Philosophie der Non-Dualität

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Buch/Filmbesprechung
Publiziert am:

April 17, 2014

Mit:
Prof. Dr. Gernot Böhme
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AUSGABE:
Ausgabe 02 / 2014:
|
April 2014
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Gernot Böhme hat ein Buch geschrieben, das Mystik denkend nachvollziehbar macht


„Auf dem Hintergrund von Meditationserfahrungen, insbesondere des Zazen, werden die europäischen Bewusstseinstheorien kritisch in den Blick genommen und ergänzt.“ Mit diesem harmlos klingenden Satz als Klappentext ist vor Kurzem ein Buch erschienen, das in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert ist. Es stammt vom Philosophen Gernot Böhme, der vor allem durch seine Konzeption der Ästhetik bekannt wurde. In seinem neuen Buch Bewusstseinsformen hinterfragt er die Vormachtstellung einer bestimmten Geisteshaltung in der westlichen Kulturgeschichte: das reflexive, intentionale Bewusstsein, das sich immer auf „etwas“ bezieht.
In einem kulturellen Umfeld, in dem der Philosophie nur die Domäne logischer Analyse vorbehalten scheint, wagt Böhme eine erkenntnisreiche Wende: Er nähert sich dem Thema nicht nur von der Theorie her, sondern aus unserer menschlichen Erfahrung. So kommt er zu der „Familie“ der Bewusstseinsformen, die im Buch anschaulich gemacht werden: Gegenstandsbewusstsein, Selbstbewusstsein, Leibbewusstsein, Präsenzbewusstsein, Zeitbewusstsein und leere, nichtreflexive Bewusstheit. Letztere ist für ihn so etwas wie ein Urphänomen, das allen anderen Bewusstseinsformen zugrunde liegt. Und, so mutmaßt er, auch die Quelle der Erfahrungen ist, die Mystiker verschiedener Kulturen als Erleuchtung bezeichnen. Böhme wählt als Referenzpunkt für seine Betrachtung eine „Bewusstseinsform“, die im philosophischen Diskurs meist kaum beachtet wird: Meditation. Und er erweitert von hier aus auch unser Verständnis anderer Formen von Bewusstsein:
Im Kapitel zum Zeitbewusstsein lässt Böhme den Zen-Philosophen Dogen zu Wort kommen. Dogen hat mit Shobogenzo ein Werk verfasst, das im Westen noch weitgehend unbekannt ist. Böhme leistet hier echte Pionierarbeit. Ein Kapitel im Shobogenzo mit dem Titel „Sein-Zeit“ untersucht in meditativer Innenschau wie und in welcher Weise unsere Existenz eine zeitliche ist. Böhme bringt Heideggers Einsichten aus Sein und Zeit mit Dogen in einen Dialog, wobei Dogen in seiner Überschreitung der kognitiven Betrachtung für ihn noch einen Schritt weitergeht als Heidegger. Dogens Zeiterfahrung gipfelt in der Aussage, dass wir „Zeit bewusst sind“. Diese Erkenntnis stammt für Dogen aus der Meditation und Böhme zeigt einfühlsam, wie das Erleben des atmenden Leibes unser Sein als Zeit unmittelbar spürbar werden lässt.

„Im leiblichen Spüren ist der Leib dieses Spüren in seiner Ausdehnung selbst.“
Gernot Böhme


Überhaupt ist es immer wieder erhellend für den eigenen Nachvollzug des Gesagten, dass Böhme den Körper als Resonanzraum der Wahrnehmung hervorhebt. Für ihn ist gerade der Leib auch ein Erkenntnisorgan, indem wir ein Ungetrennt-Sein von der Welt erfahren können: „Im leiblichen Spüren ist der Leib dieses Spüren in seiner Ausdehnung selbst.“ Ein Satz, der zum Verweilen einlädt.
Im letzten und vielleicht bemerkenswertesten Kapitel zum Thema Mystik und Non-Dualität zeigt sich Böhme als ein ausdrucksstarker Denker der „Non-Dualität“: „Wir legen die Vielheit in die Natur hinein und können ihre Einheit nur wissenschaftlich erkennen, weil sie im Grunde Eines, ein Ganzes ist.“ Im Folgenden untersucht er Mystik als eine Bewusstseinsform, die uns mit dieser Einheit des Lebens wieder vertraut machen kann. Mit der fragenden Distanz des Philosophen und gleichzeitig im Mitempfinden verschiedener Einheitserfahrungen schafft es Böhme, dieses Thema in einer Weise zu umkreisen, die es immer nachvollziehbar macht – für ein klares Denken und für die innere Erfahrung. Und das ist eine der größten Stärken dieses Buches: Es vermag, die eigene Bewusstseinserfahrung in ihrer Nuancierung und Komplexität auszuleuchten, sowohl in der Meditation als auch im Alltag. Damit ist Böhme lebendige Philosophie gelungen, die zum Nachdenken und zum Nachspüren inspiriert.
Bewusstseinsformen ist kein leichtes Buch, aber im Ton immer dem Leser zugewandt. Es bleibt zu hoffen, dass weitere dialogische Versuche folgen werden, die meditative Praxis und Philosophie, westliches und östliches Denken in solch eine fruchtbare Begegnung bringen.

Author:
Mike Kauschke
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