Im Spektrum: Es gibt eine Alternative

Our Emotional Participation in the World
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Kolumne
Published On:

November 2, 2021

Featuring:
Amanda Janoo
Dr. Daniel Christian Wahl
Ken Webster
Silke Helfrich
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Ausgabe 32 / 2021:
|
November 2021
Der Markt
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Oft wird Politikerinnen und Ökonomen erklärt, es gäbe einfach keine Alternative zum »freien Markt« als Organisationsprinzip unserer Wirtschaft. Aber ist dem so? Wäre es nicht möglich, unsere wirtschaftlichen Beziehungen ganz anders zu strukturieren und zu beleben? Auf der Suche nach einer Alternative haben wir vier Denkerinnen und Aktivisten, die sich mit dem Thema Ökonomie beschäftigen, gefragt:

Was kommt nach dem Markt?

Daniel Christan Wahl

Der sogenannte freie Markt ist alles andere als frei. Er ist reguliert von einem extrem verschachtelten Netzwerk von internationalen Abkommen durch Institutionen wie die World Trade Organization, den International Monetary Fund und die World Bank. Subventionen, von denen global gesehen immer noch mehr als 80 Prozent der jährlich fließenden Unsummen in fossilen Brennstoffen, konventioneller Landwirtschaft und anderen nicht zukunftsfähigen Industrien und Technologien stecken, tragen zusätzlich dazu bei, dass kein faires Spielfeld für lokal und regional verwurzelte Firmen geschaffen wird. Im Rahmen der wirtschaftlichen Globalisierungswelle der neunziger Jahre wurden so Bedingungen geschaffen, die es großen multinationalen Firmen einfach gemacht haben, kleine regionale oder mittelständige Betriebe entweder in die globale Expansion oder in Übernahme und Ruin zu treiben.

Nachhaltige und regenerative Ansätze sind aus der Einzigartigkeit einer Bioregion und ihrer Bewohner geboren. Sie schaffen regional und lokal Resilienz durch die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe und regionaler Produktion für regionalen Konsum. Eine wirklich freie und regenerative Marktwirtschaft würde aufgrund ihres lokalen und regionalen Schwerpunktes die systemische Gesundheit ihrer Gemeinden und Ökosysteme als Basis jeglicher Wertschöpfung verstehen. Bioregional orientierte, regenerative Kulturen werden durch regional orientierte Wirtschaftskreisläufe dabei unterstützt, soziale, ökologische und wirtschaftliche Synergien zu schaffen, die dem Wohl von Menschen und der weiteren Gemeinde des Lebens an einem Ort dienen. 

Daniel Christan Wahl, Berater für nachhaltige Veränderung für Regierungsbehörden, Nichtregierungsorganisationen und Firmen, Autor des Buches »Designing Regenerative Cultures«, das bald auf Deutsch erscheinen wird.

Ken Webster

Welcher Markt? Wir ertragen einen Markt, der »frei für alle« ist (dabei ignorieren wir die Macht unterschiedlicher Akteure) und der zu einem »Rentenkapitalismus« geführt hat. Unverdienter Überschuss aus Monopolen, geistigem Eigentum, Technologieplattformen, dem Besitz von Vermögenswerten wie Immobilien, Aktien, Anleihen und Krediten ist nicht das, was ein Markt bedeuten sollte. Das ist subtrahierter Wert, ein Overhead, der so viel kostet, dass jahrzehntelang ein geringes Wachstum eingeplant ist.

Wirtschaftliche und ökologische Gerechtigkeit, eine regenerative, produktive Wirtschaft in allen Größenordnungen folgt durch Neugestaltung: Einziehung wirtschaftlicher Renditen durch Gebühren und deren Verteilung als Dividende. Zum Beispiel die Erhebung des realen Preises für Kohlenstoff und die Rückführung der Gebühren als Dividende an die Bevölkerung als »Mitverantwortliche« der Atmosphäre. Auf diese Weise werden die Armen für höhere Energiepreise entschädigt, so der Schriftsteller James Boyce, und ein Teil des Klimaproblems wird angegangen. Wenn dies über eine treuhänderische Stiftung (eine unabhängige Institution für die Erhebung und Verteilung) geschieht, schafft es Vertrauen im rechten und linken politischen Spektrum. Alle Arten von eingeschlossenen Gemeingütern – Finanzinfrastrukturen, Land, Mineralien – können auf diese Weise behandelt werden. Fügen Sie der Idee des unternehmerischen Staates einige Antikorruptionsregeln hinzu und heißen Sie einen Markt willkommen, der innerhalb ökologischer Grenzen arbeitet, auf ökonomischer Sicherheit beruht und über eine dezentrale Lebendigkeit verfügt, die »frei und fair für alle« ist.

Ken Webster, 2010 bis 2018 Leiter der Innovationsabteilung der Ellen MacArthur Foundation, einer Pionierorganisation der Kreislaufwirtschaft, derzeit Direktor der Internationalen Gesellschaft für Kreislaufwirtschaft (IS4CE).

Silke Helfrich

Was nach dem Markt kommt? Merkwürdige Frage. Ist ein Markt nicht wunderbar? Man geht dort hin, um zu besorgen, was man braucht oder feilzubieten, was man produziert hat. Marktplätze sind vielfältig und ein kommunikativer Ort. Die Frage ist doch: Was kommt nach der Marktwirtschaft, dieser Schlacht um Marktlücken und Marktanteile, um Dominanz und gegenseitige Verdrängung? Dann wäre meine Antwort: Ein Wirtschaften, das konsequent danach fragt, was wir zum guten Leben brauchen. Wie können wir so wirtschaften, dass wir nicht auf Kosten anderer oder der Natur produzieren? 

