Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
July 18, 2019
Zum Leben Geld zu brauchen, ist heute kulturelle Normalität. Doch immer mehr Menschen suchen nach Alternativen, die ihren Alltag von der Dominanz des Geldes befreien. Manche dieser Ausbruchsversuche zeigen vor allem, wie tief wir tatsächlich in die Logik des Geldes verstrickt sind. Andere machen Mut, an die Stelle gewohnter Geldbeziehungen wieder mehr echtes menschliches Miteinander zu setzen.
I ch war etwa zehn Jahre alt, als mein Leben mit Geld begann. Statt mir Woche für Woche ein paar Münzen in die Hand zu drücken, richteten mir meine Eltern ein Taschengeld-Konto ein. Ich sollte lernen, wie man mit Geld umgeht, als Vorbe - reitung auf das »richtige« Leben. Wenn ich ein Spielzeug wollte oder Comic-Hef - te, ging ich an den Bankschalter und hob ein paar Mark ab. Das gab mir ein Gefühl von Unabhängigkeit, und bei jeder Transaktion, die ich tätigte, fühlte ich mich sehr erwachsen. Obwohl ich damals nicht bewusst darüber nachdachte, war irgendwie klar: Ich würde irgendwann mein eigenes Geld verdienen, um mein eigenes Leben zu leben. Intuitiv erkannte ich, dass das Geld der Schlüssel zu vielem war, was spä - ter kommen würde.
Götz Werner, einer der ersten Vorreiter des Grundeinkommens, weist gerne darauf hin, wie sehr wir uns in diese Selbstverständlichkeit verrannt haben, die letztlich das Geld zwischen uns und unser Leben stellt. Er sagt: »Weil ich ein Mensch bin, habe ich ein ganz grundlegendes Menschenrecht. Mein Menschenrecht ist zu leben. Und erst wenn ich leben kann, kann ich auch arbeiten.« Unsere kulturelle »Normalität« sagt etwas anderes. Als ich in der Pubertät miese Noten nach Hause brachte, war der Tenor der besorgten Predigten meiner Eltern: So ruinierst du dir dein Leben, weil du ohne gute Ausbildung später kaum Geld verdienen wirst.
Wie sehr das Leben am Geld hängt, spürte ich während meines Studiums, als ich meinen Job verlor. Plötzlich konnte ich es mir nicht mehr leisten, mit Freunden in die Kneipe oder ins Kino zu gehen. Ohne Arbeit hatte ich viel freie Zeit, doch vieles von dem, was ich hätte tun können, brauchte als Initialzündung etwas Geld. Für mich war das eine Herausforderung, aber keine Bedrohung, denn für das wirklich Notwendige kamen meine Eltern auf. Wenn man seine Miete nicht mehr zahlen kann oder der Kühlschrank leer bleibt, sieht das anders aus. Gegenwärtig müssen weltweit zehn Prozent aller Menschen von weniger als zwei Dollar pro Tag leben. In Deutschland sind knapp 20 Prozent der Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. Wie konnte es so weit kommen, dass wir eine Lebensrealität geschaffen haben, in der so viele Menschen ohne Geld nicht mehr für sich sorgen können?
IN INDIGENEN KULTUREN WAR ES NOCH NATÜRLICH, »MIT DER EIGENEN HÄNDE ARBEIT« IM WECHSELSPIEL MIT DER NATUR DEN LEBENSUNTERHALT SICHERZUSTELLEN.
