Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
January 23, 2023
Unsere Bioregion ist ein Lebensfeld. Können wir diese Lebensfelder in einer weltweiten Gemeinschaft miteinander verbinden? Das ist die Vision einer globalen Bewegung, an der Joe Brewer mitwirkt.
evolve: Regenerative Kultur klingt gut, aber wovon reden wir hier eigentlich?
Joe Brewer: Oft wird die regenerative Kultur der extraktiven Kultur gegenübergestellt. Die extraktive Kultur basiert auf der Illusion der Trennung, derzufolge der Mensch von der Natur getrennt ist. Im Gegensatz dazu beginnt eine regenerative Kultur mit dem Verständnis, dass alles miteinander verbunden und voneinander abhängig ist.
Eine extraktive Kultur neigt dazu, Werte durch Reduktionismus zu schaffen. Sie reduziert den Wald auf den Preis des Holzes, sie reduziert das Wasser auf das Geld, das mit seinem Verkauf an die Einwohner einer Stadt verdient werden kann. Eine regenerative Kultur ist zutiefst beziehungsorientiert, und in solch einem beziehungsorientierten Feld ist es schwierig, einen einzelnen Wert zu wählen, um ihm dann eine Zahl zuzuordnen.
In einer extraktiven Welt basieren die menschlichen Kulturen auf Trennung, auf der Reduzierung von Werten. Sie drücken sich in der Regel dadurch aus, dass wir entweder die Macht über etwas haben, aus dem wir etwas herausziehen wollen, oder dass wir durch eine Macht unterdrückt werden. Dies sind typische Gefühle innerhalb einer extraktiven Kultur, was sehr vertraut klingen sollte, denn so ziemlich alles in unserer modernen kapitalistischen Marktwirtschaft ist Ausdruck einer extraktiven Kultur.
Eine regenerative Kultur ist zutiefst beziehungsorientiert, ganzheitlich, integrativ und partizipativ. Anstatt die Macht über das Lebendige zu haben, verbinden wir unsere Wirkmächtigkeit mit der lebendigen Welt. In einer regenerativen Kultur finden wir uns in Beziehungen wieder, in denen wir kooperieren, zusammenarbeiten und auf eine integrative und partizipative Weise mitgestalten können. Im Tiefsten ist es die Erkenntnis, dass wir Teil der lebendigen Erde sind, während die extraktive Kultur sagen würde, die Erde sei tot. Die lebendige Erde ist die große Mutter. Wir haben eine Beziehung zu dieser lebensspendenden mütterlichen Energie, und wir wurden in eine Familie menschlicher und nicht-menschlicher Wesen hineingeboren, die alle Kinder derselben Erde sind. Auf diese Weise sind wir nie allein. Wir befinden uns immer in einem Kontext, in dem wir Familie haben – auch wenn sich diese Familie für uns sehr fremd anfühlen mag, wie die Bakterien in unserem Darm, die unsere Verdauung unterstützen.
Sich in einer extraktiven Kultur zu befinden, bedeutet, kolonisiert zu sein. Sich in einer regenerativen Kultur zu befinden, bedeutet, dekolonisiert zu sein. Wir finden unsere Souveränität oder unseren angeborenen Wert und werden dazu ermächtigt, ihn zum Ausdruck zu bringen. Dabei ist es auch unsere Aufgabe, die Traumata der extraktiven Kulturen zu heilen.
¬ EINE REGENERATIVE KULTUR IST ZUTIEFST BEZIEHUNGSORIENTIERT, GANZHEITLICH, INTEGRATIV UND PARTIZIPATIV. ¬
Trauer und Freude des Lebendigen
e: Wie können wir solch eine regenerative Kultur gestalten? Wie sieht sie konkret aus?
JB: Wir finden die Verbindung zu einer regenerativen Kultur, indem wir den Schmerz und die Trauer über das, was in der Welt geschieht, fühlen. Während es bei der regenerativen Kultur im Wesentlichen um das Gefühl geht, lebendig zu sein, um Sehnsucht, Freude, Überschwang oder Neugier – viele wunderbare Empfindungen des Lebendigseins –, geht es auch um Schmerz, Leid, Verlust, Trauer, Verzweiflung.
