tun müssen, und wie wir es tun können.

Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald, Honorarprofessor für Agrar-, Ernährungs- und Umweltethik und Politische Ökologie, Vorstand der Schweisfurth Stiftung.evo

Im Jahr 2050 wird es die Weltgesellschaft verstanden haben: Ja, Eigentum verpflichtet! Mensch übernimmt dann umfassende Verantwortung dafür, etwas Sinnvolles aus seinen Vermögen zu machen. Mehr Werte zu schaffen, neuen Nutzen zu stiften, dauerhaft Brauchbares zu erzeugen.

Die ersten Schritte werden schon gegangen: Ein nachhaltiger und erfüllender Lebensstil ist zunehmend für viele Menschen attraktiver als die stressvolle Beschleunigung aller Lebensvollzüge und das Immer-mehr-haben-wollen in immer kürzerer Zeit. Nicht nur im Milieu der kulturell Kreativen, sondern in allen sozialen Schichten gibt es ein Aufwachen: weg vom Wachsen, hin zum Reifen.

Und in der Wirtschaft? Gemeinwohlbilanzen werden schon jetzt von immer mehr Unternehmen gemacht. Diese gehen sozial und ökologisch weit über Nachhaltigkeitsratings und Corporate Social Responsibility hinaus. Vielleicht noch wichtiger sind die vielfältigen Bemühungen der Commonisten: Eine neue Wirtschaft rund um Gemeingüter etabliert sich Schritt für Schritt. Last but not least zeitigt der seit der Weltkonferenz 1992 in Rio laufende Prozess nachhaltiger Entwicklung Früchte: Die Weltgemeinschaft verständigt sich gerade auf neue, ehrgeizige »Sustainable Development Goals«, um Armut zu bekämpfen, Hunger zu besiegen und ein menschenwürdiges Leben auf einem gesunden Planeten zu ermöglichen.

Das neue Miteinander hat begonnen!

Dr. Marilyn Hamilton, Initiatorin von Forschungsprojekten zur Stadtentwicklung, Gründerin von Integral City Meshworks.

Städte sind die Gefäße für menschliche Evolution und gesellschaftlichen Wandel. Als komplexeste menschliche Systeme entstehen Städte aus dynamischen Wechselwirkungen der Holarchie von Individuen, Familien, Gruppen, Teams, Clans, Organisationen und Nachbarschaften. Städte mit größerer Einwanderungsgeschichte bieten eine umfassendere biologische, psychologische, kulturelle, gesellschaftliche Vielfalt als Städte mit weniger Einwanderung. Diversität gibt Städten das Potenzial für Anpassungsfähigkeit, Innovation und Belastbarkeit, aber sie kann auch effektives Regieren behindern, weil durch Werte, Überzeugungen und Praktiken, die aus den Ursprungskulturen stammen, Konflikte entstehen.

Um sich positiv zu entfalten, müssen unsere Städte so regiert werden, dass wir von der inneren Vielfalt profitieren, während wir gleichzeitig die ökologische Vielfalt in der natürlichen Umgebung einer Stadt bewahren und fördern. Städte stellen die Weichen für Veränderungen in der Gesellschaft, weil ein großer Teil der Menschen heute in Städten lebt.

In einer multikulturellen Welt müssen wir in unseren Städten Lebensbedingungen schaffen, die es einer vielfältigen Bevölkerung mit verschiedenen Kulturen ermöglichen, sich auszudrücken, zu reifen, Konflikte zu lösen und ihre nächste natürliche Entwicklungsstufe zu erreichen. Dadurch kann sich das Bewusstsein einer Stadt entwickeln, das Leben der Stadt kann sich entfalten und zur Gesundheit der Öko-Region, in der sie liegt, und auch der gesamten Welt beitragen.

Elza Maalouf, amerikanisch-libanesische Beraterin in Entwicklungsprojekten im Mittleren Osten, Leiterin des Center for Human Emergence Middle East.

