Olaf Muhō Nölkes Weg zum Abt eines Zen-Klosters in Japan
In den letzten Jahrzehnten ist Zen im Westen immer populärer geworden und auch im deutschsprachigen Raum finden viele Menschen durch die Praxis und Lehren des Zen-Buddhismus, die auf verschiedenen Wegen aus Japan zu uns gefunden haben, eine neue Orientierung in ihrem Leben. Als Olaf Nölke als Schüler zum ersten Mal die Zen-Praxis entdeckt, geht er bald einen radikaleren Schritt ins Herz des Zen. Er will erfahren, wie Zen in einem Kloster in Japan geübt wird. Aus ursprünglich einem halben Jahr Aufenthalt sind mittlerweile 27 Jahre geworden und heute ist Muhō Nölke Abt des Klosters Antaiji, das als Wirkungsort des Zen-Meisters Kodo Sawaki bekannt wurde.
Als ich Muhō Nölke per Skype in Japan erreiche, begegnet mir ein offener, bodenständiger, humorvoller Mann, und im Verlauf unseres Gesprächs berührt mich besonders, wie offen er auch über die Herausforderungen und existenziellen Fragen seiner langen Praxis in einem Zen-Kloster spricht.
Solche existenziellen Fragen kommen schon früh in Olaf Nölkes Leben, denn als er sieben Jahre alt ist, stirbt seine Mutter. Und er stellt Fragen, für die er in seinem Umfeld wenig Verständnis findet: »Warum leben wir überhaupt? Was ist der Sinn des Ganzen?« Mit sechzehn lädt ihn ein Lehrer seines christlichen Gymnasiums zu einer Meditation »im Stile des Zen« ein. Nach einigem Zögern probierte er schließlich die Meditation aus und kam regelmäßig zu den Abenden. Was ihn wiederkommen ließ, beschreibt er so: »Am Anfang hat mich die Erfahrung fasziniert oder zumindest überrascht, dass ich nicht nur diesen Körper habe, sondern dass ich dieser Körper bin. Ich war überrascht, wie sehr meine Körperhaltung meinen Geist verändert.«
Schließlich übernahm Olaf Nölke selbst die Leitung der Meditationsgruppe, nachdem der Lehrer von der Schule gegangen war, und begann Bücher über Buddhismus und Zen zu lesen. Besonders die Geschichte des Buddha beeindruckte ihn, weil dieser auf ähnliche existenzielle Fragen nach dem Sinn des Lebens inmitten von Leiden stieß, wie er selbst nach dem Tod seiner Mutter.
Als Olaf Nölke in den Büchern des Zen-Gelehrten D. T. Suzuki las, dass man auch heute noch in Japan einen erleuchteten Zen-Meister finden kann, wollte er gleich nach dem Abitur nach Japan gehen, um Mönch zu werden. Der Lehrer, der ihn in die Meditation eingeführt hatte, riet ihm aber, erst eine Ausbildung zu machen. So besuchte Olaf Nölke Japan zunächst nur für drei Monate und begann, Japanologie, Philosophie und Physik zu studieren. Mit 22 unterbrach er das Studium, lebte sechs Monate in Antaiji und wusste bald nach seiner Ankunft, dass dies sein Lebensort sein würde.
Schon bald merkte er, dass ein abgeschiedenes Leben in den Bergen von den Mönchen auch große Anstrengungen erfordert: »Eine große Herausforderung hier auf dem Land war die körperliche Arbeit. Ich hatte nie Sport getrieben oder auf einem Bauernhof gearbeitet. Mehr als das Zazen, denn das habe ich schon in Deutschland praktiziert, und die vielen Stunden der Meditation war es die Arbeit auf dem Feld oder im Wald beim Bäumefällen und Holzhacken, die mich herausforderte.«
Zudem war für den jungen Deutschen die hierarchische Struktur des Klosters anfangs schwierig. »Es wird erwartet, dass man dem folgt, was die Mönchsbrüder sagen, die früher dem Kloster beigetreten sind, selbst wenn man das Gefühl hat, dass sie selbst daneben liegen.«
Hinzu kam noch eine Herausforderung, die Muhō Nölke so beschreibt: »Und dann gibt es da diese Hoffnung, dass früher oder später die große Erfahrung kommt, und – bumm – dann bin ich erleuchtet.« Er beschreibt, wie er sich nach zwei bis drei Jahren dachte, er müsse doch langsam etwas vorzuweisen haben, für sich selbst und die Bekannten und Familienmitglieder, die ihn fragten, was er denn im Kloster gelernt habe.
