Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
October 24, 2022
Lonneke Gordijn gründete gemeinsam mit Ralph Nauta das Studio DRIFT. Das Duo erschafft mit Licht, Objekten, Bewegung und Technologie interaktive Raum-Installationen und Open-Air-Situationen, die sich oft an natürlichen Rhythmen, wie dem Schwarmverhalten der Vögel, orientieren. Wir sprachen mit Lonneke Gordijn über die Entstehung ihrer Werke, die oft jahrelange Forschungs- und Entwicklungsarbeit erfordern.
evolve: Wie seid ihr dazu gekommen, als Studio DRIFT zu arbeiten?
Lonneke Gordijn: DRIFT entstand aus einer Synergie von Ralph und mir und ist ein Ausdruck unserer Sicht auf die Welt. Und es ist eine Manifestation unserer Wünsche. Wir schaffen ideale Situationen, in denen jeder Konflikt beseitigt ist, in denen alles Sinn macht, in denen alles im Gleichgewicht ist, denn das vermissen wir in unserem täglichen Leben.
Wir haben beide 2005 unseren Abschluss gemacht und zunächst getrennt gearbeitet, aber uns gegenseitig geholfen. Dabei haben sich unsere Projekte mehr und mehr miteinander verwoben. Nach ein paar Jahren haben wir viele verschiedene Projekte mit Bewegung, Licht und Technologie konzipiert. Durch unsere Arbeit schaffen wir eine Situation, die das Verhalten von Menschen im Raum verändert. Wir wollen die Natur des Menschen ansprechen und kommunizieren daher auf einer emotionalen und nicht so sehr auf einer intellektuellen Ebene.
Bewegung im Raum
e: Ihr versucht also, mit euren Werken eine bestimmte Art von Harmonie oder Sinnhaftigkeit zu vermitteln?
LG: Ja, es ist eine Vermittlung von Sinnhaftigkeit. Wir schaffen eine Situation, und fast immer spielt Bewegung dabei eine Rolle. Manchmal sind es nur die Lichter, die sich bewegen, manchmal sind es auch Objekte. Bewegungen erregen unsere Aufmerksamkeit, wir reagieren darauf ganz natürlich. Wir nutzen diese Bewegung, um uns mit den natürlichen Rhythmen zu verbinden, die wir auch erleben, wenn wir ans Meer fahren oder in den Bergen wandern. Wir fühlen uns als Teil einer größeren Landschaft, wobei die Landschaft die Geschwindigkeit vorgibt. In der Stadt erleben wir ein Tempo, das dem Menschen nicht wirklich entspricht. Wir hoffen also, mit unseren Arbeiten dazu beizutragen, dass man sich wieder als Teil von etwas Größerem fühlen kann, als Teil des gesamten Systems dieses Planeten.
e: Ihr erzeugt natürliche Rhythmen und Bewegungen mit technischen Mitteln. Wie greifen Natur und Technik in eurer Arbeit ineinander?
LG: Technik ist immer eine Abstraktion der Natur. Wenn man sich die technologische Entwicklung seit der Frühzeit ansieht, geht es immer um etwas, das bereits in der Natur vorhanden ist und das wir beschleunigen oder vergrößern wollen. Selbst das Internet und die Art und Weise, wie darin Wissen ausgetauscht wird, ähnelt den Funktionen unseres Gehirns. Durch die Technologie unterscheiden wir uns von den Tieren, trennen uns aber auch von einem Leben im Einklang mit der Natur.
¬ DURCH UNSERE ARBEIT SCHAFFEN WIR EINE SITUATION, DIE DAS VERHALTEN VON MENSCHEN IM RAUM VERÄNDERT. ¬
Wir sind begeistert von der Technologie, denn es ist ganz natürlich, sich weiterentwickeln zu wollen. Die Evolution ist der Sinn von allem, was lebt. Und so ist es auch unser persönliches Ziel, uns weiterzuentwickeln, uns mit neuen Impulsen zu beschäftigen und zu versuchen, Dinge zu verbessern. Wir nutzen Technologie, um die Natur besser zu verstehen. Die Entwicklung unserer Arbeit erfordert lange Prozesse der Technologieentwicklung. Durch diese intensive Beschäftigung erhalten wir Einblick in die Funktionsweise dieser Welt.
Ständiger Wandel
e: Versucht ihr, Natur und Technik in eine Harmonie zu bringen?