An dem Ort in Kolumbien, an dem ich lebe, sind die Flüsse sehr gefährdet. Sie wurden durch Abholzung und Verschmutzung fast getötet. Wenn man also in dieser Landschaft eine Beziehung zum Wasser und den Flüssen eingeht, dann spürt man zunächst den Tod und den Verlust. Aber es gibt einen Silberstreif am Horizont, denn wenn wir anfangen, uns in den Schmerz von Verlust und Tod hineinzufühlen, werden wir auch sensibler für das, was noch lebendig ist.
Ein Teil meiner Arbeit besteht in der Wiederherstellung von Landschaften und Böden durch Wasserrückhaltung und Wiederaufforstung. Und meine Sensibilität für den sterbenden Fluss ist genau die gleiche Sensibilität, durch die ich nachempfinden kann, wie es sich anfühlen würde, den Fluss wieder zum Leben zu erwecken. Wenn ich mich dem Schmerz und dem Verlust dessen, was bereits geschehen ist, öffne, beginnt ein Prozess der Heilung in mir selbst. Es gibt ein Erwachen für den Schmerz und damit ein Erwachen für das ganze Leben, das ein Prozess ist.
Wir fragen uns selbst: Wie fühle ich mich mit meiner Mitschuld, meiner Verantwortung für das, was in der Welt geschieht? Ich empfinde vielleicht Scham, Demütigung, Wut oder Traurigkeit. Wenn ich dann bei diesen schwierigen Gefühlen bleibe, beginnen sie sich aufzulösen. Dann fange ich an, die Sanftheit der Lebendigkeit zu spüren, das Gefühl der Liebe und Dankbarkeit: Wie glücklich bin ich, in dieser Zeit zu leben! Aber um dorthin zu gelangen, muss ich durch die Trauer und den Schmerz gehen.
e: Unsere Verbundenheit mit der Landschaft ist ein Kernaspekt der Vision einer regenerativen Kultur. Das bedeutet, dass ich in einer Landschaft, in einer Bioregion verwurzelt bin. Das scheint unserer modernen Denkweise fremd zu sein, in der wir individualisierte, getrennte Wesen sind, die sich überall hinbewegen können. Ist es Teil der regenerativen Kultur, dass wir an einem bestimmten Ort ankommen, den Schmerz des Geschehenen erfahren, aber gleichzeitig auch die Kraft des möglichen Lebens?
JB: Der Mensch ist buchstäblich belebte Erde. Wir sind die Mineralien und das Wasser der Erde. Wir sind Luft aus der Erdatmosphäre, die zum Leben erwacht ist. Die moderne Welt erschafft die sehr mächtige Illusion der Universalität. Aber es gibt nichts Universelles außerhalb unserer Beziehungen, wir existieren nur in Beziehungen. Ich existiere in diesem Moment als ein menschliches Wesen, das Sauerstoff von Bäumen in Kolumbien atmet. Mein Atmen hat also einen Ort. Historisch gesehen waren alle regenerativen Kulturen, die wir kennen, indigene Kulturen, die immer mit einer Landschaft verbunden waren. Teil einer regenerativen Kultur zu werden, bedeutet in gewisser Weise, wieder indigen zu werden, uns wieder in einer Landschaft zu verorten, mit ihr in wechselseitiger Beziehung zu sein.
Ein planetares Bewusstsein
e: Ich verstehe, dass diese regenerative Beziehung zum Land eine indigene Beziehung ist. Aber offensichtlich leben wir nicht mehr nur in einer Landschaft. Wir leben in einem globalen Kontext, einer globalen Industrie, einem globalen Wirtschaftssystem, einem globalen Gehirn namens Internet. Elon Musk hat Twitter, ein Herzstück dieses globalen Gehirns, als Privatbesitz gekauft. Es gibt eine neue algorithmische Cyber-Realität, die globaler Natur ist und an der auch wir beteiligt sind. Wenn Sie davon sprechen, wieder indigen zu werden, sich wieder auf die Landschaft zu beziehen, wie verhält sich das zu diesen Realitäten, in denen wir ebenfalls leben?
