Gespaltene Stadt, gespaltene Gesellschaft

Our Emotional Participation in the World
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Essay
Published On:

July 17, 2017

Featuring:
Donald Trump
Joseph Goebbels
Hans-­Joachim Maaz
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Issue:
Issue 15 / 2017:
|
July 2017
Mensch & Maschine
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Gedanken über die Ursachen der Polarisierung

Seit Jahren erregt die Pegida-Bewegung in Dresden mediale Aufmerksamkeit und spaltet Stadt und Land. Was sind die Ursachen und die Dynamiken solch einer Spaltung, die nicht nur in Dresden eine offene Gesellschaft bedroht?

Montag für Montag demons­trieren mehrere tausend Menschen durch Dresdens Innenstadt, auf dem Theater- oder Postplatz oder wo immer es gestattet wird, halten sie Kundgebungen ab, steigen auf Podeste und verkünden ihre Wahrheiten, manchmal buchstäblich mit Schaum vorm Mund. Montag für Montag gibt es eine kleine Gruppe von Gegendemonstranten aus dem linken oder autonomen Spektrum, meist junge Leute, und auch sie verkünden ihre Wahrheiten.

Als die Pegida-Bewegung entstand, bildeten sich reaktiv sofort mehrere Initiativen wie »Weltoffenes Dresden«, »Dresden für alle«, »Dresden ist bunt«. Seitdem kann eine Unterhaltung im Familien- oder Bekanntenkreis schnell scheitern, weil die emotionale Betroffenheit dazu führt, dass nicht mehr zugehört wird, dass man sich selbst im Recht fühlt, dass man den Anderen von vornherein abwertet.

Dresden hat in seiner Geschichte viele solcher Spaltungserfahrungen gemacht, wie zuletzt in den Jahren vor dem Bau der Waldschlößchenbrücke. Auf der einen Seite standen die Dresdner, die sich vor allem eine Entlastung des Verkehrs erhofften, auf der anderen Seite jene, die den alten Baumbestand und die Elbwiesen schützen wollten, eine Kommunikation zwischen beiden gab es meistens nur in Form verbaler Entgleisungen.

Woher kommen solche erbitterten Kämpfe, die unversöhnlichen Positionen, die Spaltungen, die sich heute auch gesamtgesellschaftlich in der Auseinandersetzung mit der AfD oder global mit dem Front National in Frankreich, dem Populismus Donald Trumps in den USA oder dem Aufstieg autoritärer Regierungen in Osteuropa zeigen?

Auf die Situation in Dresden bezogen, gehört dazu möglicherweise zuerst einmal die Einsicht, dass die Stadt keine besondere, herausragende ist, sondern ein Menschenort wie jeder andere auch. Die gepflegte Exklusivität eines außergewöhnlichen Schicksals verstellt den Blick auf das Gesamtbild, zu schnell werden damit Facetten weggedrückt, die nicht hineinpassen. Schließlich kann es weder in der eigenen Geschichte und Gegenwart noch in der einer Stadt nur positive Ereignisse geben, sondern es ist immer ein Wechselspiel von Licht und Schatten, Schuld und Unschuld. Und wir kennen viele Situationen wie z. B. die Desertationen aus der Wehrmacht 1944/45, deren Bewertung sich im Laufe der Zeit verändert: zunächst sind es Feiglinge und Verräter, später Helden. Auch erinnere ich mich noch sehr gut meiner kindlichen Verwirrung, als ich in den 1970er Jahren lernte, Dresden sei von »anglo-amerikanischen Terrorbombern« in Schutt und Asche gelegt worden. Das sind doch aber die, die gegen die Nazis gekämpft haben, oder?

In Dresden blieb jahrzehntelang die Opfererzählung in der Stadt lebendig – eine unschuldige Kulturstadt ohne jede militärische Bedeutung, noch dazu voller Flüchtlinge, sei zerstört worden. Dieses Narrativ, das zuallererst von Joseph Goebbels in die Welt gesetzt wurde, verhindert einerseits die Auseinandersetzung mit den eigenen ­Täter- und Schuldanteilen, andererseits macht sich die Stadt selbst ohnmächtig – ein ­Opfer ist schwach, ausgeliefert, ohne eigenen Handlungsspielraum.

