Die Frage nach dem guten Leben

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Essay
Publiziert am:

April 21, 2017

Mit:
Sokrates
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Ausgabe 14 / 2017:
|
April 2017
Leben lernen
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Immer mehr Menschen in den ausreichend satten modernen Gesellschaften stellen sich die Frage nach einem guten Leben. Mit Erstaunen fällt ihnen auf, dass sie bei all ihren Aus- und Weiterbildungen vieles lernten und diskutierten, doch ausgerechnet diese Frage ihnen dabei kaum begegnete. Wenn sie sich nun in den modernen Wissenschaften und Medien, in Zeitungen und Zeitschriften, in Fernsehsendungen und Internetangeboten umschauen, bemerken sie, dass dort zwar seit einiger Zeit der Begriff des guten Lebens hin und wieder auftaucht, doch schauen sie näher hin, zeigt sich, dass auch hier kaum eine gründliche Diskussion dazu stattfindet.

Das war nicht immer so. Im Gegenteil. Die Frage nach dem guten Leben war in gewisser Weise sogar der Ausgangspunkt der modernen Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur. Die alten Griechen, welche vor fast 2500 Jahren in Athen und anderen weltoffenen Handelsstädten sowohl die Demokratie, als auch die Wissenschaft, das Theater und andere Formen moderner Kultur erfanden, beschäftigten sich sehr intensiv damit. Das führte dazu, dass einige von ihnen, die später als erste große Philosophen berühmt wurden, das gute Leben sogar ins Zentrum ihres Denkens stellten. So schrieb Platon, der ja auch die Gedanken seines Lehrers Sokrates ausdrückte: »Nicht das Leben ist das höchste Gut, sondern das gute Leben.«

Ein weiterer maßgeblicher Philosoph jener Zeit, Epikur, fasste es noch etwas genauer zusammen. Er schrieb, dass ein gutes Leben nur dann gelingt, wenn wir zwei sich scheinbar ausschließende Seiten in uns selbst integrieren: Lebenslust, Abenteuer und Freiheit einerseits, sowie Verbundenheit, Gerechtigkeit und Liebe andererseits. Einer seiner diesbezüglichen Sätze lautet, »dass ein lustvolles Leben nicht möglich ist ohne ein einsichtsvolles und sittliches und gerechtes Leben, und ein einsichtsvolles, sittliches und gerechtes Leben nicht ohne ein lustvolles.«

Damit hinterließen uns die alten Griechen einiges zum guten Leben, das sich im Lichte des modernen Wissens zu rekapitulieren lohnt. Denn im Vergleich zu diesen frühen Philosophen kennzeichnet die heutigen Diskussionen des guten Lebens ein Mangel, der möglicherweise die Ursache dafür ist, warum wir bisher kaum uns begeisternde Antworten darauf finden.

¬ Was könnte die begeisternde Qualität eines guten Lebens sein? ¬

Schauen wir uns die heutigen Diskussionen um gutes Leben an, so finden wir zwei völlig verschiedene Antworttendenzen: Die eine Antworttendenz findet sich in den Beiträgen und Diskussionen darüber, wie man möglichst glücklich lebt. So richtig und wichtig diese Ergebnisse der modernen Glücksforschung sind, sie vernachlässigen meist ein einfaches, doch entscheidendes Faktum, das frühere Philosophen bereits kannten: Glückserleben ist nicht nur von meiner Haltung zu mir selbst und meinen Lebensumständen abhängig, sondern mindestens ebenso sehr von meinem Verbundenheitsgefühl mit anderen Menschen und Lebewesen. Viktor Frankl formulierte dies sogar noch deutlicher: Wirkliches Glücksgefühl entsteht nicht aus bloßer Befriedigung eigener Interessen oder Bedürfnisse, sondern nur in Verbindung mit einem größeren Grund und Sinn des eigenen Lebens und Tuns.

Die andere Antworttendenz findet sich vor allem in ökologisch motivierten Diskussionen der Postwachstumsdebatten und gipfelt in dem Satz: »Gut leben statt viel haben«. Damit wird der durchaus richtige Fakt betont, dass gutes Leben nur teilweise davon abhängt, wie viele Dinge man besitzt. Zum einen, weil ein Zuviel an privaten Besitztümern meist auch die Sorge darum vermehrt, zum anderen, weil unser Planet Erde nur begrenzte Ressourcen hat und ein Zerstören der Lebensgrundlagen anderer Wesen auch unsere eigene Seele beschädigt.

Doch so gut und richtig diese zweite Antworttendenz auch ist – sie begeistert offenbar bisher nur sehr wenige Menschen dafür, sich mit einem möglichst genügsamen Leben zu bescheiden. Offenbar fehlt auch dieser Antwort die nötige Ganzheit und Intensität des Lebens und damit auch der Funke der Begeisterung, der Spirit.

Was könnte diese begeisternde Qualität eines guten Lebens sein? Vielleicht geht es darum, sich nicht zwischen den beiden genannten Lösungen zu entscheiden, sondern anzuerkennen, dass die Zukunft des Menschen eine sein muss, darf und sein wird, die die bisher geschichtlich oft gespaltenen Dimensionen des Lebens – Sinn und Glück bzw. Lust und Liebe – ausreichend integriert. Die anerkennt, dass in jedem von uns gewöhnlich beide Blickwinkel ständig miteinander am Ringen sind – und dass ein bewusstes Zur-Kenntnis-Nehmen dieses Ringens die Möglichkeit öffnet, sich nach und nach in eine größere Ganzheit zu bewegen.

Author:
Prof. Maik Hosang
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