LG: Ich denke, wir sollten Technologien entwickeln, um die Natur zu unterstützen. Stattdessen entwickeln wir Technologien, um uns von der Natur abzugrenzen und sie besser kontrollieren zu können. Mit unseren Städten, unseren Fabriken und unserem Wirtschaftssystem haben wir eine Parallelwelt geschaffen, die nichts mehr mit dem natürlichen Planeten zu tun hat, von dem wir stammen. Es ist eine völlig abgetrennte Welt entstanden – mit ganz anderen Geschwindigkeiten, anderen Prozessen. Und viele Menschen fühlen sich in diesem von uns geschaffenen System gefangen, weil es keine Veränderungen zulässt. Alles dreht sich um Kontrolle, während sich in einer natürlichen Umgebung ständig alles verändert. Man weiß nie, was als Nächstes kommt. Und das ist Ausdruck von Lebendigkeit. Aber wir haben uns in einem Leben eingerichtet, in dem wir alles planen und kontrollieren wollen.
Eine der Fragen, die ich mit unserer Arbeit stellen möchte, lautet: Wie können wir Veränderung und Wandel wieder akzeptieren und sie sogar in unser Leben einladen? Wie können wir in den Systemen, die wir aufbauen, flexibler werden? Wie schaffen wir Systeme, die auf den Planeten antworten können?
e: Wie kommt ihr auf die Ideen für eure Kunstwerke? Wie gestaltet sich der künstlerische Prozess, ein Thema zu finden und es umzusetzen?
LG: Sehr oft geht es darum, eine Verbindung zwischen Elementen herzustellen, die man vorher nicht gesehen hat. So arbeiten wir zum Beispiel mit den Schwarmmustern von Vögeln. Zunächst einmal ist das ein schönes Phänomen, das man einfach genießt. Aber dann fange ich an, Fragen zu stellen: Warum schwärmen diese Vögel? Was tun sie da eigentlich? Was löst ihre Bewegungen aus? Sind sie eigentlich frei? Können sie sich bewegen, wohin sie wollen? Müssen sie jemandem folgen? Gibt es einen Anführer? Tausende von Fragen. Und dann beginnen wir, den Vorgang zu verstehen und Antworten zu erhalten.
Wir entdecken eine Parallele zwischen diesem Vogelschwarm und unserem eigenen Leben: Manchmal haben wir die Kontrolle, manchmal nicht. Unser ganzes Leben besteht aus einer Reihe von Ereignissen und unseren Reaktionen darauf. Du könntest auch anders darauf reagieren. Und dasselbe gilt für den Vogel im Schwarm. Er könnte nach links oder nach rechts fliegen, wohin er will.
¬ WIR HOFFEN DAZU BEIZUTRAGEN, DASS MAN SICH WIEDER ALS TEIL VON ETWAS GRÖSSEREM FÜHLEN KANN.¬
Aber es gibt auch zu berücksichtigende Umstände, und die Entscheidung hängt davon ab, welches in diesem Moment die richtige Richtung ist. Und genauso agieren wir auch in unserem Leben. Ich liebe es, solche Parallelen zu entdecken. Solche Momente erlebe ich normalerweise, wenn ich etwas in der Natur beobachte. Ich kann es immer zu mir selbst in Beziehung setzen: »Hey, ich mache ja eigentlich das Gleiche.«
Die Essenz finden
e: In eurer Arbeit versucht ihr, diese natürlichen Prozesse zu verstehen und die Bewegung und Dynamik dahinter zu erkennen? Und dann einen Weg zu finden, dies in einem Kunstwerk wiederzugeben, das diese Bewegung oder diese Essenz überträgt oder kommuniziert?
LG: Ja, wir versuchen die Essenz einzufangen, die auch die Essenz in uns ist, und eine Installation zu schaffen, die diese Essenz kommuniziert. So kann sie zu einem sprechen, und man kann auf verschiedene Weise damit in Resonanz gehen. Nicht jeder zieht die gleichen Schlüsse, aber es setzt einen Denkprozess in Gang. Und das kann damit beginnen, dass man einfach langsamer wird, innehält und beobachtet. Es eröffnet Raum zum Nachdenken. Es geht nicht darum, etwas zu erklären oder zu sagen: »Das ist genau das, was es ist, und du musst es auf diese Weise sehen.«
e: Verfolgt ihr eine bestimmte Absicht, wie das Werk vom Betrachter wahrgenommen werden soll?
