Religion als Spiel

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Kolumne
Publiziert am:

April 30, 2024

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Ausgabe 42 / 2024
|
April 2024
Die Kraft der Rituale
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Vor Sokrates gab es Religionen ohne eine Religion. Und einigen Definitionen zufolge lässt sich dies auf unser tierisches Erbe zurückführen. In seinem Buch ­»Religion in Human Evolution« definiert ­Robert Bellah Religion als ein System von Überzeugungen und Praktiken in Bezug auf das Heilige, welches diejenigen, die daran festhalten, in einer moralisch orientierten Gemeinschaft vereint und das Heilige als einen Bereich der gemeinsamen, ungewöhnlichen (nicht-alltäglichen) Realität definiert.

Das Spiel in der Tierwelt wurde schon immer mit der Entwicklung von Fähigkeiten in Verbindung gebracht, die junge Tiere brauchen, um als Erwachsene zu überleben. Zudem hat das Spiel viele soziale Funktionen, wie z. B. die Herstellung von Bindungen und Machtbeziehungen. Darüber hinaus betont der Primatenforscher Frans de Waal die Arten des Spiels, die Tiere allein aufgrund des angeborenen Wertes des Spielens an sich betreiben.

Eine Gruppe von in ein Gelächter ausbrechenden Schimpansen, die Art und Weise, wie Krähen Katzen terrorisieren, wie Pferde sich selbst erschrecken, so dass die ganze Herde in Aufruhr gerät und wie verrückt umherläuft – wegen nichts.

De Waal stellt fest, dass während dieser Art des Spielens die alltägliche Ordnung der Dinge durcheinandergerät. Es handelt sich um soziale Interaktionen, die auf der Toleranz für ein viel breiteres Spektrum an Verhaltensweisen und auf Gegenseitigkeit im Sinne einer viel umfassender gelebten Teilhabe beruhen.

Wenn Menschen diese Art von Interaktionen mit wilden Tieren erleben, berichten sie von einem Gefühl des Heiligen. Dies muss in Jäger- und Sammlerkulturen eine der stärksten Erfahrungen gewesen sein, wenn der verwundete Jäger vom hungrigen Löwen freigelassen oder der verwundete Löwe (mit einem Dorn im Fuß) vom Menschen geheilt wurde.

»Das Spiel ersetzt das Alltägliche durch eine neue Realität.«

Das Spiel ersetzt das Alltägliche durch eine neue Realität. Aber das Spiel hat auch seine eigenen (vorübergehend geltenden) Normen. Sie sind oft implizit und entwickeln sich durch spielerische Aktionen und das Austesten der Grenzen der »Regeln«. Wie wir in den Informationen über den Affekt erfahren haben, gibt es einen affektiven Marker – die Grenze zwischen Spiel und Zorn – der im Körper des Einzelnen die Grenzen des sozialen Spielfelds absteckt. Wenn diese Grenzen und Normen kodifiziert werden, entweder durch Rituale, Mythen oder Sutren, entsteht die menschliche Religion.

Denken Sie an frühe totemistische Stämme. Die grundlegenden Regeln beschäftigten sich damit, »wer wen fressen durfte«. Einige, jedoch nur einige, Tiere, Pflanzen, Landschaftselemente und Menschen – diejenigen, die im Totem enthalten waren – ­waren heilig und Teil eines gemeinsamen Systems sozialer Beziehungen. Ihnen wurde der Status einer »Persönlichkeit« zuerkannt. Normen und Tabus im Zusammenhang mit Lebensmitteln haben sich bis heute erhalten und gehören zu den instinktiven Normen (da sie zu den ältesten zählen). So gibt es beispielsweise in allen Kulturen Normen in Bezug auf Nahrung und Sex, aber in den meisten Kulturen werden die Sex-Tabus regelmäßig gebrochen, die auf Nahrung bezogenen hingegen nicht. Wenn es beispielsweise um das Essen von Termitenlarven, Katzen oder Hunden geht, folgen wir nicht so sehr einer Regel als einem Instinkt, der sich etabliert hat.

Wenn diese Stämme ein Tier für Nahrungszwecke töteten, war es üblich, dessen Junge zu retten und sie als Teil des Stammes aufzuziehen. Auch diese wurden dann zu Personen, wenn auch auf verschiedenen Status- und Machtebenen. Ich besuchte einmal einen biodynamischen Bauernhof, auf dem Schafe zu Nahrungszwecken gezüchtet wurden. Ein verwaistes Lamm war der beste Freund des jüngsten Kindes auf dem Hof. Es erhielt einen menschlichen Namen (wurde zur Person gemacht) und es galt als Tabu, es zu töten. Es durfte sogar auf die Veranda kommen und dort herumliegen. Dieses Lamm war aufgrund bestimmter Umstände und Zufälle in den nicht-alltäglichen Bereich des Heiligen übergetreten.

In der totemistischen Stammesreligion ging der Jäger in ein nicht alltägliches Reich über, in dem er weder lebendig noch tot war, sondern sich dazwischen befand. Gelang es ihm, den Löwen zu erlegen, so wurde die Beute in einen Menschen verwandelt. Wenn das Tier, das er verfolgte, ihn tötete, dann wurde der Mensch in den Löwen verwandelt. Ist es nicht erstaunlich, dass dies für uns moderne Menschen direkt als ritueller Glaube in der Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Jesu Christi im Sakrament der Kommunion sichtbar wird?

Wir leben in komplizierten Zeiten und sind unsicher über unsere Zukunft. Sich daran zu erinnern, dass das Spiel eine heilige Kunst ist, kann helfen, unsere Sorgen und Nöte zu lindern und wahre Freude in unsere Welt zu bringen.

Author:
Bonnitta Roy
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