Als Kulturanthropologin kommen mir indigene Kulturen in den Sinn, in denen es noch natürlich war, »mit der eigenen Hände Arbeit« im Wechselspiel mit der Natur und unterstützt von den Mitgliedern des eigenen Stammes den Lebensunterhalt sicherzustellen. Sobald Geld ins Spiel kommt, ändert sich dieses Leben dramatisch. Die Agta im Norden der Philippinen sind zum Teil noch heute Jäger und Sammler. Doch die Abholzung ihres Territoriums hat die natürlichen Ressourcen dramatisch dezimiert. Wo es nicht mehr genug zum Jagen gibt, sind viele Agta gezwungen, sich als Tagelöhner auf den Feldern anderer zu verdingen oder Peddigrohr zu schneiden und zu verkaufen. In nur wenigen Jahrzehnten ist ihnen ihre Lebensgrundlage aus den Händen geglitten und ihr Leben wurde zum Überlebenskampf. Sie können nicht mehr für sich selbst sorgen. Wie sie leben können, hängt nun vom Peso ab.
Die ökonomischen und ökologischen Verwerfungen zersetzen auch das soziale Miteinander der Stämme – Totschlag ist bei den Agta die dritthäufigste Todesursache. Geld und die Begehrlichkeiten, die es weckt, haben eine intakte Kultur innerhalb weniger Jahrzehnte zerrissen und unzähligen Menschen die Möglichkeit genommen, ihre Existenz zu sichern. Das Geld schafft Abhängigkeiten und es entzweit.
Aus dem Blickwinkel moderner Dienstleistungs- und Digitalwirtschaften mag dieses Beispiel zu archaisch anmuten, um unser Hier und Heute besser zu verstehen. Doch westliche Gesellschaften sind durch einen ähnlichen Transformationsprozess gegangen. Im 19. Jahrhundert strömten Millionen in die Städte, weil sie als Besitzlose auf dem Land kein Auskommen mehr fanden. Auf dem Höhepunkt der Industriellen Revolution schufteten sie bis zu 80 Stunden in der Woche in den Fabriken. Die Güter, die sie herstellten, konnten sie sich selbst kaum leisten, und ihre Teller blieben häufig leer. Es war ein Mangel an Alternativen, der sie in eine Lebensweise trieb, die zwischen die existenziellen menschlichen Bedürfnisse und deren Befriedigung das Geld stellt. Und es war das Versprechen, am wachsenden Wohlstand einmal teilzuhaben, das sie irgendwann nicht mehr zurückschauen ließ.
Doch dieses Versprechen des Kapitalismus und seiner Geldwirtschaft erfüllt sich nicht für alle und es stößt an seine Grenzen. In China gehören erst gut zehn Prozent der Bevölkerung zur Mittelschicht. Gut die Hälfte davon sind Millennials, die nach 1980 geboren wurden. Sie wachsen gerade erst hinein in ein Leben, das von Geld getragen wird. In den reifen Industrienationen dreht sich der Wind schon wieder. Kürzlich zeigte eine OECD-Studie, dass es seit Jahrzehnten schwieriger wird, einen Platz in der finanziellen Mitte der Gesellschaft zu finden. In der Boomer-Generation der Nachkriegszeit gehörten noch 70 Prozent der Mittelschicht an, unter heutigen Millennials sind es nur noch 60 Prozent. Wo Geld weniger greifbar wird, lässt sich seine vermeintliche Natürlichkeit leichter hinterfragen. Vor allem in der jüngeren Generation entwickelt sich in jüngster Zeit ein Trend, Lebensmodelle zu kreieren, die dem Geld weniger unterworfen sind.
In Zeitschriften und auf Blogs stolpere ich immer häufiger über Berichte von Menschen, die ausprobieren, wie sie die Abhängigkeit ihres Lebens vom Geld reduzieren können. Diese »Frugalisten« verzichten auf große Wohnungen oder ein Auto, um weniger Lebenszeit dem Gelderwerb widmen zu müssen. Sie pflanzen Gemüse auf dem Balkon, um sich den Gang an die Supermarktkasse zu sparen. Sie kochen selbst, weil das die Lebenshaltungskosten drastisch senkt. Und sie kaufen Kleider oder was sie sonst für ihr bescheidenes Leben brauchen in Secondhand-Läden, um aus dem Kreislauf, immer mehr verdienen zu müssen, auszubrechen. Es geht ihnen um Selbstbefreiung.
