Aktivismus und Spirit gehören zusammen

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Published On:

July 19, 2018

Featuring:
Aaron Kaay
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Ausgabe 19 / 2018:
|
July 2018
Stadt & Land
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Experimentelle Räume mit Laborcharakter

Die Pyure-Crew versteht sich als Labor für gelebte, temporäre Utopien. Mitbegründer Aaron Kaay erklärt, warum junge Menschen sich heute nach einem tieferen Miteinander sehnen und wie sie auf dem Weg dahin spielerisch die Konventionen überschreiten.

Redekreis während eines Retreats im Wald.

evolve: Was ist dein Hintergrund, wie kamst du zur PYURE-Crew?

Aaron Kaay: Ich war lange als Aktivist in Frankfurt und Heidelberg in anarchistischen linken Kreisen aktiv. Dabei stieß ich auf das Thema »nachhaltiger Aktivismus«, weil so viele meiner MitstreiterInnen ausbrannten. Auch persönlich kam ich an meine Grenzen: Auf der einen Seite spürte ich die Lust und den Anspruch, etwas zu verändern, auf der anderen Seite machte ich immer wieder die schmerzhafte Erfahrung, daran zu scheitern.

Mit diesem inneren Zwiespalt ging ich in die Pyrenäen zu EcoDharma, einer buddhistischen Gemeinschaft und besuchte dort einen zehntägigen Kurs über nachhaltigen Aktivismus. Dabei entstand für mich die Verbindung zwischen politischem Engagement und Spiritualität. In der Antifa und der anarchistischen Szene, in der ich unterwegs war, gab es dies überhaupt nicht. Ich spürte sehr schnell, wie gut es mir tat, diese beiden Aspekte zu verbinden.

e: Aus diesem Impuls heraus hast du die PYURE- Crew mitbegründet. Was ist euer Anliegen mit diesem Projekt?

AK: Zweierlei Erfahrungswelten haben mich dazu inspiriert und bewegt, eine Crew ins Leben zu rufen. Ich spreche hier von mir, die Beweggründe der anderen PYUREis sind teilweise anders. Einen Ursprung hat die PYURE-Crew in meinen aktivistischen Erfahrungen. Es hat mich tief geprägt, gemeinsam, entschlossen und mutig für eine andere Welt zu »kämpfen«. Dazu kamen Erfahrungen, die ich auf Festivals gemacht habe: Es hat mich immer wieder beeindruckt, was Festival-Crews, also eine Hand voll Menschen, gemeinsam für Räume erschaffen können. Egal ob Zirkusprojekte, Dancefloors oder ein Kunstprojekt, es werden dabei oft temporäre Utopien verwirklicht. Meine Vision war, eine Crew zu finden, die Spiritualität, liebevolles Miteinander und Aktivismus verbindet, die zwischenmenschliche, ökologische und spirituelle Fragen gemeinsam bewegt. Mit meinem Freund Martin, der heute Teil der PYURE-Crew ist, begann ich zunächst Kuschelparties zu organisieren, um Erfahrungs- und Begegnungsräume für authentischen Körperkontakt, Kommunikation und die Bewusstwerdung der eigenen Bedürfnisse zu ermöglichen. So kamen immer mehr Menschen zusammen, irgendwann trafen wir uns regelmäßig in einer zentral gelegenen, sehr offenen WG, wo Menschen aller Art eine Anlaufstelle hatten. In der »Oase«, so tauften wir diesen lebendigen Ort, kamen jeden Tag Menschen in unterschiedlichen Konstellationen zusammen. Mit der Zeit entstand dort bei immer mehr Menschen die Idee, eine Veranstaltungscrew aufzubauen. In unserem Bildungssystem gibt es wenige Räume für die Erforschung der eigenen Körperlichkeit, für das Erlernen von Beziehungskunst und gelingender Kommunikation. Diese und andere kulturelle Defizite wollten wir durch unsere Angebote ausgleichen.

PartnerInnen-Yoga-Workshop auf einer DayTimeParty.
Playshop auf einer (drogenfreien) Party in einem Club.
Ecstatic Dance während einer DayTime Party.

e: Kuschelparties – das erscheint zunächst wie eine ungewöhnliche Idee von der Verbindung von Aktivismus und Spiritualität. Wa rum denkt ihr, dass solche Begegnungsräume wichtig sind, um gesellschaftliche Veränderung anzustoßen?

