Von Dingen zu Prozessen werden

Our Emotional Participation in the World
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Published On:

January 14, 2014

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Ausgabe 01 / 2014
|
January 2014
Das neue Interesse an Politik
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Meditation kann das Bewusstsein verändern. Nicht nur macht sie mich aufmerksamer und lässt mich mehr und anderes sehen als zuvor – sie vermag darüber hinaus auch die Struktur unseres Bewusstseins zu verwandeln. Stehen wir normalerweise der Welt äußerlich gegenüber, sehen sie geschehen, ohne dass es unser dafür bedarf und nehmen uns im Gegenzug für unser Selbsterleben unvergleichlich wichtig, so vermag ein durch Meditation entwickeltes Bewusstsein die Trennung zwischen mir und der Welt zu überwinden. Aus den Dingen der Welt werden Prozesse, in die Formen, in denen wir uns zueinander verhalten, sind wir involviert, und aus großen Egos werden Träger von Initiativen und Impulsen.
Soweit das Bewusstsein sich in dieser Richtung entwickelt, erscheint uns die Welt und wir selbst in ihr tatsächlich verändert. Welt und Bewusstsein entwickeln sich Hand in Hand, das kann gar nicht anders sein, denn es ist ja unser Bewusstsein, in dem die Welt uns erscheint. Und das betrifft natürlich auch die Frage, wie Menschen zusammenleben, oder, um einen Ausdruck Rudolf Steiners aufzugreifen, den sozialen Organismus.
Wir leben mit Dingen, kaufen sie, produzieren sie, horten oder verbrauchen sie. Die Dinge stellen wir in Relation zu uns selbst, und damit sind wir oft zufrieden. Aber die Dinge sind Ausdruck von Prozessen: hinter ihnen stehen Produktionsbedingungen und Handelswege, Technologien und Menschen, die ein Einkommen beziehen – ein gewaltiger Prozess kommt im Ding, das mir dann nützt, zum Abschluss. Sicher, wir werden weiterhin Brot und Bücher, Fahrkarten und Frisuren brauchen, aber zunehmend sehen wir die Prozesse dahinter und das Brot schmeckt oder die Frisur steht uns anders, je nach dem, welchen Prozess sie zum Ausdruck bringen. Und das wirkt in den Prozess zurück.

Welt und Bewusstsein entwickeln sich Hand in Hand.


Den Staat erleben wir in Gesetzen und Wahlen, in Parteien und Regierungen. Die Gesetze, das Gewicht meiner Stimme und das Gewese der Parteien sind so, dass der Staat uns immer ferner rückt. Er ist ohne mich, er ist kein Wir - weil wir nicht erleben, dass wir ihn mitgestalten. In einem Wir müssen wir involviert sein. Nicht, um immer noch mehr Gesetze zu machen, ganz im Gegenteil. Aber um uns auszutauschen und abzustimmen, da wo es Abstimmung braucht: wie wir die Natur schützen möchten und uns selbst vor Übergriffen von Wirtschaft und Staat und anderen Menschen, was wir für menschenwürdig halten und wie wir diese Menschenwürde uns gegenseitig ermöglichen.
Und die Entwicklung des sozialen Organismus denken wir in Zielen und Zwecken. Die sollen erreicht werden, und dann ist es gut. Aber Ziele und Zwecke sind schon wieder getrennt von uns. In Wirklichkeit sind es Menschen mit Fähigkeiten und Initiativen, die sich selbst entwickeln und die die Evolution voranbringen wollen. Am Ende sind es immer wir, und wir sind da, um die Evolution voranzubringen. Wie können wir jedem ermöglichen, dass sein Beitrag zum Tragen kommt? Da, wo jemand für etwas ist, gibt es keine Widersprüche mehr. Nur das Gegeneinander führt in immer größere Trennung. Unsere Fürs vertragen sich, ergänzen und brauchen einander.
Im Wirtschaftsleben vollzieht sich ein eigentlich die ganze Welt umspannender Prozess, der für einen Augenblick im Ding, das ich konsumiere, zum Abschluss kommt und sich durch die Arbeit, die ich ihm zugutekommen lasse, immer wieder erneuert. Im Rechtsleben stimmen wir uns ab über das, was abstimmungsbedürftig ist zwischen uns. Auch dieser Prozess kommt zu Abschlüssen, aber wir sind involviert in die Gesetze, wir sind im Gespräch und im Verstehen und Verstanden-Werden, und wo es gar zu sehr knirscht, suchen wir nach neuen Gesetzen. Im Geistesleben leben Individuen evolutionäre Impulse aus, sind kreativ und innovativ, entwickeln Ideen und sich selbst. Hier handelt es sich um eine Kultur des Zutrauens ineinander und in die Stimmigkeit einer Evolution, für die jeder von uns verantwortlich ist.
Der soziale Organismus entwickelt sich zwischen dem einzelnen Individuum und der ganzen Welt, in gewisser Weise ist er diese Verbindung. Darum ist er unmittelbar betroffen davon, wie die Welt in meinem Bewusstsein erscheint. Und in dem Maße, in dem unser Bewusstsein sich verwandelt, wird auch der soziale Organismus seine Strukturen verwandeln.

Author:
Anna-Katharina Dehmelt
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