LG: Die Beziehung zu den Besuchern oder dem Publikum ist für uns sehr wichtig. Wir wollen diese Beziehung bewusst gestalten. Wir möchten, dass sie sich in diesem Raum anders fühlen. Wir wollen mit unserer Arbeit Zeit und Raum in den Köpfen der Menschen schaffen. Deshalb muss es ein Raum sein, in dem man mehr Zeit verbringen möchte, als es normalerweise erforderlich wäre, damit die Besucher sich erlauben, für einen Moment zu entschleunigen. Wir möchten ihnen einen Moment des Staunens schenken, sie aus ihrem gewohnten Rhythmus und ihren Denkmustern herausholen, damit sie plötzlich erkennen: ›Ich bin tatsächlich ein lebendiger Körper. Mein Körper hat das Bedürfnis, sich umzuschauen, inspiriert zu werden, zu staunen, in Beziehung zu treten.‹ Und vielleicht spüren sie, was ihr natürlicher Zustand ist.
Unser Körper passt sich automatisch den Bewegungen um uns herum an. Wenn wir also Bewegungen absichtlich so programmieren, dass sie uns beruhigen, beruhigen sie uns. Das gilt nicht nur für einen selbst, sondern auch für andere Menschen, das Publikum. Und so kann man eine Situation kreieren, in der eine viel stärkere Verbindung entsteht, weil man sich nicht nur mit dem Kunstwerk verbindet, sondern auch mit anderen, weil es alle in dieselbe Frequenz, in denselben Rhythmus bringt. Das schafft einen Moment, in dem man sich verbunden fühlt, der aber auch zu einer gemeinsamen Erinnerung wird. In unseren Ausstellungen reden Leute, die sich gar nicht kennen, miteinander. Man fühlt sich freier, weil man in diesem Moment stärker aufeinander ausgerichtet ist. Ich wünsche, wir würden alle ein bisschen mehr verstehen, wie unser Körper kontinuierlich auf andere Menschen und auf die Räume reagiert, in denen wir uns befinden, und auch auf die Umgebung, die wir erschaffen und nutzen. Denn bei größerer Achtsamkeit könnten wir dieses Gefühl der Verbundenheit stärken.
Algorithmen und Überraschung
e: Ihr arbeitet mit Technologie und Algorithmen, und ihr plant und orchestriert die Bewegung in euren Werken auf eine bestimmte Weise. Ich habe mich gefragt, welche Rolle die Überraschung, das unvorhersehbare Element spielt, mit dem Kunst arbeitet. Wie erlebst du die Spannung zwischen der Planung eines Kunstwerks und dem Element der Überraschung?
LG: Einige unserer Werke sind arrangiert, andere nicht. Algorithmen sind Systeme, die kontinuierlich mit Inputs gespeist werden und daraufhin unaufhörlich die Bewegungen generieren. Bei »Fly Lights« zum Beispiel, der Arbeit mit dem Schwarm, verwenden wir eigens entwickelte Algorithmen. Bei »Meadow«, auf dem Kopf stehenden Blumen, die von der Decke fallen und sich öffnen und schließen, verwenden wir ebenfalls Algorithmen, weil wir uns dem Thema Wiese als Gruppenverhalten nähern. Wiesen funktionieren als Kolonie und nicht als Individuen. Bei »Shy Lights«, den Lichtern, die sich auf und ab bewegen und sich dabei öffnen und schließen, gibt es bereits ein Überraschungsmoment. Sie durchqueren einen Ring und öffnen sich in einer bestimmten Bewegungssequenz. Wir haben das komplett durchchoreografiert, um dieses Gefühl des Staunens zu erzeugen. Dabei wird ein Zyklus kreiert, bei dem man nicht bemerkt, dass man wieder in dieselbe Situation zurückkehrt. Manche Arbeiten müssen choreografiert werden, um diese emotionale Verbindung herzustellen, nach der wir immer suchen. Wenn wir nichts spüren, wenn es uns nicht berührt, sind wir noch nicht fertig.
¬ VERBINDUNGEN SIND PRODUKTIV, SIE SCHAFFEN NEUES LEBEN. ¬
Bei »20 Steps« mit Glasflügeln, die sich in einer bestimmten Reihenfolge bewegen, verwenden wir ebenfalls einen Algorithmus. Aber dann entsteht auch noch zusätzlich die Reflexion der Lichter auf dem Glas. Das Glas bewegt sich und die Reflexion bewegt sich von selbst. Das ist ein natürliches Prinzip, das tatsächlich ein bestimmtes Gefühl auslöst, das nie durch Mechanik oder Technik verursacht wird. Die Interaktion schafft die Bedeutung.
e: Eines eurer Werke heißt »Tree of Ténéré«, das auch eine technologisch erzeugte Interaktion mit den Menschen auslöst. Wie seid ihr zu diesem Werk gekommen?
