Die menschliche Seele zwischen Welt-Krisen und Welt-Liebe

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Essay
Publiziert am:

July 14, 2015

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Ausgabe 07 / 2015
|
July 2015
Die Zukunft in uns
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Viele Menschen spüren, dass die Risse in der eigenen Seele nicht unabhängig von den scheinbar äußeren Problemen dieser Welt sind und umgekehrt. Doch die Gespaltenheit moderner Theorie zwischen Psychologien und Sozialtheorien macht es kaum möglich, dies zusammenzudenken und -zufühlen. Kulturgeschichtlich gibt es einen Begriff, welcher persönliche und gesellschaftliche Sphären verbindet: den Begriff der Seele.

In allen Menschen wohnt eine Sehnsucht danach, sich sowohl als einzigartiges Wesen frei zu entfalten als auch mit anderen Menschen intensiv verbunden zu sein. Diese universelle Sehnsucht hat in jedem Einzelnen eine jeweils ganz individuelle Ausprägung und Stimme – und wird oft auch als Seele dieses Menschen bezeichnet. Der Psychologe C. G. Jung kam sogar zu dem Schluss, dass diese innere Stimme der Seele eine zweite Ich-Instanz ist – ein inneres Pendant zum eher außenorientierten ersten Ich, das die familiären und kulturellen Prägungen der materiellen und sinnlichen Bedürfnisse des Einzelnen umfasst.

Diese innere Stimme der Seele ist der individuelle Ausdruck des universellen Grundes der Evolution oder Schöpfung, den alle großen Kulturen bzw. Religionen letztlich als Liebe beschreiben. Denn Liebe ist – wie die Seele als ihre individuell-menschliche Stimme – die einzige Qualität oder Energie des Seins, die sowohl verbindet als auch befreit. Und erst, wenn Menschen diese oft eher leise innere Stimme der Seele oder Liebe in sich verstehen und von dieser aus ihr außenorientiertes Ich gestalten lernen, beginnen sie ihr wirkliches menschliches Potenzial zu entfalten. Um sich seiner Seele als Kern und Stimme des eigenen Potenzials bewusst zu werden, braucht der Mensch einen kulturellen Bezugsraum, der weder nur das eigene Wohlergehen noch nur eine nie ganz erfassbare spirituelle Dimension (Gott, Allah, Brahma etc.) ist. Dieser kulturell zu organisierende Bezugsraum der menschlichen Seelen könnte ihr gemeinsamer Heimatplanet Erde sein.

¬ LIEBE IST DIE EINZIGE QUALITÄT ODER ENERGIE DES SEINS, DIE SOWOHL VERBINDET ALS AUCH BEFREIT. ¬

Solange es diesen gemeinsamen kulturellen Bezugsraum Erde nicht gibt, scheint es nur vereinzelten Menschen zu gelingen, sich ihres seelischen Potenzials bewusst zu werden und es so zu entzünden und zu entfalten. Die Mehrzahl der Menschen bleibt währenddessen noch fast völlig in beschränkteren kulturellen Mustern identifiziert. Das hat zur Folge, dass sie die größere irdische Dimension ihrer seelischen Sehnsucht und Intention weder verstehen noch fühlen kann und deren »seelische Energie« stattdessen in kulturellen Abgrenzungstraditionen, von Religions- und Völkerhass bis hin zu Kriegen, absorbiert wird.

Denn die individuellen Sehnsüchte nach innerer seelischer Gesundheit und äußerem irdischen Frieden und Ökologie sind nichts voneinander Getrenntes, sondern nur verschiedene Dimensionen einer neuen Qualität seelischer Reife. Die Erweiterung und Befreiung der seelischen Sehnsucht und Energie auf den gemeinsamen Planeten ­Erde bedeutet jedoch nicht, dass die kulturelle und religiöse Vielfalt menschlicher Existenz dabei zerstört wird. Die Unterschiede der Kulturen und Religionen, diese »lebendigen Kleider des Göttlichen« (Goethe), sind ein lebendiger Reichtum an Traditionen, Formen, Farben und Tönen, dessen Einebnung, aus welcher übergreifenden Ideologie auch immer, nur unnötige neue Ressentiments schaffen würde. Vielmehr geht es darum, die Unterschiede im tiefsten Grund sowohl erkennbar als auch lösbar zu machen. Den tiefsten Grund nennen die einen Gott, die anderen Allah, Jahwe, Brahma, Tao oder anders. Allen Kulturen und Religionen gemeinsam ist jedoch, dass ihre tiefste Grundlage eine je kulturell unterschiedlich getönte, doch letztlich identische Art von universeller Liebe ausdrückt und verkörpert. Die Lösung der drängendsten Zukunftsprobleme kann daher weder durch die Einebnung der vielfältigen äußeren noch der spezifischen innersten Töne der unterschiedlichen Kulturen gelingen. Entscheidend ist es, sich darauf zu verständigen, dass es zwei entscheidende Gemeinsamkeiten gibt: die gemeinsame irdische Lebenswelt und die Liebe als innerste Essenz ihrer Spiritualität.

Author:
Prof. Maik Hosang
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