JB: Einer der wichtigsten Unterschiede zwischen dem, was heute möglich ist, und dem, was für indigene Völker vor der Moderne existierte, ist die Möglichkeit, ein planetares Bewusstsein zu entwickeln. Das begann mit der Entdeckung der Erde aus dem Weltraum, als wir die blaue Erdkugel im unendlichen Raum sahen. In den letzten 50 oder 60 Jahren wurde dieses planetare Bewusstsein systemisch, wir können es direkt mit unserem Körper erfahren, und wir können es sehr ausgeprägt durch wissenschaftliche Erkenntnisse verstehen.
Einer der wichtigsten Begründer der Bewegung des Bioregionalismus war Peter Berg, dem es sehr wichtig war, sich als »planetarischen Menschen« zu bezeichnen. Er war kein Anhänger des Globalismus, der für ihn damit einherging, dass wir die Universalität der modernen Welt auf den Rest der Welt übertragen. Man kann als Angestellter eines multinationalen Unternehmens weltweit tätig sein und von einem Büro zum anderen ziehen, indem man die Stadt wechselt. Das veranschaulicht, dass die Realität der Erde für eine globale Perspektive irrelevant ist. Für einen planetaren Menschen ist das Gegenteil der Fall. Er oder sie sagt: »Im Moment lebe ich im nördlichen Teil der Anden, wo drei tektonische Platten aufeinandertreffen, die mit der Bewegung von Luft und Wasser aus dem Pazifischen Ozean verbunden sind. Diese Region wird durch die Bewegung von Luft und Wasser des Amazonas-Regenwaldes verändert.« Diese planetare Sichtweise eröffnet uns einen Weg zu einer neuen Form des Indigenen. Darin sind wir tief mit der Landschaft und gleichzeitig mit dem Planeten als Ganzem verbunden.
Wenn ich mich aus einer planetaren Sichtweise für die Wiederherstellung der Wälder und Flüsse in Kolumbien einsetze, weiß ich, dass diese Region eine Verbindung zu den Klimasystemen östlich von mir im Amazonas-Regenwald, nördlich von mir im Golf von Mexiko und in anderen Teilen der Welt hat. Durch Satellitendaten erkenne ich, dass Staub aus der Sahara über den Atlantik getrieben wird und mit dazu führt, dass es im Amazonas-Regenwald regnet. Ich kann die Erde durch die Satellitendaten umfassender verstehen, so dass ich ein Bewusstsein für die Veränderungen auf dem Planeten gewinne. Veränderungen in der Sahara in Afrika beeinflussen die Wettermuster in den Anden. Pilzsporen oder andere pflanzliche Materialien werden über den Ozean zwischen den Kontinenten getragen. Durch die Verbindung von planetarem Bewusstsein und einem Bewusstsein für die Landschaft können wir erkennen, wie alles, was in unserem planetaren System geschieht, zusammenhängt.
e: Ich finde die Unterscheidung zwischen global und planetar faszinierend. Eine weitere Dimension, die ich gerne einbringen würde, ist unsere Beziehung zueinander. Damit meine ich die menschliche Spezies, aber auch unsere Verbundenheit mit den mehr als menschlichen Sphären, in die wir eingebettet sind. Wenn wir uns auf unsere Verbundenheit als Menschen in diesem planetaren Bewusstsein konzentrieren, wie gehen wir dann miteinander um, um echte Beziehungen zu schaffen? Man kann keine Beziehungen zu acht Milliarden Menschen haben. Und wir leben im Kontext der Bewusstseinsindustrie, von kolonialen Strukturen und der Macht großer Tech-Unternehmen und ihrer Algorithmen. Wie können wir gemeinsam eine indigene Verbundenheit mit der Landschaft wiederentdecken, so dass wir in einem planetaren Kontext in Beziehung sind?
