Räume für Entwicklung schaffen

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Interview
Publiziert am:

April 17, 2014

Mit:
Hilde Weckmann
Kategorien von Anfragen:
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AUSGABE:
Ausgabe 02 / 2014:
|
April 2014
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Ein Interview mit der Bio-Pionierin Hilde Weckmann über Arbeit, Ökologie und inneres Wachstum


Hilde Weckmann ist seit vielen Jahren als Unternehmerin in der Biobranche aktiv und hat den Entfaltungsprozess der letzten Jahrzehnte, der die alternative grüne Subkultur in die Mitte des Mainstreams gebracht hat, mitgestaltet. Heute ist sie vor allem beratend und bildend tätig und widmet sich dem, was immer ihr größtes Anliegen war: Räume für Entwicklung zu schaffen.


evolve: Seit vielen Jahren bist du als Unternehmerin in der „Grünen Wirtschaft“ tätig. Gleichzeitig hast du ein starkes Interesse an Ansätzen der inneren Entwicklung. Wie haben sich diese beiden Aspekte in deiner Arbeit verbunden?

Hilde Weckmann: Ich habe mich selbst immer als Zeitpionierin gesehen. Während meines Studiums habe ich mich in der Ökologiebewegung und der Frauenbewegung engagiert, und dann schließlich in den 80ern einen Naturkostgroßhandel mitgegründet, der seitdem ständig gewachsen ist, so wie die ganze Biobranche. Die kulturelle Veränderung durch alternative, ökologische und gemeinschaftliche Wirtschaftsideen habe ich also von Beginn an mitgemacht. Mir war dabei immer auch ein neues Verständnis von Arbeit wichtig. Eines, das sich nicht nur auf die Erwerbsarbeit bezieht, sondern auch die eigene Entwicklung und das Engagement mit anderen Menschen in Projekten, die unsere Kultur weiterbringen, einbezieht.
Wirtschaftliches Handeln ist für mich kein Selbstzweck, sondern sollte unserer Entwicklung als Menschen dienen. Hier ist in den letzten Jahren für mich die Postwachstumsökonomie sehr prägend geworden. Denn hier wird der Begriff des Wachstums breiter gefasst. In Anerkennung der Grenzen unseres Wachstums angesichts der endlichen Ressourcen unseres Planeten, wird die Bedeutung des inneren und kulturellen Wachstums für notwendige Entwicklungen erkannt.

e: Wie setzt du dieses umfassendere Verständnis von Wachstum in deiner Arbeit um?

HW: Zunächst einmal habe ich versucht, mir selbst und meinen Mitarbeitern die Freiräume zu geben, die solch eine Entwicklung möglich machen, deshalb war ich von Anfang an offen für flexible Arbeitszeitmodelle. Aber natürlich ist auch die Zusammenarbeit im Unternehmen eine ständige Möglichkeit und Herausforderung für das eigene menschliche Wachstum. Hier sind für mich Kommunikations- und Dialogformen wichtig geworden, die es ermöglichen, dass Menschen mit ganz verschiedenen Hintergründen miteinander in ein Gespräch kommen können. Ich wende verschiedene Kommunikationsmethoden wie die Theorie U von Otto Scharmer oder den Dialog nach David Bohm an, um gegenseitiges Verstehen zu schaffen und zu neuen Ideen zu kommen.
Dabei hat mir auch das Verständnis verschiedener kultureller Entwicklungswellen sehr geholfen, wie ich es in der integralen Theorie Ken Wilbers gefunden habe. Insbesondere, wenn es um die Einbeziehung von Mitarbeitern aus anderen Kulturen geht. Früher habe ich alle Mitarbeiter in Selbsterfahrungsseminare geschickt, und mich gewundert, dass es sie nicht genauso begeistert wie mich. Heute sehe ich die Unterschiede in Menschen klarer und kann sie auch akzeptieren. Nicht alle, die in der Biobranche arbeiten, müssen gleich grüne Weltverbesserer sein.

e: Kannst du ein Beispiel geben, wie du Kommunikation in diesem Sinne anwendest?