Schon immer hat mich Architektur als Spiegel gesellschaftlicher Entwicklung inter­essiert und fasziniert, ist sie doch zu Stein gewordener Geist. In Dresden fällt auf: Es gibt eine große Sehnsucht nach dem Alten, eine fortwährende Behauptung der Barockstadt, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass der tatsächliche oder auch nur eingebildete Glanz der Zeit Augusts des Starken bis in die Gegenwart strahle. Auf diese Weise wird z. B. der prägende Charakter des 19. Jahrhunderts ganz ausgeblendet, die 1933 – 36 erfolgte Gestaltung des Königsufers vielleicht einfach alt genannt und die in der DDR entstandene Architektur entweder gleich abgerissen oder schamhaft versteckt, wie z. B. das Rundkino, das ein Solitär und als solcher von reizvoller Ausstrahlung, nun aber gänzlich umbaut und damit bedeutungslos geworden ist. Betrachtet man die Entstehung des Militärhistorischen Museums, wird eine ähnliche Haltung deutlich, mit der man den vermeintlichen Glanz des Alten verklärt: Der bekannte Architekt Daniel Libeskind, der sich stets sehr genau mit dem Ort auseinandersetzt, bevor er Ideen entwickelt, versieht das vorhandene Gründerzeitgebäude mit einem gewaltigen Keil, der es zerschneidet und dessen Spitze in die Friedrichstadt auf der anderen Elbseite zeigt, wo einst die erste Bombe gefallen ist. Nicht nur die Ausstellungen des Museums thematisieren seit der Eröffnung die widersprüchlichen Aspekte der Militärgeschichte, sondern bereits das Gebäude macht die Brüche augenfällig. Aber immer wieder wird Kritik geübt: »Wenn wir schon nicht mehr viele alte Häuser haben, muss man doch die vorhandenen nicht auch noch verschandeln!«

Brüche gehören zur Geschichte, zur Geschichte einer Stadt, eines Landes, und sie können leicht zu Spaltungen führen, wie ich sie in Dresden immer wieder erlebe. In der Dresdner Neustadt, dem bunten, alternativen Viertel, lassen sich Inschriften an Wänden finden, die lauten: Nazis raus! Pegidaabschieben! Da steht die Frage im Raum: Wohin denn?

Es ist an der Zeit, dass wir uns mit Verständnis und innerer Zuwendung allen Aspekten unserer Geschichte stellen.

Der Hallenser Psychoanalytiker Hans-­Joachim Maaz spricht in seinem aktuellen Buch »Das falsche Leben« davon, dass wir in der Lage sind, »die Wahrnehmung unliebsamer, … tabuisierter, … oder moralisch geächteter seelischer Eigenanteile nachhaltig auszusperren. Diese abgespaltenen Anteile werden anderen projektiv zugeschrieben«. Maaz betont, dass es ein notwendiger Reifeschritt sei, aus der gespaltenen Welt in eine integrierte Weltsicht zu kommen. Die Spaltung der Stadtgesellschaft zeigt also im Außen, was im Innern ihrer einzelnen Mitglieder vor sich geht. Weil diese Prozesse aber unserer rationalen Erkenntnis, unserem Bewusstsein nicht zugänglich sind, ist die Arbeit daran so schwer.

Für mich bringt der dunkle, stumm laufende Montagszug der Pegida-Bewegung etwas zutage, mit dem es existentiell wichtig ist, sich auseinanderzusetzen: Seit die Flüchtlingsströme groß geworden sind, ist allenthalben von Integration die Rede, dabei wird gänzlich übersehen, dass diese eine permanente Anforderung an eine Demokratie darstellt – und noch nie wirklich umgesetzt worden ist. Wir sind im ganzen Land beunruhigt über die Kraft, die sich hinter der AfD, der »Alternative für Deutschland«, versammelt, gleichzeitig lehnen Politiker anderer Parteien oder Medien es ab, mit denen zu reden. Darin äußert sich erstens eine Missachtung des Wählers, der seine Stimme genau dieser Partei gegeben hat, und zweitens die Unfähigkeit, sich immer wieder in den Diskurs, den Dialog zu begeben, und zwar mit allen vorhandenen Positionen im Land – also in einen Integrationsprozess. Ein solcher Prozess setzt die Ehrlichkeit mit sich selbst voraus, die innerseelische Demokratie, wie Maaz sie nennt.

Es ist an der Zeit, dass wir uns mit Verständnis und innerer Zuwendung allen ­Aspekten unserer Geschichte stellen, um auf diese Weise Frieden mit uns selbst und unseren Wurzeln zu schließen. Dann sind wir auch in der Gegenwart in der Lage, unseren Umgang miteinander, die Art unserer Beziehungen stets aufs Neue zu verhandeln. Leben, gemeinschaftliches Leben in einer Kommune, einem Land, einem Staatenbund ist nichts und kann nichts Statisches sein, es braucht den fortwährenden Prozess. Es ist ein fortwährender Prozess. Wäre das nicht Demokratie?

Author:
Uta Hauthal
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