»Als ich vor sechs Jahren die Frugalisten-Philosophie für mich entdeckte, änderte sich nicht nur meine Einstellung zum Geld. Auch in anderen Lebensbereichen hatte ich zuvor oft gesellschaftliche Vorstellungen übernommen. Viele Dinge machte ich einfach so, weil man das eben so macht«, erzählt Oliver Noelting aus Braunschweig. Der 30-jährige Softwareentwickler entschloss sich, nur in Teilzeit zu arbeiten, fährt Fahrrad statt Auto und lebt mit seiner Partnerin in einer kleinen, mit dem Notwendigsten ausgestatteten Wohnung. Den Leser*innen seines Frugalisten-Blogs zeigt er, wie sie Seife selber machen können oder online die besten Schnäppchen finden. So lässt sich Geld auf Distanz bringen.
Die Minimalisten mögen wenig Geld ausgeben. Beim Lesen ihrer Erfahrungsberichte fällt mir allerdings auf, dass sie permanent mit Geld beschäftigt sind. Unzählige Blogeinträge kreisen um Sparraten und Berechnungen, wo man seine Kosten noch um ein paar Euro senken kann. Vielen geht es auch darum, das Geld, das sie verdienen und zum größtmöglichen Teil sparen, so effizient wie möglich zu vermehren. Inspiriert wird diese Investment-Orientierung durch die FIRE-Bewegung in den USA. FIRE steht für »Financial Independence, Retire Early« (finanzielle Unabhängigkeit und einen frühen Ruhestand). Ihr großer Vorreiter ist Pete Adeney, der als Mr. Money Mustache bloggt. Er setzte sich vor 14 Jahren mit gerade einmal 30 Jahren zur Ruhe. Ein immer schon genügsamer Lebensstil und ein gutes Einkommen hatten es ihm ermöglicht, genügend Geld zur Seite zu legen, um durch clevere Investments von den Erträgen seiner Ersparnisse leben zu können. »Da ist keine Magie im Spiel oder ein besonderes Risiko oder Hoffnung, das ist reine Mathematik«, sagt er nüchtern.
Hier tritt die dunkle Seite des Frugalismus zutage. Zugunsten des Sparens kaufen viele FIRE-Fans lieber beim Discounter, als für zu fairen Löhnen hergestellte Produkte tiefer in die eigene Tasche zu greifen. Bei ihren Geldanlagen schielen sie vor allem auf Rendite und klammern aus, dass letztlich immer irgendwer die Zeche zahlt. »Geldschnurrbart« Florian Wagner erklärt etwa auf seinem Blog, wie er auf einer Plattform für Privatkredite zwölf Prozent Rendite erzielt hat. »Die Kreditnehmer bezahlen teilweise bis zu 100 Prozent Zinsen pro Jahr. Da sie den Kredit jedoch beispielsweise nur für einen Monat in Anspruch nehmen, fallen die Zinsen nicht groß ins Gewicht«, meint er. Der hohe Gewinn für ihn wird möglich, weil andere Menschen so in finanzieller Bedrängnis sind, dass sie diesen Wucher in Kauf nehmen müssen. Hier zeigt sich, wie Geld zu einer menschenverachtenden Beziehungslosigkeit führt. Die Agta nehmen sich heute aus Wut und Aussichtslosigkeit gegenseitig das Leben. Wenn ich am Computer sitze und Geld investiere, bekomme ich das, was meine Transaktionen für andere bedeuten, nicht zu Gesicht. Doch was für mich ein guter Deal sein mag, kann für andere und ihr Leben brutale Folgen haben.