AK: Ich denke, für unsere Generation ist es wichtig, Authentizität zu empfinden und sich selbst zeigen zu können, mit dem, was da ist. Wir veranstalten zum Beispiel auch Tanzmeditationen in Clubs, wo normalerweise Technoparties stattfinden, bei denen die Erfahrungen an Drogen und entsprechend induzierte Rauscherlebnisse geknüpft sind. Wir wollen eine neue Seins-Qualität in Clubs bringen, eine, in der du dich frei ausdrücken kannst, ohne Drogen dafür zu brauchen. Das zieht immer mehr Menschen an. Wir haben auch schon Kontakt-BewusstSeins-Workshops gemacht; ein aktuelles Format nennt sich Sternhaufen, bei dem Menschen sich regelmäßig einmal die Woche treffen, sich spüren und authentisch in Kontakt gehen und lernen können, sich gegenseitig wirklich wahrzunehmen.

Es ist uns wichtig, Räume anzubieten, in denen wir eine Nähe und Echtheit erleben, die in unserer Gesellschaft häufig fehlt. Und ich meine, dass dieser Mangel an Nähe dann auch die Fragmentierung und das Aggressionspotenzial in Menschen verstärkt. In diesem Sinne sind Räume der Nähe und Begegnung auch eine Form von Aktivismus. Dabei geht es uns um einen bewussten Kontakt, um ein gemeinsames Spielen und Forschen, außerhalb üblicher sozialer Codes und Konventionen. Solche Veranstaltungen sind kulturell-experimentelle Räume, die einen Laborcharakter haben.

Ich bin der Überzeugung, dass wir für die gesellschaftliche Transformation mehr alltagspraktischen Gemeinschaftssinn brauchen.

e: Wie eröffnet ihr solche experimentellen Räume?

AK: Wir haben vier Säulen: Die erste ist Achtsamkeit und Bewusstsein, z. B. durch meditative Elemente und Atemübungen, die zweite ist Prävention und Heilung, hinzu kommt drittens noch Spielen, Genießen und Feiern sowie viertens eben Experimentieren und Forschen. All unsere Veranstaltungen eröffnen wir im Kreis aller Anwesenden mit einem Moment der Besinnlichkeit. Je nachdem, wie groß die Gruppe ist, teilen wir dort anschließend nur die wichtigsten Infos, Begegnungsregeln und Prinzipien der Veranstaltung mit oder geben auch allen die Möglichkeit, von sich zu sprechen und sich vorzustellen.

Bei größeren Veranstaltungen, z. B. solchen in Clubs, gibt es nach dem Eröffnungskreis noch Spiele und Übungen, um persönlichen Kontakt zu fördern und die Gruppenenergie aufzubauen. Anschließend entsteht das Miteinander aus dem freien Zusammenspiel der Anwesenden, gemäß den Grundsätzen des Events. Eine Methode, mit der ich gerne arbeite, wenn es um persönliche Themen geht, nennt sich (ZEGG-)Forum. Dabei hat jeder die Möglichkeit, ein Thema innerhalb des Kreises darzustellen, zum Ausdruck und in Bewegung zu bringen, dabei von allen wahrgenommen und begleitet und, falls gewünscht, unterstützt zu werden. Dabei entstehen auch oft kollektive Flow- und Aha-Erlebnisse.

e: Was ist deine Vision für die PYURE-Crew?

AK: Meine Vision enthält einerseits dieses lokale Element, hier in Heidelberg ein Begegnungsfeld und Netzwerk zu gestalten, aus dem heraus weiteres entsteht. Wünschenswert wäre ein Ort, der ausstrahlt und an dem kontinuierlich geforscht und experimentiert werden kann. Zusätzlich will ich auch in anderen Städten das Entstehen solcher Crews anregen, unterstützen und mitorganisieren. Eine der Leitfragen dabei ist, wie wir im städtischen Raum trotz steigender Mietpreise und der damit einhergehenden Schwierigkeit, Freiräume für alternatives Wohnen, Leben und Wirken zu finden, gemeinschaftlicheres Leben aufbauen können. Ich bin der Überzeugung, dass wir für die gesellschaftliche Transformation mehr alltagspraktischen Gemeinschaftssinn brauchen, und zwar nicht nur in Ökodörfern, sondern auch in Städten. In einigen Jahren sehe ich mich als Koordinator eines sozialen und gemeinnützigen Unternehmens, das darauf abzielt, Menschen die Werkzeuge und Instrumente an die Hand zu geben, gelingende Gemeinschaften in ihrem Umfeld aufzubauen. Dafür suche ich bzw. suchen wir übrigens auch WeggefährtInnen, UnterstützerInnen und PartnerInnen. Die Vernetzung mit anderen Städten und der Austausch mit anderen Crews hat schon begonnen und ich sehe darin noch viel Potenzial. Vielleicht eröffnen sich ja durch dieses Gespräch weitere und neue Wege?

Das Gespräch führte Adrian Wagner.

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