¬ WENN WIR ANFANGEN, UNS IN DEN SCHMERZ VON VERLUST UND TOD HINEINZUFÜHLEN, WERDEN WIR AUCH SENSIBLER FÜR DAS, WAS NOCH LEBENDIG IST. ¬
JB: Lassen Sie mich mit der großen Geschichte des Universums beginnen, die darin besteht, dass alle Menschen von derselben Wurzel abstammen. Wir sind alle Nachkommen unserer Vorfahren, sind Teil der Biosphäre der Erde. Wir sind alle Menschen und wir sind alle Kinder der Erde. Der Mensch ist eine Spezies mit einem gemeinsamen Erbe, das aber auch die Vielfalt der Kulturen einschließt. Und dann erweitern wir das um die Erkenntnisse aus der Biologie und der Evolutionsgeschichte und sehen, dass wir und alle anderen Lebewesen aus derselben Quelle stammen.
Dies ist wichtig, weil es sich um eine planetare Geschichte handelt, nicht um eine Geschichte der Landschaften. Unsere Geschichte umfasst alle Kulturen, all unsere Sprachen und all unsere Technologien für den Planeten als Ganzes. Als ich mit George Lakoff in der Forschung auf dem Gebiet der kognitiven Linguistik zusammengearbeitet habe, lernte ich, dass der menschliche Körper den Geist erschafft und dass der menschliche Geist verkörpert ist. Das bedeutet, dass die Art und Weise, wie unser Geist funktioniert, grundlegend von den Strukturen unseres Gehirns und unseres Körpers sowie von der Beziehung zwischen unserem Körper und unserer Umgebung geprägt ist. Das verkörperte Bewusstsein ist sehr vielschichtig. Ich erwähne das, weil es eine weitere Ebene des verkörperten Bewusstseins gibt, nämlich die der Ökosysteme und Landschaften.
Aus der Biogeografie wissen wir, dass es evolutionäre Entfaltungswege für ganze Ökosysteme gibt, die von der Geografie geprägt sind. Wir können die Evolutionsgeschichte des Lebens im Zusammenhang mit der Form von Landschaften betrachten. Und wir können die Vielfalt menschlicher Kulturen als die Vielfalt der Evolution von Kultur und Landschaften verstehen.
Ich möchte hier ein Beispiel aus der Evolution der Sprache anführen. Es ist gut erforscht, dass einige menschliche Sprachen mehr Vokale als Konsonanten haben. Und es gibt andere Sprachen, die mehr Konsonanten als Vokale haben. Der wichtigste Einfluss für diesen Unterschied ist die Art der Landschaft. Völker, die in großen, offenen Räumen wie den Great Plains in Nordamerika oder der Serengeti in Afrika beheimatet sind, wo die Menschen einander von Weitem sehen und sich über Entfernungen etwas zurufen können, neigen dazu, an diesen Lebensraum angepasste Sprachen zu entwickeln, die Vokale und wenige Konsonanten verwenden. Wenn man aber in einem dichten Dschungel lebt, in dem man einen anderen Menschen erst aus drei Metern Entfernung sieht, spricht man leiser und verwendet mehr Konsonanten. Die Sprachen entwickeln sich also mit der Landschaft, was bedeutet, dass die kulturelle Evolution mit der Landschaft korrespondiert.
Das ist wichtig, denn wenn wir die menschliche Geschichte als eine planetare Geschichte erzählen, schaffen wir auch ein planetares Netzwerk von bioregionalen Wirtschaftssystemen. Jede Bioregion, jede Landschaft als funktionale Einheit schafft ihre eigene Kultur und ihr eigenes Wirtschaftsmodell, das für diese Landschaft geeignet ist. Und dann tauscht sie sich souverän mit anderen Landschaften aus, so dass wir eine planetare Wirtschaft gestalten, die ein Netzwerk von bioregionalen Ökonomien ist. So funktioniert die Biosphäre aufgrund der Biogeographie, es handelt sich also um eine Nachahmung biologischer Prozesse. Diese planetare Bildsprache ahmt die Intelligenz der Natur nach, um die Bedingungen für nachhaltige menschliche Kulturen zu reproduzieren. Wir sehen, dass es sich sowohl um eine Geschichte der Landschaften als auch um eine Geschichte des Planeten handelt. Jede menschliche Kultur ist sowohl planetar als auch bioregional.