In Antaiji spielte die Idee der Erleuchtung kaum eine Rolle, dort wurde dem Mönch gesagt, er solle doch lieber die Erleuchtung vergessen und einfach sitzen, und seine Arbeit tun, und essen, wenn es soweit ist, und danach die Schalen putzen. Das sei die Praxis, wurde ihm gesagt. Aber sollte das denn wirklich alles sein? Dieses Ringen auf dem Weg wurde für Muhō Nölke zu einer Art Kōan, wie im Zen Fragen genannt werden, auf die der Verstand keine Antwort findet. Er blieb diesem Weg treu, weil er spürte: »Wenn ich auf diesem Weg nicht glücklich werde, dann werde ich nie glücklich.«
Am Klosterleben fasziniert ihn zunächst das Privileg, jeden Morgen und Abend zwei Stunden in Stille sitzen zu können, und dann auch die Arbeiten, die mit dem in Verbindung stehen, was man essen wird – Arbeit in den Reisfeldern und im Garten, Holz hacken für den Ofen. »Das Schöne ist, dass man sieht, dass mich das, was ich tue, ganz direkt mit meinem Leben verbindet.« Im Zen-Kloster geschieht all dies im Rahmen einer Klostergemeinschaft, die unterstützend ist, einen aber auch immer wieder herausfordert, weil man ständig Feedback zum eigenen Handeln bekommt. Heute steht Muhō Nölke der Klostergemeinschaft als Abt vor und ist nun damit konfrontiert, dass die Mönche und Besucher bei ihm Rat suchen. »Das ist für mich einerseits eine Verantwortung, andererseits auch eine Hilfe, um wach zu bleiben, und eine Erinnerung daran, dass es nicht nur um mich geht und dass ich auch etwas von meinen Schülern lernen kann.«
Ich denke, es ist besser, einen Weg mit Hürden zu gehen und dabei herausgefordert zu werden.
In der Beziehung zu seinem eigenen Zen-Meister hat Muhō Nölke für sich herausgefunden, dass die Verantwortung für diese Beziehung sowohl beim Meister als auch beim Schüler liegt. Er selbst hatte sogar überlegt, seinen Meister zu verlassen und wieder nach Deutschland zu gehen, dann aber verstanden, dass es auch an ihm liegt, wie er sich in dieser Beziehung entwickelt. »So wie der Meister eine Verantwortung für die Praxis des Schülers hat, liegt es genauso sehr am Schüler, was er aus dem Meister macht.«
Heute, wo er selbst als Meister wirkt, versucht er seinen Schülern zu vermitteln, dass es auch an ihnen liegt, was sie in ihm sehen, will sich aber gleichzeitig nicht darauf ausruhen und nimmt seine Rolle sehr ernst.
Neben der Klostergemeinschaft lebt Muhō Nölke auch in seiner Familie, er ist verheiratet und hat drei kleine Kinder. Das ist herausfordernd, denn die Zeit, die er mit Meditation oder beim Essen im Kloster verbringt, geht von der Zeit mit der Familie ab. Für ihn ist das Familienleben trotz dieser zwei Welten eine Bereicherung, er bezeichnet es auch als Kōan. »Die Tatsache, dass es da eine Frage gibt, hält einen wach, das hält einem die Augen offen. Mein Leben wäre wahrscheinlich einfacher, wenn ich keine Familie hätte, aber manchmal ist der einfachste Weg nicht der lohnendste. Ich denke, es ist besser, einen Weg mit Hürden zu gehen und dabei herausgefordert zu werden, als einen Weg ohne diese Hürden.«
Für Muhō Nölke gilt dies auch für den Kern des Zen: den Weg zur Erleuchtung. »Natürlich gibt es auf dem Weg diese Erfahrungen, bei denen es sich so anfühlt, als würde man einen Abgrund hinabstürzen, aber wenn man sich darauf einlässt, merkt man: Mich trägt etwas, eine größere Kraft, mit der ich eins bin.« Gleichzeitig ist ihm ein Satz von Dōgen, dem Begründer des japanischen Soto-Zen, essenziell wichtig: »Diejenigen, die zu ihrer Irre erwachen, sind die Buddhas, und die, die sich im Erwachen verirren, sind die gewöhnlichen Menschen.« Buddha bedeutet für ihn, sich als verirrter Mensch zu erkennen. Aber der, der das erkennen kann, ist frei von dieser Verirrung. In diesem Sinne ist der spirituelle Weg für ihn ein immer tieferes Anerkennen des Menschseins mit all seinen Herausforderungen und gleichzeitig die Erfahrung von etwas Größerem, das weit darüber hinausgeht und uns im Ganzen aufgehoben sein lässt.
Heute kann sich Muhō Nölke auch vorstellen, das Kloster zu verlassen, um sich mehr seiner Familie und der Vermittlung des Zen durch Retreats, Vorträge und Bücher für einen weiteren Kreis von Menschen in Japan und Europa zu widmen. Schon heute ist er immer wieder in deutschen Talkshows zu Gast oder wird von großen Zeitungen interviewt. Dabei bringt er, den Zen nach Japan gezogen hat, nun selbst diese östliche Weisheitstradition aus Japan nach Europa. Wobei er das gegenwärtige Interesse an Meditation und Achtsamkeit bei allen positiven Wirkungen durchaus auch kritisch sieht. »Achtsamkeit sollte uns eigentlich aus dem Hamsterrad befreien. Aber teils wird Achtsamkeit nun als Köder benutzt, um weiter im Hamsterrad zu bleiben. Man wird erfolgreicher und attraktiver und dann bekommt man noch die Erleuchtung. So wird Achtsamkeit zu etwas, das einen gefangen hält und nicht befreit.«