Das Poesie-Mobil unterwegs
Vor einigen Tagen erforschten wir in einer evolve Live!-Veranstaltung mit der Impulsgeberin Sylvia Kéré Wellensiek die Möglichkeiten für Resilienz in herausfordernden Zeiten. Dabei kamen nicht nur die individuellen Quellen seelischer Widerstandskraft zur Sprache, sondern wir fragten auch, was wir gesellschaftlich brauchen, um mit Krisen gesünder umzugehen. Wellensiek hob dabei vor allem hervor, wie wichtig es ist, Unsicherheit und Widersprüchlichkeit aushalten zu können. Und im Bezug zur kulturellen Resilienz ist ihrer Ansicht nach auch eine neue Gesprächskultur notwendig. Denn, so erklärt sie: »Es ist eine große Leistung, die Fliehkräfte auseinanderdriftender Meinungen und emotional aufgeheizter Standpunkte auszuhalten und sie in einem möglichst demokratischen, abwägenden Prozess der offenen Reflektion in einen möglichst sinnvollen Handlungskorridor zu überführen.«
Das Poesie-Mobil ist ein Beitrag, um mit den Mitteln der Kunst und des Dialogs den öffentlichen Raum zu beleben.
Wellensiek hat zusammen mit dem Arzt, Psychologen und Gründer der Heiligenfeld-Kliniken Joachim Galuska ein Standardbuch zur Resilienz geschrieben. In der gegenwärtigen, herausfordernden Zeit veranlasste ihn seine Erfahrung mit psychosozialer Belastung schon früh, vor einem Corona-Burnout zu warnen. Die Heiligenfeld-Kliniken zum Beispiel verzeichneten 50 Prozent mehr Anfragen für eine stationäre Behandlung als vor der Pandemie. Galuska weist aber gleichzeitig auf die Notwendigkeit hin, die Quellen der Resilienz zu fördern wie Verbundenheit mit der Natur, Beziehungen, sinnvolle Tätigkeit, vor allem aber ein Gefühl der Selbstwirksamkeit. Denn, so Galuska: »Je hilfloser und ohnmächtiger ich mich fühle, desto größer ist die Gefahr eines seelischen Absturzes.« Für den Psychologen ist es aber auch wichtig, zur Bildung von kultureller Resilienz gemeinsam über die Kraftquellen in uns selbst und im sozialen Miteinander zu sprechen. Deshalb ist für ihn der Begriff des Social Distancing irreführend, gerade eine Krisenzeit bräuchte doch vielmehr eine Intensivierung und Vertiefung der zwischenmenschlichen Begegnung.
Um einen Raum für solche Begegnungen zu schaffen, unternahm Galuska gemeinsam mit seiner Frau, der Lyrikerin und Schriftkünstlerin Uta Galuska, zwei Touren, durch Bayern und von Leipzig nach Berlin und Brandenburg, um die Öffentlichkeit für diese Themen zu sensibilisieren. Sie kamen auf die Idee, ein altes Feuerwehrauto, das die Kliniken Heiligenfeld schon einmal für eine Aktion zur Burnout-Prophylaxe genutzt hatten, aus der Garage zu holen und tauften es in »Poesie-Mobil« um, denn für das engagierte Ehepaar sind Kunst und Poesie eine wichtige Quelle der Resilienz. So verstehen sie ihre Aktion auch als »Street-Art auf Rädern«. Gleichzeitig bieten die Begegnungen einen guten Einstieg, um mit Menschen über die Erfahrungen, Herausforderungen und Möglichkeiten der Corona-Zeit ins Gespräch zu kommen.
Auf ihren Touren trafen sie namhafte Psychologen, Ärzte, Vertreter verschiedener Religionen, Dichterinnen, Pädagoginnen und Politikerinnen. Alle Dialoge wurden gefilmt und sind auf der Webseite des Projekts abrufbar. Für Joachim und Uta Galuska waren die beiden Touren mit dem Poesie-Mobil ein Beitrag, um mit den Mitteln der Kunst und des Dialogs den öffentlichen Raum zu beleben. Sie wollen zudem einen Beitrag dazu leisten, dass auch mit verschiedenen Sichtweisen zur gegenwärtigen Zeit durchaus wertschätzende und kritische Gespräche möglich sind. Ihrem Anliegen, die Resilienz zu stärken, wird auch in einem weiteren Projekt Gehör verschafft, einem »Aufruf zum beseelten Leben«, dem sich jeder Interessierte anschließen kann.
Sicher werden in Zukunft viele weitere solcher Initiativen nötig sein, um individuelle und kulturelle Resilienz zu stärken. Das Poesie-Mobil zeigt, dass es möglich ist.