Wo ich diese Beziehungen hinter dem Geld nicht sehen kann, vergesse ich leicht, wie sehr mein eigenes Leben immer mit dem Leben anderer verbunden ist. »Es ist ein Irrglaube, man arbeite für sich und lebe von seinem geldlichen Einkommen. Das Einkommen entsteht nicht durch meine Arbeit, sondern dadurch, dass andere eine Leistung für die Gemeinschaft durch ihre Gegenleistung – vorübergehend durch das dazwischentretende Geld – honorieren. Ich kann von meinem Einkommen nicht leben – es sei denn, ich esse Euro-Scheine oder Kreditkarten. Ich bin darauf angewiesen, dass andere für mich arbeiten und konsumfähige Güter und Dienstleistungen herstellen, sodass ich Brot, Milch, Eier, Zucker oder Käse kaufen kann«, erklärt Götz Werner. Wenn ich ausschließlich in Geld denke, blende ich diese Wechselseitigkeit aus.
IM MITEINANDER WIRKLICHER BEGEGNUNGEN MACHEN MENSCHEN SICH WIEDER BEWUSST, WAS SIE ZUM LEBEN TATSÄCHLICH BRAUCHEN UND WEM SIE ES VERDANKEN.
Mich berührt es, dass diese menschlichen Beziehungen, die unmittelbar dem Leben dienen, heute eher dort wachsen, wo das Geld schmerzlich fehlt. Die Initiative der Tafeln beispielsweise gibt Menschen, die aus den geldvermittelten Beziehungssystemen herausgefallen sind, was sie zum Leben brauchen. Nahrungsmittel, die für jene, denen sie gehören, keinen Geldwert mehr besitzen, werden hier vom Abfall wieder zum Lebensmittel. Was sich hier entwickelt, ist mehr als die Bekämpfung von Armut. Die Tafeln sind heute ökologisch gesehen sogar Vorreiter inmitten der Verschwendungsgesellschaft. Menschen, die sie nutzen, empfinden dies zwar oft als entwürdigend, weil sie keine Wahl haben und sich ihrer Autonomie beraubt fühlen. Und doch stiften die Tafeln Beziehungsräume, in denen von Menschen Geschaffenes anderen Menschen zugänglich wird. In der Abwesenheit des Geldes erblühen reale Werte, die dem Leben und seinem Zusammenhalt wieder dienen. Wenn wir das mehr würdigen, verliert auch ein Leben, in dem es an Geld mangelt, seine Würde nicht.
Auch in der »Solidarischen Landwirtschaft« entstehen neue Werte- und Beziehungsgemeinschaften. Bauern, die vom »Markt« nur in der abstrakten Rolle der Produzenten wahrgenommen werden und immer seltener Preise erzielen, die ihnen ein auskömmliches Leben erlauben, treten hier in direkten Kontakt zu denen, die die Früchte ihrer Felder kaufen. Im Miteinander dieser wirklichen Begegnungen machen Menschen sich wieder bewusst, was sie zum Leben tatsächlich brauchen und wem sie es verdanken. In Kontexten wie diesen rückt das Leben als das Wesentliche wieder in den Vordergrund und es entstehen echte Beziehungen, die es tragen.
Lichtblicke wie diese finde ich ermutigend, weil sie dazu anregen, die Bedeutung, die Geld für unser Leben hat, gemeinsam zu verändern. Echte Beziehungen sind ein wichtiges Moment dabei. In ihnen kommt uns eine Lebendigkeit entgegen, die Geld an sich niemals haben wird. Und sie ist es, die unser menschliches Potenzial immer wieder aufs Neue weckt. Wir können uns bewusst werden, wo das, was wir denken und tun, eher vom Geld getrieben wird. Und wir können unseren tieferen Wünschen und Hoffnungen mehr Aufmerksamkeit schenken. Wie wollen wir leben und wie können wir einander dabei unterstützen? Wenn ich mich das frage, verliert das Geld etwas von seiner Macht und ich beschäftige mich wieder mehr mit dem, um das es vor allem geht – dem Leben.