Widerstand im Zeichen des Lebendigen

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Publiziert am:

July 19, 2018

Mit:
Godehard von Hoensbroech
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Ausgabe 19 / 2018:
|
July 2018
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Graf Godehard von Hoensbroech – Ein Leben für die Heilung von Körper, Geist und Landschaft

Das Schloss Türnich ist eine Oase. Unweit von Köln liegt es umgeben von einem weitläufigen Landschaftspark und ist ein beliebtes Ausflugsziel mit Bio-Restaurant und wunderschönen Spazierwegen. Hier treffe ich Graf Godehard von Hoensbroech, dessen Familie fast 170 Jahre das Schloss bewohnte. Heute steht es leer und wartet auf den Fortgang der Restaurierung, weil es durch die Bodenabsenkung infolge des in der Nähe betriebenen Braunkohletagebaus in seiner Stabilität bedroht war. Damit sind auch zwei der Lebensthemen von Graf Hoensbroech angesprochen: der Schmerz über die Zerstörung der Natur und der kreative Widerstand dagegen auf der Suche nach Möglichkeiten, dem Lebendigen Raum zu geben.

Das »Widerstands-Gen«, wie er es nennt, wurde ihm von den Eltern mitgegeben. Während der Nazizeit waren sie im Widerstand und Graf Hoensbroech schildert Geschichten, bei denen man Gänsehaut bekommt: Wie die, als seine Eltern sieben flüchtige polnische Kriegsgefangene im Keller versteckten. Selbst dann, als die Wehrmacht um das Schloss herum und im Schlosskeller ihr Lager aufschlug. Die Mutter verbot ihnen, sich dem Teil des Kellers zu nähern, wo sich die Geflüchteten versteckt hatten. Und die Soldaten gehorchten ihr. Dieser Mut hat Graf Hoensbroech tief beeindruckt: »Meine Mutter begab sich in Situationen, wo einem das Blut in den Adern stockte. Aber sie hatte ihre eigenen Ansichten. Sie meinte, die Leute, die sich in autoritäten Systemen stark fühlen, hätten kein Rückgrat.«

Labyrinth im Schloßpark Türnich.
Das noch unbewohnbahre Schloss in Renovation.
Mit seiner Frau Marie-Thérèse und Enkelin.
Ceres-Heilpflanzen-Seminar.

Viele Stunden seiner Kindheit verbrachte Graf Hoensbroech im Keller des Schlosses, weil es in einer Tieffliegerzone für die alliierten Bombenangriffe auf Köln lag. Ab Sommer 1944 heulten nicht einmal mehr die Sirenen, es herrschte Daueralarm. Nach dem Krieg konnte der Junge aufs Gymnasium gehen und machte auf Wunsch des Vaters eine landwirtschaftliche Lehre, studierte Agraringenieur und später Jura. Seine eigentliche Sehnsucht aber war es, Philosophie zu studieren, und so blieb er der Liebe zur Weisheit ein Leben lang treu.

Die Liebe zur Landwirtschaft entdeckte er, als er während der Ausbildung auf einem großen Bauernhof arbeitete. »Dort habe ich Feuer gefangen, und zwar über das Atmosphärische; ich fand es einfach unglaublich schön.« Hier entstand für ihn ein »Empfinden für das Atmosphärische in der Landschaft, in dem sich ausdrückt, ob die Landschaft lebendig ist oder nicht«.

Dieses Empfinden konnte er bei einem mehrjährigen Japanaufenthalt vertiefen. Er arbeitete als Jurist in der Finanzabteilung des Bayer-Konzerns und übernahm in dieser Rolle eine Auslandsstelle. Seine damalige Frau wurde Schülerin eines Zen-Meisters, und er interessierte sich besonders für die Gartenkunst des Zen: »Dabei hat mich besonders der Verzicht auf eine falsch verstandene Präzision fasziniert. Landschaft ist nicht präzise.«

Nach der Rückkehr aus Japan litt er an einer unerklärlichen Krankheit, die sich zusehends verschlechterte, bis hin zur Arbeitsunfähigkeit. Die Schulmedizin konnte ihm nicht helfen. Seine Rettung war ein bekannter Akupunkteur. Nach einer mehrmonatigen Behandlung, die schließlich zur Heilung führte, sagte ihm der Therapeut: »Sie hatten noch maximal sechs Monate zu leben.« Es stellte sich heraus, dass er durch Psychopharmaka, die man ihm als Student wegen der Diagnose »vegetative Dystonie« gegeben hatte, innerlich so »vergiftet« war, dass die Schadstoffe aus dem Bindegewebe in die Organe übergingen, was zum Kollaps geführt hätte. Während dieser Zeit dachte er viel über die Parallelen zwischen der Vergiftung und Heilung des Körpers und der unserer Landschaften nach. Gedanken, die er bald in die Tat umsetzen konnte.