Eine Verbindung der Bioregionen
e: Sie haben dafür den Begriff Cosmolocalism gefunden, eine kosmo-lokale Perspektive, eine Gemeinschaft von Gemeinschaften. Wie können wir solche Gemeinschaften gestalten?
JB: Wir beide stehen unter demselben Himmel, und wenn sich die Erde dreht, werden wir dieselben Sterne sehen. Wir können also eine kosmische Sicht entwickeln, die umfassender ist als unser Standort. Und dann können wir sie zwischen den Orten teilen. Gleichzeitig kann ich eine lokale Beziehung zur Flora und Fauna an meinem Ort haben. Aber unser Bezugsrahmen ist das Rund der Erde. In einem planetaren Bewusstsein erkennen wir, dass wir uns beide auf derselben Erde befinden, nur an verschiedenen Orten.
Der Planet ist unser gemeinsamer Bezugsrahmen. Gleichzeitig leben wir in einer lokalen Ökologie, in lokalen Beziehungen, an unseren verschiedenen Orten, die sich durch vieles voneinander unterscheiden. In einer kosmo-lokalen Perspektive wird der Planet zu unserem gemeinsamen Bezugsrahmen. Und innerhalb des Planeten beziehen wir uns durch unsere Körper auf das, was uns unmittelbar nahe ist.
¬ WENN WIR DIE MENSCHLICHE GESCHICHTE ALS EINE PLANETARE GESCHICHTE ERZÄHLEN, SCHAFFEN WIR EIN PLANETARES NETZWERK VON BIOREGIONALEN WIRTSCHAFTSSYSTEMEN. ¬
e: Es gibt eine tiefe Verflechtung zwischen einer Bioregion, allen Lebensformen und dem menschlichen Leben. Es ist eine kraftvolle Vision, die all diese Bioregionen rund um den Globus in einer Weise verbindet, dass sie ihre besonderen Identitäten und ihre Verwandtschaft in einer globalen ökologischen Realität respektieren. Ich kann unsere Verwandtschaft mit diesen Regionen erkennen, gleichzeitig ist die Erde bereits seit Millionen von Jahren ein zusammenhängendes Ökosystem. Es gibt also eine Ebene der Verflechtung, die uns geschaffen hat. Aber es gibt noch eine andere Form der Verflechtung, die wir als Spezies geschaffen haben, und die ist gefährlich, weil sie diese extraktive, koloniale Form hat, die diese Erde buchstäblich in den ökologischen Zusammenbruch treibt. Wie können wir unsere Fähigkeiten nutzen, um diese beiden Formen der Verflechtung – die natürliche Verflechtung der Erde und unsere technologische Verflechtung – miteinander in Einklang zu bringen, so dass sie synergetisch und nicht gegensätzlich wirken?
JB: Die Ausbreitung einer regenerativen Kultur folgt der Erkenntnis, dass die menschliche Kultur ein lebendiges, sich entwickelndes System ist, das Teil der Erde ist. Wir können lernen, wie kulturelle Evolution funktioniert und uns dessen bewusst werden, und dann können wir unseren evolutionären Prozess steuern.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben. Letztes Jahr begann ich den Prozess der Auflösung meiner Ehe. In diesem Prozess fand ich Zuflucht und Heilung in der Verbindung mit dem Land. Ich arbeitete an der Wiederaufforstung und schuf Wasserrückhaltesysteme. Ich erlebte meinen Schmerz, meine Einsamkeit und meine Traurigkeit, indem ich mich mit dem Land verband. Und ich war überrascht, als ich entdeckte, dass ich mich mit dem Land auf die gleiche Weise verbinden kann wie mit einem geliebten Menschen. Ich kann Intimität, Verletzlichkeit, Freude und Verbundenheit empfinden, aber es war keine rein zwischenmenschliche Beziehung. Es war eine menschliche Beziehung zur Erde. In diesem Prozess begann sich meine Vorstellungskraft zu verändern. Ich begann zu erkennen, dass ich mich tief und innig mit der Erde verbinden kann. Ich kann die Lebendigkeit der Erde spüren, wenn ich den Boden und das Wasser wiederherstelle, es ist eine menschliche Fähigkeit, sich mit dem Land zu verbinden.