Etwa, indem wir verteilte Infrastrukturen für ein selbstbestimmtes Wirtschaften aufbauen und staatlich fördern. Das wäre sinnvoller als Infrastrukturen, die sich von (Wachstums-)Kennzahlen und dem Weltmarktgeschehen jagen lassen. Noch eine Auto- oder Landebahn. Noch eine Elbvertiefung. Noch eine Schlüsseltechnologie in unserem (!) Land. In der Wirtschaft der Zukunft wird das Wichtigste nicht mehr als Ware be- und gehandelt. Boden wird der Spekulation entzogen und als Allmende gesichert. Das verbilligt Wohnraum, Büroflächen und Landnutzung. Wissen wird großzügig weitergegeben und als Gemeingut geschützt. Dann können (Bau-)Pläne, Designs, Software, Datenbanken und mehr global geteilt werden. Niemand muss das Rad neu erfinden, nur weil wir gegeneinander konkurrieren. Auch uns selbst können wir schrittweise dem Arbeitsmarkt entziehen. Maximal 20 Stunden fremdbestimmt arbeiten, mehr Zeitsouveränität gewinnen und diese der gegenseitigen Fürsorge widmen, das tut dem Selbst und anderen gut. Und es öffnet Raum für Fragen wie: Was wird wirklich gebraucht? Was stiftet Sinn? Was macht glücklich? Und was ist wirklich zukunftsfähig? Mehr Handarbeit (sic!) in der Landwirtschaft? Mehr Fußarbeit in Verkehr und Logistik? Auf alle Fälle mehr Kopfarbeit im Ersinnen von Wirtschaftsformen, in denen wir die Produktionsrisiken nicht auf die Natur und andere abwälzen, sondern gemeinsam tragen; das Produzieren und Regenerieren wirklich zusammendenken, statt ins Private oder den Naturschutz zu verschieben. In diesem Wirtschaften werden Entscheidungen darüber, was wofür wie produziert wird, umfassend demokratisiert und nicht der Wirtschaftspolitik oder den CEOs überlassen. 

Silke Helfrich, Autorin, Forscherin und Aktivistin zu Commons/Gemeingütern, Mitinitiatorin des Netzwerks Oekonomischer Wandel (NOW) sowie Mitgründerin des Commons-Institut e. V. Mit David Bollier Autorin von »Frei, Fair und Lebendig. Die Macht der Commons«.

Amanda Janoo

Ich glaube, dass es immer Märkte geben wird, denn sie sind Räume und Gelegenheiten für Verbindungen und Austausch. Was sich jedoch ändern wird, ist die Motivation, die diesem Marktaustausch zugrunde liegt. Gegenwärtig geht man in der Wirtschaftswissenschaft davon aus, dass alle Menschen an einem Marktaustausch teilnehmen, um einen Gewinn zu erzielen. Das bedeutet: Sie versuchen, eine Ware oder Dienstleistung teurer zu verkaufen, als sie es wert ist, oder eine Ware oder Dienstleistung billiger einzukaufen, als sie es wert ist. In einem solchen Marktsystem gehen wir Transaktionen mit dem Ziel ein, mehr zu nehmen als wir geben, oder auf Kosten anderer zu profitieren. 

Was nach einem solchen Marktsystem kommt, ist eine Wirtschaft mit einem anderen Ziel. Eine Wirtschaft, die nicht darauf ausgerichtet ist, den Wohlstand zu maximieren, sondern das Wohlergehen. Wenn das soziale und ökologische Wohlergehen zu unserem Ziel und unserem Erfolgsmaßstab wird, werden unsere Tätigkeiten als Betreuende, Erziehende, Geschichtenerzählende und Hüterinnen der Erde für ihren wahren Wert geschätzt werden. Dann werden wir von Nehmenden zu Empfangenden all der unglaublichen Geschenke, die wir von unserer Gesellschaft und Mutter Natur erhalten und die für unser Wohlergehen entscheidend sind. Wir werden von Besitzern und Konsumenten zu Betreuenden und Schöpfern und werden unsere Zeit, Energie und Kreativität dafür einsetzen, den Menschen und dem Planeten so viel zurückzugeben, wie wir erhalten. 

Unser derzeitiges Marktsystem ist ausschließlich auf Wachstum festgelegt, obwohl wir dringend ein Gleichgewicht brauchen. Die Märkte der Zukunft werden Räume sein, die das Beste und nicht das Schlechteste in uns fördern. Wo wir nicht als egoistische, wettbewerbsorientierte Individuen auftreten, sondern als reife Menschen, die der Welt ihre Gaben anbieten und durch diese Transaktionen die Verbindung, den Sinn und das Vertrauen erhalten, die wir für unser Gedeihen und Wohlbefinden brauchen.

Amanda Janoo, Knowledge and Policy Lead bei der Wellbeing Economy Alliance (WEALL). Zuvor arbeite sie für die Vereinten Nationen und die Afrikanische Entwicklungsbank als Expertin für Industriepolitik und Strukturwandel. 

Author:
evolve
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