Im Spektrum: Die vielen Gesichter der Heimat

Our Emotional Participation in the World
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Essay
Published On:

November 7, 2019

Featuring:
Teresa Distelberger
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Issue:
Ausgabe 24 / 2019:
|
November 2019
Offene Heimat
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Für jeden von uns bedeutet Heimat etwas anderes, unser Heimatgefühl formt sich durch die Herkunft und die Wege unseres Lebens. Von fünf Menschen, die sich auf unterschiedliche Weise mit den Horizonten der Heimat befassen, wollten wir wissen:

Was bedeutet Heimat für Sie?

Sabine Lichtenfels

Heimat bedeutet für mich die Wiedereinbettung in die universelle Ordnung und Schönheit des Lebens. Die Erde gebettet in einem unendlichen Universum ist unsere Heimat. Sie schenkt uns alles, was wir brauchen. Leben ist immer Gemeinschaft – wirkliche Gemeinschaft schafft immer Heimat und Vertrauen. Jede meiner Meditationen beginnt mit der Dankbarkeit für die Schönheit des Lebens und die Tatsache, dass wir überhaupt sind.

Solange unsere Gesellschaften auf Strukturen von Angst, Gewalt und Verteidigung aufgebaut sind, ist es schwierig, Heimat auf dem Planeten zu empfinden. Als Friedensarbeiter*innen haben wir die Aufgabe, Lebensstrukturen aufzubauen, die die Fülle und Schönheit widerspiegeln und uns und die Welt daran erinnern, was wirkliche Heimat ist: Wahrheit unter Menschen, Anteilnahme, Solidarität und gegenseitige Unterstützung. Und Liebe – wenn wir sie wirklich in ihrer Tiefe verstehen: Ein in Liebe geführtes Leben beruht auf Kontakt mit allen Wesen, auf Kommunikation von Zentrum zu Zentrum.

Wir alle sind geführt von einer großen Sehnsucht. Die wirkliche Sehnsucht wird uns leiten und nach Hause führen. Wir sind in der Lage zu erschaffen, wonach wir uns sehnen. Unsere Aufgabe zu erkennen, im Dienst zu stehen, unseren Sinn zu finden, das ist schon Teil des Zuhauseseins.

Letztlich erlebe ich Heimat als Geborgenheit im All, in meiner göttlichen Realität und ihrer Wahrheit unter Menschen: Du darfst sein, wer du wirklich bist!

Sabine Lichtenfels, Theologin, Friedensaktivistin, Autorin vieler Bücher und Mitgründerin von Tamera.

Bodo von Plato

Vom Werden kommender Heimat. Endlich angekommen, endlich da. Da, wo Zugehörigkeit ist. Zugehörigkeit – Teil von jemand oder etwas sein, erkannt, gemeint und aufgehoben. Ankommen und dazugehören ist Kindsein. Fragloses Kindsein. Dann wachsen mit dem Leib und der Welt die Erfahrungen, mit ihnen die Grenzen und mit beiden die Fragen. Im Fragen wächst die Sehnsucht. Sehnsucht nach Ankommen, nach Zugehörigkeit – nach Heimat. Heimat lebt als etwas in der Erinnerung auf, was ungreifbar in der Sehnsucht rumort, wird zum Glück des Ausruhens nach langem Weg, zum Schlaf nach lähmender Müdigkeit oder zum Wiedererkennen eines nie und immer Gewussten. Glück, Schlaf und (Wieder-)Erkennen – sind sie die drei, die wie ein Erbe der Kindheit in uns groß und fremd Gewordenen darauf warten, Unvorhersehbares zu öffnen? Sind sie die drei, die in der Fremde eine Kindheit ahnen lassen, die nicht nur vergangen, aber künftig ist?

Kommende Kindheit lebt aus der Fremde in der Erwartung, wie die verlorene in der Erinnerung alles zur Heimat werden lässt; die kommende Kindheit liebt die Fremde und sucht die Teilnahme, wie die verlorene die Heimat liebt und Zugehörigkeit ersehnt; in der Anteilnahme wird das Begrenzte grenzenlos, das Grenzenlose vertraut und die Fremde zur Heimat. Endlich hier, endlich aufgebrochen.