Das ist sehr kraftvoll, weil es uns zeigt, dass wir die kulturelle Evolution erleben können, während sie stattfindet. Ich erlebte, dass sich meine Beziehungen veränderten, dass sich mein Sinn für Intimität erweiterte und weiterentwickelte. Um meinen Schmerz über das Ende meiner Ehe zu heilen, verband ich mich mit dem Land als Liebender. Man könnte sagen, dass ich meinen eigenen Evolutionsprozess gesteuert habe. Wenn wir uns bewusst werden, dass sich die Elemente unserer Kultur – zum Beispiel die Art und Weise, wie wir Intimität verstehen und erleben – evolutionär entfalten, können wir die kulturelle Evolution lenken und bewusst gestalten. Auf diese Weise können wir den Kontext für die Entstehung regenerativer Kulturen schaffen.
¬ IN EINEM PLANETAREN BEWUSSTSEIN ERKENNEN WIR, DASS WIR UNS BEIDE AUF DERSELBEN ERDE BEFINDEN, NUR AN VERSCHIEDENEN ORTEN. ¬
Die Geburt einer neuen Kultur
e: Die Geburt einer regenerativen Kultur scheint sich in Ansätzen zu vollziehen. Wo sehen Sie Ausdrucksformen dieser Kultur?
JB: Vor über einem Monat fand in Barichara, Kolumbien, eine Veranstaltung statt, bei der wir auch Menschen aus der Web3- oder Krypto-Szene einluden. Bei Web3 und Krypto geht es darum, wie wir digitale Werkzeuge so nutzen können, dass wir Inhalte erstellen und sie gemeinsam besitzen und verwalten können. Während dieser Veranstaltung erlebten wir die Manifestation einer neuen Welt, in der tief verwurzelte, indigene schamanische Praktiken dieses Ortes in Kolumbien in gegenseitigem Respekt miteinander kommunizieren und gemeinsam mit den Schöpfern digitaler Werkzeuge aus der Web3-Szene neue globale Strukturen der Vernetzung schaffen.
Ich sehe, dass es überall auf der Welt Menschen gibt, die ein Gefühl für regenerative Kultur entwickeln. Sie haben verschiedene Ebenen des Verständnisses und der Klarheit darüber, was eine regenerative Kultur ist, aber sie fühlen diese Möglichkeit und verbinden sich zunehmend mit einem Ort. Indem sie sich mit dem Ort verbinden und gleichzeitig planetare Kommunikationssysteme gestalten, können sie Ressourcen und Wissen teilen.
Wir sind in der Lage, Geld aus der globalen Welt zu generieren, um lokale Projekte zu unterstützen. Wir können die lokale Verwaltung dieser Projekte kultivieren und dies mit den Experten der digitalen Welt global vernetzen. Die Web3-Experten arbeiten mit uns zusammen, um uns zu zeigen, wie wir diese digitalen Werkzeuge nutzen können, was wiederum die Entwicklung dieser digitalen Möglichkeiten beeinflusst.
Ich sehe die Entstehung einer regenerativen Kultur an vielen Orten, an denen die extraktive Kultur stirbt. Es ist ein Kompostierungsprozess. Die Menschen werden sich bewusst, dass dies geschieht, wodurch sie diesen Prozess mitgestalten können. Und ich hoffe, dass die Menschen in den nächsten drei bis fünf Jahren erkennen werden, wie sehr wir bereits Teil von Landschaften sind, und dass sie sich in Bioregionen organisieren, die planetar zusammenarbeiten.