HW: Vor kurzem haben wir bei einem Strategie-Meeting der Biobrotbox gGmbH mit einer Kommunikationsmethode experimentiert. Zu solchen Meetings kommt ja jeder mit seinen individuellen Zielen, wir wollten aber daran arbeiten, zu einer gemeinsam umsetzbaren Vision zu kommen.

Vor 30 Jahren sind wir noch als verrückt angesehen worden und heute sind wir gesellschaftsprägend.


Wir haben in einer Vierergruppe gearbeitet und zuerst hat jeder seine persönliche Zielformulierung aufgeschrieben. Diese wurde dann der Gruppe vorgelesen, und eine Person musste das, was sie verstanden hat, wiederholen, sie hat es also gespiegelt. Die dritte Person hat es aufgeschrieben und die vierte fungierte als Beobachter. So wurde das aktive Zuhören geübt. Und das bei Menschen, die es eigentlich gewohnt sind, eher ihre eigene Sicht der Dinge durchzusetzen. Durch diese Methode wurden die Ziele der Einzelnen auf ein Gemeinsames bezogen. Tatsächlich entstand eine gute Gesprächssituation über die Beiträge jedes Einzelnen in Bezug auf die Gesamtstrategie. So wurde die individuelle Kreativität genauso gewürdigt wie die Erfahrung der Gemeinsamkeit. Auch Menschen, die solche kommunikativen Prozesse nicht gewohnt sind, können so in eine Entschleunigung und Verbindung kommen. Wichtig ist bei dieser Art von Prozessen auch, dass alle Stimmen gehört werden.

e: Du hast die Biobrotbox erwähnt, ein Social Business, in dem du dich seit einigen Jahren ehrenamtlich engagierst. Was sind die Hintergründe dieses Projekts?

HW: Die Biobrotbox läuft seit mehr als zehn Jahren. Ziel ist es, dafür zu sensibilisieren, dass Kinder ein gesundes Frühstück brauchen. Von uns erhalten sie zur Einschulung eine Brotbox mit gesunden Frühstückszutaten. Letztes Jahr haben wir auf diese Weise ein Viertel aller neuen SchülerInnen in Deutschland erreicht. Finanziert wird dies durch Firmen, die hauptsächlich, aber nicht ausschließlich aus der Biobranche stammen. UPS beispielsweise übernimmt seit vielen Jahren in Berlin die Logistik, denn wir brauchen natürlich Partner mit einer gewissen Größe, um den jährlichen Roll-out sicherzustellen. Allein in Berlin-Brandenburg verteilen wir 53.000 Biobrotboxen, die alle pünktlich am gleichen Tag ausgeliefert werden müssen. Diese Zusammenarbeit ist sehr bereichernd, denn amerikanische Unternehmen sind im Hinblick auf Aktivitäten zur Corporate Social Responsibility teils erfahrener als wir. Da können wir voneinander lernen. Darüber hinaus gehören auch Banken und andere Unternehmen zu den Sponsoren. Wir machen Veranstaltungen mit den Unternehmen, tauschen uns überregional im Netzwerk aus und gewinnen so alle neue Perspektiven. Da vollziehen sich spannende Wandlungsprozesse. Eine Bank beispielsweise, die einige Jahre die Biobrotbox finanziell unterstützte, hat manche unserer Argumente übernommen und positioniert sich nun auch ökologischer. Für mich persönlich sind solche Prozesse natürlich immer auch eine Gratwanderung, aber letztlich können wir durch solche Kooperationen und die damit verbundene Kommunikation zur Bewusstseinsentwicklung beitragen, und das zählt. Man muss einfach sehen: Evolution ist ein langsamer Prozess – ich bin da manchmal auch etwas ungeduldig.

Author:
evolve
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