Leben ist ein dauerndes Tasten und Spüren, wie es weitergehen kann.

1983 übernahm Graf Hoensbroech das Schloss seiner Eltern und entschloss sich gemeinsam mit seiner zweiten Frau Marie-Thérèse, das Land um das Schloss zu einer Oase des Lebendigen zu machen. Im 57 ha großen Schlossareal wurden der Landschaftspark und der Französische Garten restauriert sowie ein riesiges Feuchtbiotop angelegt. Mit ökologisch bewirtschafteten Obstanlagen, Heckenstrukturen und Durchgrünungszonen entstand ein Biotop, in dem viele Tier- und Pflanzenarten, darunter zahlreiche Rote- ListeArten und seltene Wildbienenarten, einen Lebensraum fanden.

Später entstand in der Vorburg ein Biorestaurant und im Schlosshof der Ceres-Schaugarten für Heilpflanzen. Anfang der 90er Jahre hatten Graf und Gräfin Hoensbroech den Chemiker und Arzneipflanzenforscher Dr. Roger Kalbermatten und dessen Frau Hildegard kennengelernt und mit ihnen zusammen die Ceres Heilmittel GmbH gegründet. Aufgrund eines ganzheitlichen Pflanzenverständnisses und einem daraus resultierenden speziellen Herstellungsverfahren werden pflanzlich-homöopathische Arzneimittel hergestellt.

Neben den Projekten auf seinem Anwesen war Graf Hoensbroech 20 Jahre lang im Landschaftsbeirat der Region tätig. Einer Region, die, wie er es nennt, »vibratorisch tot« ist, zerstört durch den Braunkohleabbau, die Verkehrs- und Landschaftsplanung, der der Sinn für das Lebendige einer Landschaft verloren gegangen ist. Als Mitglied des Landschaftsbeirats konnte er einiges in der Region bewegen, z. B. den dritten Grüngürtel um Köln mit auf den Weg bringen. »Ich war berüchtigt«, erklärt er, »weil ich bei jeder Sitzung zunächst meine Gesetzbücher auf meinem Platz ausgebreitete. Als Graf, Rechtsanwalt und Agrar ingenieur hatte man Respekt vor mir.«

Seit dem Ende dieser Tätigkeit kann er sich wieder mehr auf die Zukunft des Schlossensembles konzentrieren, die er zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn Severin und dessen Frau Anja in der Entwicklung eines integrativen Zukunftsortes sieht, der Landschaftsgestaltung, Landwirtschaft, Ernährung und Heilung verknüpft. Denn, so sagt er: »Das Leben ist eins. Und die Probleme, die wir in der Medizin, in der Ernährung, in der Landschaftsgestaltung und Landwirtschaft finden, sind eng miteinander verbunden.« Aus dieser Erkenntnis möchten sie den Obstanbau und die Landwirtschaft auf Permakultur umstellen, ein Biohotel bauen und integrative medizinische Therapeuten ansiedeln. Zudem plant die Rheinische Fachhochschule Köln, auf dem Gelände einen Campus für den neuen Studiengang in Gastrowissenschaft mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit und Slow Food zu etablieren.

Aus all diesen Facetten soll das Zukunftsensemble Schloss Türnich entstehen, das auf eine gemeinnützige Stiftung übertragen werden soll. Momentan beschäftigt sich die Familie mit verschiedenen Projektanträgen und Finanzierungsmöglichkeiten, wozu auch die Renovierung des Schlosses gehört.

Und, so sagt mir der 82-jährige Graf Hoensbroech mit leuchtenden Augen, eine Philosophenschule wolle er auch einrichten. Denn durch sein Leben hindurch habe ihn die Frage nach dem, »was die Welt im Innersten zusammenhält« (Goethe, »Faust I«), immer begleitet. Für ihn sei »das Leben ein dauerndes Tasten und Spüren, wie es weitergehen kann.« Besser kann man wohl auch seinen Lebensweg kaum auf den Punkt bringen.

www.schloss-tuernich.de

Author:
Mike Kauschke
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