Einfach gesagt, muss sich unsere Gesellschaft in eine Richtung entwickeln, in der wir aus einer höheren Bewusstseins­ebene die Komplexität, in der wir leben, anerkennen. Ich nenne diese Perspektive »Funktionale Demokratie«. Es hat sich gezeigt, dass die progressiven Werte des Westens nicht umfassend genug sind. Ganz im Gegenteil, egalitäre Werte haben Regionen wie dem Mittleren Osten das Recht abgesprochen, sich in angemessene, indigene Formen kultureller Entwicklung zu begeben. Der Mittlere Osten braucht keine liberale Demokratie nach westlichem Stil. Dort braucht es einen bewussten Fokus auf die Entwicklung der richtigen Institutionen, die dem Entwicklungsprofil der jeweiligen Kultur entsprechen.

Leider wurden die Modelle von Demokratie, die vom Westen zum Beispiel in meinem Heimatland Libanon eingesetzt wurden, benutzt, um ein System zu schaffen, in dem Feudalherren die Verfassung gemäß ihrer eigenen Ziele manipulierten. Für die aufsteigenden Länder, die den Kapitalismus angenommen haben, wie beispielsweise China und Indien, ist es entscheidend wichtig, dass sie die Macht der charismatischen Führer beschneiden und sich auf eine höhere Bewusstseins­ebene begeben, auf der das Vertrauen in Institutionen möglich wird. Diese Entwicklungsstufe ist der Kern des Übergangs aus dem feudalen System, in dem wenige Mächtige die Geschicke lenken, hin zu einem kommunalen System, in dem der Wille der Bevölkerung durch Institutionen vertreten wird, die die Gesetze umsetzen und gewählte Politiker zur Verantwortung gegenüber ihrem Volk verpflichten.

Prof. Dr. Dr. h. c. Friedrich Glasl, Ökonom, Organisationsberater und Konfliktforscher, Mitbegründer der Trigon Entwicklungsberatung.

Es geht im Kern um die Entwicklung zu umfassender Verantwortungsfähigkeit, Autonomie. Das gilt für alle gesellschaftlichen Bereiche:

Bildungssysteme beruhen auf Initiativen sich selbst organisierender BürgerInnen (Schulautonomie, Freiheit von Forschung und Lehre). Soziale Kompetenz und vor allem Peer-Mediation sind Basisfächer wie Rechnen, Schreiben, Lesen, Turnen. Neue Medien, die nicht zentralistisch gesteuert werden, bereichern die Meinungsbildung der Bevölkerung.

Demokratie-Entwicklung: Massenmedien (TV, Radio, Presse) sind nicht Instrument mächtiger Konzerne (Berlusconi!), die die politische Urteilsbildung der Bevölkerung und der PolitikerInnen maßgeblich beeinflussen. Statt »Parteien-Demokratie« wird »Projekt-Demokratie« entwickelt, ähnlich wie heute in vielen Organisationen die Linienorganisation ergänzt wird durch Projektmanagement: BürgerInnen ergreifen Initiativen zur Bildung von Arbeitsgruppen mit Betroffenen und ExpertInnen; sie agieren als Bürger-Beiräte bzw. Resonanzgruppen für Politikentwürfe. Ziele und Grundlinien für Gesetzesentwürfe werden per Referendum beschlossen und sind bindend für Parlamente, die auf dieser verbindlichen Grundlage konkretisierende Gesetzestexte ausarbeiten. Durch Ausbau von Ombudsfunktionen für Minderheiten wird mehr Rücksicht auf ethnische, kulturelle, politische Minderheiten genommen.

Wirtschaft: Förderung von Gemeinwohl-orientiertem Wirtschaften, indem Pilotunternehmen Gemeinwohlbilanzen und Ökobilanzen entwickeln; sie erhalten dafür niedrigere Steuersätze (weil sie soziale Kosten reduzieren). Genossenschaftliche Kreditinstitute und Versicherungen beruhen nicht auf Kapitalanlagen sondern auf Gegenseitigkeit. Die Geldschöpfung durch Banken wird gestoppt. Komplementärwährungen und Regionalwährungen werden ermöglicht und nicht erschwert.

Author:
Scilla Elworthy
Author:
Prof. Franz-Theo Gottwald
Author:
Marilyn Hamilton
Author:
Elza Maalouf
Author:
Prof. Dr. Dr. h. c. Friedrich Glasl
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