Bodo von Plato, Philosoph und Waldorfpädagoge, Forschungsauftrag in der Stiftung Kulturimpuls, Berlin.

Mirjam Schambeck

Heimat bedeutet für mich, erwartet zu werden. Da sind Menschen, die fragen, wie es mir geht und nicht, was ich alles geschafft habe. Da riecht es nach Zuhause, das neu aufgehängte Bild fällt mir auf und ich brauche nicht nachzudenken, wo ich meine Schuhe finde.

Heimat lässt mich erleben, dass es gut ist und reicht, wie es ist und die Zusage gilt »Ich will, dass Du bist.« Heimat weckt die Sehnsucht, dass da einer ist, dass da Gott ist, in dem ich nicht nur manchmal und nur ein Stück weit, sondern ganz und für immer zu Hause bin.

Mirjam Schambeck, sf (societas francisci), Professorin für Religionspädagogik an der Uni Freiburg.

Teresa Distelberger

Mein Großvater war als Siloverkäufer viel in Wirtshäusern unterwegs. Er war als trinkfest und als fast unschlagbarer Kartenspieler beim »Schnapsen« bekannt. Wenn es um Heimat geht, kommt schnell mal viel hoch, woran ich nicht anknüpfen mag. Ich finde es jedoch spannend, mich zu fragen, was an dem, was ich mit »Heimat« verbinde noch anders brauchbar sein könnte.

Inspiriert von meinem Opa hab ich den »Heimatschnapser« entwickelt. Dieses Spiel kann jederzeit gespielt werden mit einem ganz normalen »Doppeldeutschen« Kartenset. Es geht dabei nicht ums Gewinnen, sondern einfach nur um eine Begegnung in der Vielschichtigkeit unser aller Heimatbezüge. Nimm eine Karte vom Stapel. Schau, welche Bilder in dir auftauchen und erzähle davon. Herz-Karten stehen für Verbundenheit mit Menschen & Gemeinschaft, Blatt-Karten für Natur & Territorium, Eichel-Karten für Ahnen & Geschichte, Schelle-Karten für Kultur(en) & Brauchtum. Je nachdem, welche Karte du gezogen hast, verbindet sich das Grundthema mit einem der konzentrischen Heimatkreise: Der Bube steht für Ich & Familie, die Dame für Dorf & Stadt, der König für Region & Land, der 10er für Kontinent und das As für Erde & Kosmos. Wenn wir uns gemütlich zusammengesetzt und eine Runde gespielt haben, dann hab ich vielleicht beantwortet, was »Heimat« alles für mich bedeutet.

Teresa Distelberger, Regisseurin, Moderatorin und Mitbegründerin des Wiener Salons der Heimatgefühle.

Stephan W. Ludwig

Der Heimatbegriff erinnert mich zunächst an meine Kindheit und die Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin. Ich denke an das Haus und den Garten, das Paradies, in dem ich spielen durfte. Bausinger hat Heimat in diesem Sinne eine Nahwelt genannt, die verständlich und durchschaubar ist und in der wir uns auf stabile Verhaltenserwartungen verlassen können. Aber die Zeit, in der alles, was ein Heimatgefühl auslösen kann, an einem einzigen geografischen Ort versammelt ist, neigt sich in einer globalisierten Welt dem Ende zu.

Deshalb möchte ich den Heimatbegriff in zwei Richtungen neu denken. Zum einen glaube ich, dass es ein evolutionärer Fortschritt wäre, Heimat als eine innere Qualität zu kultivieren. Heimat wäre dann der eigene innere Raum, den wir nur allein betreten können und der uns dennoch mit allem verbindet, wenn sich unser Geist in einen größeren, zeitlosen Resonanzraum hinter der vordergründigen Stille weitet. Zum anderen müssen wir in der äußeren, weltlichen Dimension verstehen, dass Heimat in einer globalisierten Welt nicht irgendwo in einem Winkel dieser Erde zu verorten ist, sondern dass es um die Herausforderung geht, unseren Heimatplaneten als eine gemeinsame Heimat zu denken und zu fühlen, gemeinsam für ihn zu sorgen und ihn mit allen Menschen zu teilen.

Stephan W. Ludwig, Begründer der Integralis-Methode und Leiter der Integralis® Akademie.

Author:
evolve
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