LG: Diese Arbeit ist nicht zu 100 % eine Arbeit von DRIFT. Als wir 2015 zum ersten Mal zum Burning Man, dem Festival in Nevada, reisten, lernten wir dort eine Gruppe von Leuten kennen, die dieses Werk eines riesigen Baumes schaffen wollten und uns fragten, ob wir ihnen bei der Programmierung der Bewegungen in den Blättern helfen könnten.
An diesem Projekt fanden wir sehr interessant, dass es ein Gefühl der Gemeinschaft und Einheit mit den Menschen rund um den Baum schuf. Der Baum wurde zu einem natürlichen Leuchtturm in der Wüste, er war Orientierungspunkt und Treffpunkt für alle. Menschen heirateten spontan unter dem Baum, es fanden dort Konzerte statt. Wir waren von der Wirkung dieses Baumes so beeindruckt, dass wir beschlossen, das Projekt gemeinsam mit den Menschen, die es initiiert hatten, weiterzuentwickeln, damit es über einen langen Zeitraum Bestand hat. Wir haben die letzten drei Jahre immer weiter daran gearbeitet und vor ungefähr einem Jahr das erste Werk in Dallas installiert.
Aus dem System ausbrechen
e: Es gibt auch einige Arbeiten von euch mit dem Titel »Drifters«, diese schwebenden Betonblöcke. Wie seid ihr darauf gekommen?
LG: Wir saßen in einem Flugzeug auf dem Weg zurück aus Moskau, das gerade abhob. Aus dieser Perspektive sieht man die unendlichen Mengen von Häuserblöcken. Und wir fragten uns: Warum ist alles ein Block? Warum fühlt es sich für uns so natürlich an, in einem Würfel zu leben? Warum haben wir die Städte aus Blöcken erbaut? Der Block wurde zum Ausdruck des menschlichen Systems. Der Block ist das ultimative System, aus dem man alles bauen kann, er ist ein Baustein. Blöcke lassen sich stapeln, berechnen, überblicken. Deshalb haben wir unsere Städte und Häuser so gebaut.
Und irgendwann hatte Ralph die Idee, wir könnten einen Betonblock herstellen und ihn aus dem System befreien. Was geschieht, wenn das System anfängt, lebendig zu werden und sich anders zu verhalten? Wir haben viele Jahre an der Entwicklung des Blocks gearbeitet und daran, wie man ihn schweben lassen kann. Und auf dem Weg dahin lernt man den Block besser kennen und erfährt, was er für einen selbst bedeutet.
Wenn man den Block auf den Boden stellt, ist er einfach nur ein Betonblock. Wir entwickeln keine Beziehung zu ihm, so wie wir keine Beziehung zu vielen Dingen um uns herum in der Stadt haben. Aber wenn er anfängt zu schweben, wird er plötzlich zu einer Persönlichkeit, zu einem Wesen. Man empfindet etwas für diesen Block. Es ist wirklich seltsam, wie sich das komplett verändert.
Und das hat uns zum Nachdenken darüber gebracht, warum wir in einer Klimakrise feststecken. Eine Antwort auf diese Frage ist, dass wir uns mit dem, was wir geschaffen haben, nicht verbunden fühlen. Vielleicht mögen wir dieses oder jenes Haus, aber grundsätzlich haben wir doch eine Welt geschaffen, für die wir nichts empfinden, also kümmern wir uns nicht um sie. Aber sobald man den Block belebt, beginnt man, eine Verbindung zu ihm zu spüren. Es stellt sich also die grundsätzliche Frage, wie wir die Verbindung zu allem, was wir nicht mehr sehen, wiederherstellen können.
e: Bei diesen Blöcken entsteht dieses Überraschungsmoment, und das katapultiert uns auch aus bestimmten Denkschablonen heraus.
LG: Aber auch aus dem Rahmen dessen, was wir für möglich halten. Wir glauben alle genau zu wissen, was möglich und was unmöglich ist. Natürlich sagen wir nicht, dass die Welt voller fliegender Betonklötze sein sollte. Aber wir wollen zeigen, dass wir tatsächlich eine Verbindung zu unserer Umgebung herstellen können. Solche Verbindungen sind extrem wichtig. Jede Verbindung ist auch eine neue Idee. Und wir müssen diese Ideen fördern, denn sie bringen uns voran und führen zu neuen Lösungen. Verbindungen sind produktiv, sie schaffen neues Leben. Es ist der Wunsch eines jeden Lebewesens, sich zu verbinden.